Mythos und Alltag

Von Barbara Wiegand |
"Der Traum vom Fliegen" ist eine locker gestaltete Ausstellung: Maschinen, Kultgegenstände und Kunstobjekte sind im Berliner Haus der Kulturen zu sehen.
Im Bett liegend über allem zu schweben, wie ein Adler hoch am Himmel seine Kreise zu ziehen, oder mittels am Körper angewachsenen Propellers zu fernen Welten aufzubrechen - den Traum vom Fliegen haben wir wohl alle schon geträumt. Und so kommen einem die Erlebnisse, von denen verschiedene "Schläfer" in einer Toninstallation von Tomas Fitzel erzählen, auch ziemlich bekannt vor.

"Und das ist meistens von der selben Stelle, von der ich losgeflogen bin, von einer Art Kinderschaukel … das ist so ein Traum, wo ich meistens auf dem Schulhof meiner alten Grundschule stehe, es ist so Dämmerung, und ich kann plötzlich fliegen. Der Traum ist ja nicht ein wirrer Traum. Der ist ja so exakt, so genau, als wenn wir uns an eine Zeit erinnern können, als wir fliegen konnten.

Wir sind ja neun, oder sechs Monate manchmal quasi geschwebt im Mutterleib. Außerdem ist unser Wahrnehmungsapparat so eingerichtet, dass wir alles von oben betrachten können und wir uns vorstellen können: Ich kann fliegen. Das heißt, wir träumen vom Fliegen, weil wir’s können. Deswegen kommt es auch in Träumen vor."

Ergänzt Kurator Thomas Hauschild. Gemeinsam mit Britta Heinrich hat er diese Träume im Haus der Kulturen der Welt auf fantasievolle, vielfältige Weise in die Ausstellung gebracht. Dabei schlägt man einen weiten Bogen mit Repliken früher Höhlenmalerei in der Stiere zu schweben über frühe Pioniere der Luftfahrt wie Otto Lilienthal bis hin zum Space-Simulator für Astronauten.

Oldtimer-Flugzeuge hängen von der Decke herab, das Modell eines Düsenjets ist in einer Art Hangar geparkt. Ja, selbst Kanus und Schlitten heben hier ab und baumeln an der Decke.

Und über einem alten sibirischen Schamanenmantel schlagen in eine seltsame Apparatur eingebaute Handys die Trommel zum magischen Flug ins Reich der Fantasie. Um das Fliegen in unserer Vorstellung, als Mythos, als Alltag gewordene bahnbrechende Erfindung oder als optische Täuschung geht es also in dieser Ausstellung. Um den Traum vom Fliegen aber auch die Art of Flying, die Kunst des Fliegens, wie es im Ausstellungstitel heißt.

"Das ist eine beabsichtigte Fehlübersetzung, Traum und Technik zusammenzubringen ist ja nicht so leicht. Dabei durchwirken sich beide Bereiche schon seit es Homo Sapiens gibt. Und wir wollten dem eine Ausstellung widmen, in der ohne Hochmut vorgegangen wird.

Sondern, indem man mal hinschaut und sagt, wo ist denn der Menschheitstraum versteckt. Und was leisten denn die, die bis heute vielleicht vom Flugverkehr ausgeschlossen sind, wenn es darum geht, Körper und Geist in die Luft zu erheben."

Mit der Ausstellung eröffnet man im Haus der Kulturen der Welt aber weder eine Filiale des Technikmuseums noch eine Flugschau. Vielmehr handelt es sich eher um eine locker gestaltete Exkursion in die Lüfte. Es ist ein Nebeneinander, aber kein Durcheinander von Maschinen, Kultgegenständen und Kunstobjekten. Und so ein bisschen kann der Besucher auch selber abheben. Er kann sich zum Beispiel eine Brille aufsetzen, die die Welt auf den Kopf stellt, als befände man sich im Sturzflug, er kann im Spacetrainer seinen Gleichgewichtssinn auf die Probe stellen und im von Peter Winkels geleiteten Labor mehr über die Flugfähigkeit Mensch erfahren.

"Es geht um leichte Experimente. Angefangen vom DIN-A-4 Blatt, das man zum Helikopter faltet bis hin zu komplexeren Dingen wenn es darum geht, sich mit künstlerischen Hilfsmitteln in einen Zustand zu versetzen, der einen so desorientiert, dass man nicht mehr glaubt, die Füße auf dem Boden zu haben."

So nähert man sich dem Thema auf die verschiedensten Weisen an - wissenschaftlich, ethnologisch, künstlerisch. Spielerisch, aber auch ernst. Im Auditorium im ersten Stock landet der Besucher etwa in einer von Christina Maria Pfeifer gestalteten Mondlandschaft, über die eine Collage aus Nachrichtenbildern flimmert – als Sinnbild vielleicht von der Eroberung des Alls im digital zerschnittenen Zerrspiegel einer medialen Welt.

Und in der Haupthalle hängt vor einer mit Wolken bemalten Wand ein Bild von Antonio Riello. Darauf sieht man einen Jagdbomber der "Vatikan Airforce" - mit prächtig barocken Bildern von Gott, kleinen Engeln und dem Papst auf den Flügeln.

Thomas Hauschild: "Das hat Flayder schon immer gesagt, ein Gelehrter des 16. Jahrhunderts: das ist doch klar, dass es eines Tages Fluggeräte geben wird, wenn man sich die Entwicklung der Technik in den letzten jahrhunderten anschaut. Und ist es denn die Sache wert? Die Menschen werden nur immer weiter Krieg damit machen. Da bleibe ich dann doch bei der fliegenden Zunge. Das heißt, wir erzählen uns, wie es wäre, wenn wir fliegen könnten."

Tja - und wie das wäre, wenn wir Menschen selbst wie Vögel fliegen könnten, was es mit dem Traum vom Fliegen auf sich hat - darauf gibt die Schau keine eindeutige Antwort. Vielmehr zeigt sie, was man sich alles darunter vorstellen kann. Das tut sie auf sehr lebendige Weise, ohne wissenschaftlich abgehoben zu wirken.