Er hatte auch überhaupt keine Vorstellung davon, dass Rassen existieren. Er fand es absurd, dass beispielsweise die Amerikaner – er hatte die Südstaaten besucht – die Schwarzen für minderwertig halten.
Frank Vorpahl über Heinrich Schliemann
Bücher über den Mythos Heinrich Schliemann
Der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann (1822-1890) © picture-alliance / akg-images
"Wenn Schliemann heute leben würde, wäre er Twitterkönig"
15:07 Minuten
War Heinrich Schliemann ein Genie oder vor allem ein PR-Stratege, der den Mythos Troja geschickt mit seinen Ambitionen als Archäologe verband? Zwei neue Bücher beleuchten Schliemanns Persönlichkeit aus Anlass seines 200. Geburtstags.
Vor fast genau 200 Jahre wurde Heinrich Schliemann geboren. Er war vieles: Kaufmann, Goldgräber, Archäologe – auf jeden Fall aber ein Kosmopolit, der schon in jungen Jahren die ganze Welt bereiste.
Ob Schliemann nun ein Genie oder hoffnungslos überschätzt war, darin ist man sich heute uneinig. Fest steht: Als erster Forscher fand Schliemann die von ihm und zuvor auch schon von anderen Forschern auf dem Gebiet der heutigen Türkei vermuteten Ruinen des mythischen Trojas. Und er gilt somit als Entdecker des sagenumwobenen Ortes aus Homers „Ilias“.
Deutsche Wissenschaftler ignorierten ihn
Vor allem bei deutschen Wissenschaftlern fand er dafür zunächst keine Anerkennung. Sie blickten etwas geringschätzig auf den „Hobbyarchäologen“ ohne akademische Ausbildung herab.
Schliemann, den seine 30 Jahre jüngere griechische Ehefrau Sophia bei den Ausgrabungen unterstützte, belehrte sie eines Besseren. Speziell in Großbritannien und in Griechenland erntete er schon früh Anerkennung. Heute gibt es längst auch in Deutschland Forschungsinstitute und Schulen, die seinen Namen tragen.
Schliemann, das Mediengenie
Leoni Hellmayr und Frank Vorpahl haben jetzt zwei neue Bücher über Schliemann vorgelegt: „Der Mann, der Troja erfand. Das abenteuerliche Leben des Heinrich Schliemann“ und "Schliemann und das Gold von Troja. Mythos und Wirklichkeit“.
Vor allem – darin sind sich beide Autoren einig – war Schliemann ein Mediengenie, der Zeitungen und Journale und damit die Öffentlichkeit offensiv an seinen Ausgrabungen und Funden teilhaben ließ. „Ich glaube, wenn Schliemann heute leben würde, wäre er Twitterkönig, inklusive Fake News“, sagt Frank Vorpahl.
Leoni Hellmayr findet den Bedeutungswandel des Ortes Troja spannend und arbeitet dies, unter anderem, in ihrem Buch heraus: Während sich etwa im Mittelalter vor allem Künstler von dem mythischen Ort und der jahrtausendealten Dichtung Homers inspiriert fühlten, begannen sich im 19. Jahrhundert auch Wissenschaftler für den antiken Ort zu interessieren und dessen Existenz nachzuforschen – „und so neue Fragen zu stellen, etwa, ob das Ganze historisch belegbar ist: ob Troja wirklich existiert hat und wenn ja, wo“.
Der Troja-Entdecker in der Midlifecrisis
Schliemanns Verdienst ist aus ihrer Sicht: Er habe einen in jedem Fall bedeutenden, mehr als 4000 Jahre bewohnten Ort ausgegraben und der Welt verkündet, es handle sich um das homerische Troja. Damit habe er „den Mythos mit einem real existierenden Ort fest verankert“. Er habe damit eine Debatte um Troja eingeleitet, die bis heute anhalte.
Aus Frank Vorpahls Sicht waren mehrere Fakten entscheidend dafür, dass Schliemann sich auf die durchaus kostspielige Suche nach Troja begab: Zum einen sei er als erfolgreicher Geschäftsmann Ende der 1860er-Jahre bereits Millionär gewesen. Zum anderen habe er sich mit damals 45 Jahren wohl mitten in einer Art Midlifecrisis gefunden und habe nicht recht gewusst, was er noch anfangen sollte.
Vom Reiseschriftsteller zum Archäologen
Schliemann wurde Reiseschriftsteller, verfasste Bücher über China und Japan. So stieß er schließlich auch auf das Buch eines griechischen Autors, der eine topografische Karte der „Ilias“ veröffentlicht hatte. „Da wurde er hellhörig“, sagt Vorpahl. Schliemanns Jagdfieber war geweckt.
Der Autor betont, Schliemann habe sich bei seinen archäologischen Ambitionen nie von einem wie auch immer gearteten Deutschtum geleitet gefühlt. Er habe „unglaublich wenig Deutsches“ oder Nationalistisches an sich gehabt – wohl auch, weil er sein halbes Leben in Russland, den USA, Asien und immer wieder Griechenland verbrachte. Zudem sei er 20 Jahre mit einer Russin verheiratet gewesen und danach mit der Griechin Sophia.
„Er hatte auch überhaupt keine Vorstellung davon, dass Rassen existieren. Er fand es absurd, dass beispielsweise die Amerikaner – er hatte die Südstaaten besucht – die Schwarzen für minderwertig halten", berichtet Vorpahl.
Sophias Schönheit habe Schliemann immer wieder sehr medienwirksam inszeniert, sagt Leoni Hellmayr. Mit Schmuck aus dem ausgegrabenen Schatz des Priamos behangen, sehe die klassisch gebildete junge Frau auf zeitgenössischen Fotografien aus „wie eine trojanische Prinzessin“.
Frank Vorpahl: "Schliemann und das Gold von Troja. Mythos und Wirklichkeit"
Galiani Berlin, 2021
363 Seiten, 24 Euro
Leoni Hellmayr: "Der Mann, der Troja erfand. Das abenteuerliche Leben des Heinrich Schliemann"
WBG, 2021
288 Seiten, 20 Euro
(mkn)