Mythos Generationenkonflikt
"Der Generationenkonflikt ist konstruiert", sagt der Soziologe Martin Schröder von der Universität des Saarlandes.
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Die drei hartnäckigsten Vorurteile
Trotz fehlender empirischer Nachweise hält sich der Mythos vom Generationenkonflikt. Wir schauen uns die drei hartnäckigsten Vorurteile an und klären, was es mit dem Generationenbegriff auf sich hat.
Aktuell können bis zu vier Generationen an einem Arbeitsplatz zusammentreffen: die Babyboomer, die Generation X, die Millennials und die Gen Z. Dabei heißt es immer von der nächstjüngeren, diese sei die dümmste oder die faulste. Doch inwieweit stimmen diese Vorurteile? Wir räumen mit den am weitesten verbreiteten Klischees auf.
Übersicht
Erstes Vorurteil: Jede Generation ist die faulste
Das ist wohl das hartnäckigste Vorurteil, das momentan vor allem die Generation Z – neudeutsch: Gen Z – trifft. Damit sind alle gemeint, die zwischen 1995 und 2009 geboren sind. Doch stimmt das? Ebenso wie das Klischee, dass die sogenannten Babyboomer, geboren zwischen 1950 und 1964, sich noch zu Tode schuften?
Der Soziologe Martin Schröder von der Universität des Saarlandes sagt ganz klar: Nein. In einer groß angelegten Studie zeigt er, dass diese Zuschreibungen nicht belegbar sind. Konkret hat Schröder die Einstellung zur Arbeit unterschiedlicher Generationen anhand hunderttausender Umfragen der vergangenen vier Jahrzehnte untersucht.
Herausgekommen ist, dass Menschen im Laufe ihres Lebens ihre Einstellung zur Arbeit ändern. Für Menschen über 70 oder um die 20 spielt Arbeit prinzipiell nicht mehr oder noch nicht die große Rolle wie für Menschen um die 40 oder 50. In diesem Alter ändert sich meistens die Einstellung zur Arbeit. Das heißt, diese Haltung ist unabhängig davon, wann man geboren ist. Sie hängt eher mit dem Alter zusammen.
"Wenn heute der 40-Jährige sagt, der 20-Jährige habe gar keine Lust zu arbeiten, dann ist das eine richtige Beschreibung. Nur: Es ist kein Generationeneffekt. Es ist ein Alterseffekt“, fasst Schröder zusammen.
Alters- und Periodeneffekte sind keine Generationeneffekte
Aus den Umfragen wird aber auch deutlich, dass sich die Einstellung zur Arbeit in der Gesellschaft insgesamt in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Deswegen macht es auch einen Unterschied, wann man zu einem bestimmten Thema befragt wird. Das nennt man auch den Periodeneffekt:
"Seit 1850 sinkt die Arbeitszeit immer weiter, und die gewünschte Arbeitszeit sinkt auch immer weiter. Das ist aber keine Generationenfrage. Wir alle denken heute anders als früher", folgert der Soziologe.
Schließlich lässt sich – auch das ist eine Lehre aus dieser und vielen weiteren Untersuchungen – nicht belegen, dass es überhaupt so etwas wie Generationen gibt, geschweige denn, dass diese dann auch noch unterschiedlich ticken:
"Ich kann die Einstellung von Menschen nicht damit erklären, wann sie geboren wurden, weder in Deutschland noch in anderen Ländern“, fasst Schröder zusammen. Doch wenn das so ist, warum halten sich dann diese Zuschreibungen so hartnäckig?
Gesellschaftlich akzeptierte Diskriminierung
Dafür gibt es viele Gründe: Zum einen werden Alters- und Periodeneffekte mit einem vermeintlichen Generationeneffekt verwechselt, wie Schröder erklärt. Und zum anderen gibt es mittlerweile eine ganze Industrie, die mit diesen empirisch nicht nachweisbaren Behauptungen Geld verdient: Sachbuchautoren, Keynote-Speaker oder Werbeagenturen.
Zudem haben Menschen eine große Freude daran, in Schubladen zu denken und andere in solche zu stecken, meist um sich selbst aufzuwerten, wie der Soziologe erklärt. Zugespitzt sagt er: Da wir nicht mehr aufgrund von Geschlecht oder Hautfarbe diskriminieren können, machen wir das eben nun mit Generationen:
"Es scheint uns einfach sehr gut zu gefallen, diese Kategorien zu haben, mit denen wir diskriminieren können. Und dafür nehmen wir dann halt die Generationen, obwohl eigentlich nicht viel dran ist."
Zweites Vorurteil: Jede Generation ist die dümmste
Nun zur nächsten Schublade, zum nächsten Vorurteil, wonach die jeweils nächste Generation die dümmste ist – wobei die Menschheit seit ein paar Jahren tatsächlich wieder etwas dümmer wird. Doch bis Mitte der 1990er-Jahre war es genau andersherum. Bis dahin konnte man empirisch nachweisen, dass die Intelligenz der Menschen über Ländergrenzen hinweg alle zehn Jahre zugenommen hat.
Einer der ersten Wissenschaftler, dem das aufgefallen ist, ist der neuseeländische Politologe James Flynn. In den 1980er-Jahren stellte er den nach ihm benannten Flynn-Effekt fest. Dieser besagt, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient (IQ) alle zehn Jahre um drei Punkte ansteigt.
Der Flynn-Effekt
Das ist auch der Grund, warum die Fragen in den IQ-Tests mit den Jahren immer schwieriger gestaltet werden mussten, damit der Durchschnittsmensch bei durchschnittlich 100 Punkten landet, wie der Neurowissenschaftler Henning Beck erklärt.
Seit Mitte der 1990er-Jahre aber weiß man, dass der durchschnittliche IQ-Wert ab dem Geburtenjahrgang 1975 zurückgeht. Dieser negative Flynn-Effekt zeigt sich in Studien in Norwegen, Dänemark und England.
Weder weiß man, woran es lag, dass die getesteten IQ-Werte über einen langen Zeitraum stiegen, noch weiß man, warum sie nun sinken. Als mögliche Ursachen sowohl für mehr als auch für weniger Intelligenz werden Ernährung, Bildung und der Medienkonsum angeführt.
Die Ursachen für Intelligenz sind unbekannt
Was die Wissenschaftler aber mit Sicherheit als Ursache ausschließen können, ist eine Genveränderung. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass diese sich in so kurzer Zeit in der breiten Bevölkerung zeige.
"Intelligenz ist nichts, was ich einfach so messen könnte wie Körpergröße. Man kann nicht absolut intelligent sein, sondern immer nur relativ besser“, erklärt Henning Beck.
Und die Frage, ob mithilfe von IQ-Tests wirklich Aussagen über die Klugheit oder Kreativität von Menschen gemacht werden können, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Drittes Vorurteil: Die Generationen haben unterschiedliche Werte
Bisher konnte mit dem Generationenbegriff nicht wirklich etwas erklärt werden. Was uns aber nicht daran hindert, auch noch das letzte Vorurteil genauer zu untersuchen. Vielleicht findet sich ja hier ein Generationeneffekt.
Das letzte Klischee besagt, dass der Gen Z und den Babyboomern unterschiedliche Werte wichtig sind. Dazu sollten wir uns aber kurz mal anschauen, woher der Begriff der Generation stammt und auch, wie er definiert ist.
Wissenschaftlich betrachtet haben wir diesen Begriff vor allem dem Soziologen Karl Mannheim zu verdanken. 1928 erschien sein Aufsatz „Das Problem der Generationen“, der seitdem trotz aller Kritik zum soziologischen Kanon gehört, wie der Historiker Benjamin Ziemann erklärt.
Karl Mannheims Generationenkonzept ist veraltet
Mannheim geht davon aus, dass gemeinsame Erlebnisse in der Jugend die Mitglieder einer Generation für ihr ganzes Leben auf eine bestimmte, sie verbindende Art prägen. Daraus entwickeln sich dann bestimmte Einstellungen und Werte, die diese Generationen kennzeichnen.
Doch die Generationenforschung heute sieht das kritisch. Nicht nur hat sie sich vom sogenannten Jugendmythos verabschiedet, sondern auch von der Idee, dass gemeinsame Erlebnisse zwangsläufig zu gemeinsamen Einstellungen führen. In der Forschungsliteratur wurde sogar schon ein Nachruf auf das Generationenkonzept verfasst.
Doch zurück zu den Werten und Einstellungen heute. Unterscheiden die sich wirklich entlang der Generationen? Auch das können wir ganz klar verneinen. Am Beispiel der gleichgeschlechtlichen Ehe kann man dies deutlich sehen. Die Akzeptanz dafür, dass Schwule und Lesben heiraten können, ist über die Jahre in allen Altersgruppen gewachsen. Auch hier haben wir es mit einem Periodeneffekt und nicht mit einem Generationeneffekt zu tun.
Auch die aktuelle Trendstudie „Jugend in Deutschland“, die untersucht, wie Babyboomer, Millennials (das sind jene, die zwischen 1980 und 1994 geboren sind) und Mitglieder der Gen Z ticken, kommt zu dem Schluss, dass es „keine Anzeichen für einen Generationenkonflikt gibt“.
Kaum Unterschiede in den Wertvorstellungen
In zentralen Aspekten für das Miteinander in einer Gesellschaft unterscheiden sich jüngere und ältere Menschen kaum. Die drei wichtigsten Werte (Familie, Gesundheit, Freiheit) und Tugenden (Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft) sind generationenübergreifend dieselben.
Tatsächlich kann die junge Generation sogar als traditionell und konventionell bezeichnet werden, heißt es in der Studie weiter.
Auch die breit angelegte Generationenstudie „Zukunft gemeinsam gestalten“ der R+V-Versicherung und des Analyse- und Beratungsunternehmens Prognos AG aus dem Jahr 2022 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Hierfür wurden gezielt Mitglieder der Gen Z und der Babyboomer-Generation befragt.
Ergebnis: Die Top 10 der hier abgefragten Werte sind gleich, nur die Reihenfolge unterscheidet sich. Beiden Generationen sind mit Zustimmungswerten von über 75 Prozent Gemeinschaftswerte wie, einen vertrauensvollen Partner, gute Freunde und ein gutes Familienleben zu haben, wichtig. Neun der zehn Topwerte sind über die Gruppen bemerkenswert identisch. Und der intergenerationale Unterschied beträgt nur wenige Prozentpunkte.
Wahrgenommener Generationenkonflikt
Aber es gibt - so lautet ein weiterer Schluss der Studie - tatsächlich einen Generationeneffekt, und dieser liegt in der Wahrnehmung, wie Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund erklärt: Jeweils auf Platz drei in der Fremdsicht der Generationen aufeinander, also von Boomern auf die Gen Z und von der Gen Z auf die Boomer, landet die gegenseitige Unterstellung, nur auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. "Da kann man schon sagen: Da gibt es einen wahrgenommenen Generationenkonflikt."
Es gibt aber noch einen wesentlichen Kritikpunkt an der Definition von Generationen, nämlich: dass die Einteilung in Generationen geschlechterblind ist. Karl Mannheims Forschungsinteresse zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt ausschließlich jungen Männern, als er über Generationen nachdachte. Was junge Frauen erlebten und sie verband, interessierte ihn nicht.
Der Generationenbegriff ist geschlechterblind
Doch natürlich stellt sich die Frage, was junge Männer und Frauen gemeinsam hatten zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Ihre Erfahrungen unterschieden sich doch extrem, obwohl sie ein und derselben Generation angehörten. Also müssten sie auch unterschiedliche Einstellungen und Werte haben.
Auch der Leipziger Soziologe Thomas Ahbe, der sich mit der Generationengeschichte der DDR beschäftigt, sieht die Generation als gesellschaftliche oder soziologische Kategorie kritisch. Für ihn handelt es sich hier um eine „Mogelpackung“, zumindest wenn man glaubt, damit die einzelnen Jahrgänge besser verstehen zu können.
ckr