Matthias Pöhlmann: "Die Freimaurer – Mythos und Geschichte"
Herder-Verlag 2019
144 Seiten, 12 Euro
Die Freimaurer – spirituell, aber keine Sekte
10:35 Minuten
Die Freimaurer sind von Legenden umrankt: Verschwörungstheoretiker sehen in den verschwiegenen Männerbünden gar Drahtzieher des Weltgeschehens. Und in echt? Ein Buch über Mythos und Geschichte der Freimaurerei klärt auf.
Thorsten Jabs: Freimaurer – dieser Begriff steht für vieles: für Verschwörungs-theorien, für verschwiegene Männerbünde, die als Drahtzieher des Weltgeschehens gelten, und für geheimnisvolle, quasireligiöse Rituale, die Stoff für spannende Bücher und Filme bieten. Darum geht es in dem Buch "Die Freimaurer: Mythos und Geschichte", das gestern erschienen ist. Und darüber spreche ich mit Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten und Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, der es geschrieben hat. Guten Tag, Herr Pöhlmann!
Matthias Pöhlmann: Guten Tag!
Ein Arsenal an Verschwörungstheorien
Jabs: Herr Pöhlmann, Sie beschreiben in Ihrem Buch die Geschichte der Freimaurerei, die Rituale und die Strukturen, vor allem die der deutschen Logen. Wie viel Verschwörungstheorie steckte oder steckt da heute noch drin?
Pöhlmann: Die Freimaurer hat von jeher ein ganzes Arsenal an Verschwörungstheorien begleitet. Das begann mit der sogenannten Enthüllungsliteratur, wo eben behauptet wurde, die Freimaurer würden satanische Rituale vollziehen. Und das Ganze spannt sich letztendlich weiter bis heute, etwa im Bereich der rechten Esoterik oder im Bereich von traditionellen Christinnen und Christen, wo eben behauptet wird, Freimaurer seien Satansanbeter.
Ethischer Männerbund
Jabs: Welche Ziele haben denn Freimaurer?
Pöhlmann: Die Freimaurer betrachten sich als ein ethischer Männerbund. Es geht letztendlich um die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. In einem neueren Buch wird von einem Freimaurer behauptet, Freimaurerei sei das beste Persönlichkeitstraining der Welt. Die Ideale sind Humanität, Toleranz, Brüderlichkeit und auch Wohltätigkeit, wobei der letzte Aspekt oft etwas in Vergessenheit gerät in der Öffentlichkeit.
Jabs: Laut Ihren Recherchen gibt es weltweit etwa zweieinhalb bis drei Millionen Freimaurer, davon nicht ganz 16.000 in Deutschland. Wer waren früher Freimaurer, wer sind sie heute? Aus welchen Gesellschaftsschichten kommen sie, sind die Handwerker? Und welche berühmten Freimaurer gibt es in der Geschichte?
Pöhlmann: Berühmte Freimaurer gab es viele. Ich denke an Goethe oder denken wir auch an Matthias Claudius, den Lieddichter, bis zu Gustav Stresemann, den Außenminister der deutschen Reichsregierung während der Weimarer Republik, der sich damals auch viel Böses anhören musste von völkischen Kreisen, insbesondere am Ende der Weimarer Republik.
Ich werde häufig gefragt, wer sind denn heute berühmte Freimaurer, und das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil es gibt sehr wenige, die sich zu erkennen geben. Und zum anderen, die Elite, die geistige Elite, die früher sich in Logen versammelt hat, das hat sich doch verändert. Die Berufsstände sind auch ganz unterschiedlich. Ich habe auch schon in Freimaurerlogen Vorträge gehalten, wo zum Beispiel auch der Meister vom Stuhl – das ist der Vorsitzende der Loge – ein Bäckermeister ist. Insofern hat sich das etwas breiter aufgestellt.
Lebenshaltung von Toleranz und Rücksichtnahme
Jabs: Die Freimaurerei wird auch als königliche Kunst bezeichnet, Sie beschreiben das in Ihrem Buch ausführlich. Was genau daran ist königlich?
Pöhlmann: Es geht letztendlich um diese hohen Ideale – heute müsste man vielleicht sagen, es ist eine Form der Erziehung zum Gentleman. Das heißt, dass man eben auch auf seine Umgebung achtet, dass man entsprechende Umgangsformen einübt, dass man stärker über das eigene Ich, über die eigene Persönlichkeit nachdenkt. Und letztendlich geht es um das Thema Gesinnung, auch eine ethische Lebenshaltung, die bestimmt ist von Toleranz, Rücksichtnahme gegenüber anderen.
Jabs: Wie ist denn die Freimaurerei entstanden? Vor allem, welche Bedeutung hatte die Religion für die Freimaurerei zunächst einmal in der Entstehung?
Pöhlmann: Die Freimaurer entstammten ja dem sogenannten englischen Deismus. Das ist eine Richtung, die nicht unbedingt Wert legt auf konfessionelle Vorgaben, aber es waren Christenmenschen, die sich da gesammelt haben. Es waren jetzt nicht unbedingt diese sogenannten Werkmaurer, die die entsprechende Bautätigkeit vollzogen haben, sondern es waren spekulative Maurer, die sich in den Logen gesammelt haben.
Die Logen standen von Anfang an, gerade in Deutschland, unter dem Protektorat auch von Königen – denken wir an Friedrich den Großen zum Beispiel –, und deswegen konnten die Logen sich in Deutschland relativ schnell ausbreiten.
Implizite Religiosität
Jabs: Der Bund der Freimaurer sieht sich nicht als Religion, Religionsgemeinschaft oder Ersatzkirche, das schreiben Sie in Ihrem Buch. Was ist er dann, dieser Bund?
Pöhlmann: Es ist so, dass die Freimaurer wirklich ein ethischer Männerbund sind, sie legen Wert auf Diesseitigkeit. Gleichwohl muss man sagen, dass es in diesen freimaurerischen Systemen auch eine Art implizite Religiosität gibt, insbesondere wenn vom großen Baumeister aller Welten die Rede ist oder wenn man sich die Ritualtexte anschaut, wo auch teilweise Psalmenlesungen vorkommen.
Es gibt innerhalb der Freimaurerei gerade in Deutschland auch Pluralisierungsprozesse. Wir haben ganz unterschiedliche Lehrarten in Deutschland, also auch eine Richtung, die sich sehr stark christlich versteht. Das wäre etwa die große Landesloge der Freimaurer von Deutschland, die auf ein schwedisches System zurückgeht. Und auf der anderen Seite haben wir die sogenannten humanitären Freimaurer, das ist die stärkste Richtung, die wir in Deutschland beobachten können.
Eine Form von "Männerspiritualität"
Jabs: Sie beschreiben in Ihrem Buch ja ausführlich auch die Rituale der Freimaurer. Die Begriffe hören sich da sehr religiös an. Die Treffen finden in einem Tempel statt, es ist von einem Altar die Rede, von einem Initiationsritus bei der Aufnahme. Sind das denn nicht doch alles Zeichen dafür, dass es sich um eine Ersatzreligion handelt, auch wenn die Freimaurer das nicht so sehen?
Pöhlmann: Ja, ich denke, bei der Freimaurerei begegnet uns so etwas – ich hab das bezeichnet als eine Form der Männerspiritualität –, wobei man eben auf konfessionelle und christlich-dogmatische Vorgaben verzichten möchte. Die Bezeichnung Tempel rekurriert auf die Bausage des Salomonischen Tempels: Im Mittelpunkt steht da der Baumeister Hiram Abif, eigentlich eine mythische Gestalt.
Natürlich, diese Rituale wirken zunächst mal etwas religioid, möchte ich sagen, und letztendlich wollen sie auch einen Rahmen geben für eine Projektionsfläche für den einzelnen Freimaurer. Und da gibt es eben sehr stark säkular eingestellte Männer und zum anderen auch durchaus Männer, die einer der christlichen Kirchen angehören.
Jabs: Ist das dann doch so etwas wie eine Sekte?
Pöhlmann: Nein, soweit würde ich überhaupt nicht gehen, sondern es ist eine Bruderschaft auf einer weltanschaulichen Grundlage. Auf der einen Seite beobachte ich, dass manche Freimaurer wirklich auch religionsphob sind, also Angst haben, in die religiöse Ecke gestellt zu werden oder überhaupt mit religiösen Aspekten konfrontiert zu werden, und andere sind da sehr viel offener und unbefangener.
Schwere Sünde für die Katholische Kirche
Jabs: Auch die Kirchen sehen die Freimaurerei zum Großteil kritisch, auch das beschreiben Sie in Ihrem Buch ausführlich, vor allem die meisten orthodoxen Kirchen und die katholische Kirche lehnen die Freimaurerei ab. Ist das nicht auch ein Zeichen von Angst der Kirchen, dass da eine Ersatzreligion befürchtet wird?
Pöhlmann: Man muss diese kirchlichen Stellungnahmen vor allem vor dem jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergrund sehen. Die katholische Kirche hatte in den 1970er-Jahren mit den sogenannten Lichtenauer Gesprächen eine wichtigen Schritt vollzogen, weil da hat man sich gegenseitig eigentlich angenähert, man hat versucht, einander auch zu verstehen.
Dann, in den 1980er-Jahren, kam es eigentlich zu einem Rückschritt durch die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und auch weltweit vom Vatikan, wo eben festgestellt wurde, eigentlich befindet sich ein Katholik, wenn er dem Freimaurerbund angehört, im Stand schwerer Sünde, selbst wenn er das guten Willens tut, aber – und das ist der Unterschied zu früher – er wird nicht mehr exkommuniziert.
Starke Ablehnung in muslimischen Ländern
Jabs: Gibt es denn diese Männerbünde, diese Freimaurer, auch in anderen Kulturkreisen? Also gibt es muslimische Freimaurer, hinduistische, buddhistische?
Pöhlmann: Die Freimaurerei ist besonders stark natürlich in den westlichen Ländern – in Nordamerika, Australien, Europa. Es gibt vereinzelt auch Logen in anderen Ländern. Man hat ja immer so den Eindruck gehabt, gerade in Diktaturen hat die Freimaurerei keine Chance – eine große Ausnahme ist zum Beispiel Kuba, wo sich auch eine Großloge gebildet hat. Und durchaus gibt es in einzelnen Ländern, natürlich vor allem durch ausländischen Einfluss bedingt, auch einzelne Logen, aber in der muslimischen Welt ist die Ablehnung gegenüber der Freimaurerei doch sehr stark.
Frauen und Freimaurerei – ein Problem
Jabs: Sie beschreiben auch, dass es vor allem eine englische und eine französische Tradition gibt, wobei die meisten Freimaurer in Deutschland sich eher der englischen verpflichtet fühlen. Dort sind Frauen strikt verboten, deswegen sprechen wir ja auch über Männerbünde. Wie wird das denn im 21. Jahrhundert überhaupt noch gerechtfertigt?
Pöhlmann: Das ist ein großes Problem auch innerhalb der Freimaurerei, aber es wird immer wieder gesagt, in dem Moment, wenn Männer und Frauen gemeinsame Tempelarbeiten vollziehen, dann würde sich auch etwas in der Dynamik innerhalb einer Loge verändern. Man muss sagen, in Deutschland ist der Weg sehr steinig.
Immerhin ist es jetzt so, dass Frauen auch bei den Großlogentreffen stattfinden, aber durch die Vorgabe der englischen Großloge ist es ausgeschlossen, dass Männer und Frauen gemeinsame Tempelarbeiten vollziehen können. Es gibt in Deutschland auch einige Freimaurerinnen, etwa 600, und die Frauen sagen auch, nein, wir wollen unsere Tempelarbeiten auch eher unter uns vollziehen.
Jabs: Und was glauben Sie, wie wird sich das in der Zukunft noch entwickeln?
Pöhlmann: Das ist eine spannende Frage. Ich beobachte, dass es eher beharrende Kräfte gibt, die sagen, nein, das gehört zu unserem eigenen Profil. Ein Freimaurer, dem ich bei meinem Recherchen begegnet bin, sagte, für uns Männer ist es wichtig, auch Orte zu haben fernab vom Stammtisch oder vom Fußballplatz, wo wir uns untereinander austauschen können, das war seine Begründung.