Mythos und Legende

Von Anke Petermann |
Knapp 130.000 Zuschauer im ausverkauften Glasgower Hampden Stadion: Als erste deutsche Mannschaft stand Eintracht Frankfurt 1960 im Europokalfinale der Landesmeister. Das Spiel verliert die Eintracht mit 3:7 gegen Real Madrid - für die spektakuläre Niederlage gibt es 3000 D-Mark Prämie.
Das Jahrhundertspiel: 1960 erreichte Eintracht Frankfurt als erster deutscher Verein das Europokalfinale der Landesmeister - und unterlag Real Madrid mit 3:7

Eintracht Frankfurt im Jahr 1960 - international ein No-Name. Dennoch hatten sich die Feierabendkicker um Kapitän Alfred Pfaff ins Halbfinale gegen die mehrfachen schottischen Meister vorgekämpft, die Glasgow Rangers. Verteidiger Friedel Lutz erinnert sich:

"Die kamen als Profis hierher und haben gesagt, ja was ist denn Frankfurt, wo liegt das? Dann habbe mer se 6:1 heimgeschickt, die habbe Frankfurt nie mehr vergessen."

Diese Eintracht-Amateure, die kurz vorm Anpfiff von der Arbeit kamen und sich mit einer Tasse Kaffee in Schwung brachten. Torwart Egon Loy schaffte als Kaufmann bei der Frankfurter Metallgesellschaft, Verteidiger Friedel Lutz als Betriebsleiter einer Stuhlfabrik. Übliche Trainingsfrequenz in der Ära vor der Bundesliga: dreimal die Woche.

Vor dem ersten Europapokalfinale, das je eine deutsche Mannschaft erreichte, trafen sich die Eintracht-Spieler immerhin eine Woche lang allabendlich, erinnert sich Friedel Lutz, heute 74:

"Training war 18 Uhr, und drei Tage vom Endspiel sind wir nach Glasgow geflogen."

Außergewöhnlich früh, aber außergewöhnlich war ja auch, dass eine Mannschaft deutscher Amateure mit einem Monatssalär von ein paar hundert D-Mark inklusive Leistungsprämien gegen königlich bezahlte Profis antrat:

"Real Madrid, das war ja nicht nur die spanische Nationalmannschaft, sondern auch eine Weltauswahl, Puskás, Ungarn, di Stéfano Argentinien, Santamaria, Uruguay."

Anders als die Glasgow Rangers machte Real Madrid allerdings nicht den Fehler, den Deutschen Meister Eintracht Frankfurt zu unterschätzen. Zu Recht. Nach zwanzig Spielminuten die Sensation. Ausschnitt aus der Wochenschau im Mai 1960:

Lindner passt nach innen, Kreß ist da - 1:0

Die Eintracht führt gegen die vermeintlich Unschlagbaren. Knapp 130.000 Zuschauer im ausverkauften Glasgower Hampden Stadion stehen Kopf, die Schotten feiern die Frankfurter, die ihre Rangers zuvor eingemacht hatten.

In Deutschland wackeln Wohnzimmerlampen und Nierentische, ganze Kinosäle toben, das erste und einzige Fernseh-Programm wird dorthin direkt übertragen. Doch die Sensation währt nur kurz.

Drei Minuten später: Einen Mordsschuss von Canario kann Loy nicht festhalten. Di Stéfano vollendet zum 2:1. Jetzt sind die Spanier nicht mehr zu halten, Puskás erhöht auf 3:1.

Der Argentinier di Stefano und der Ungar Puskás wechseln sich ab beim Schützenfest der Madrilenen. Francisco Gento, angeblich bester Linksaußen auf dem Kontinent, kommt dagegen nicht zum Zuge. Ihn deckt der Verteidiger Friedel Lutz, der flinke Sprinter mit dem Grübchen im Kinn.

"Man hat mir nach'm Spiel bescheinigt, dass ich ihn quasi kaltgestellt habe. Das gab ne Lobeshymne vom Sepp Herberger, des war quasi der Startschuss zu meinem ersten Länderspiel im August in Island."

Das Sprungbrett in die Nationalmannschaft
Zusätzlich gibt es für die spektakuläre Niederlage gegen die Königlichen zwei Festbankette, einen umjubelten Empfang auf dem Frankfurter Römer-Balkon, 3000 D-Mark Prämie, allerdings erst nach hartem Ringen mit den sparsamen Bossen der Eintracht.

Nur die Hälfte hatten sie rausrücken wollen. Überraschend großzügig dagegen die überlegenen Gegner aus Madrid, jeder Real-Spieler übergibt seinem deutschen Kontrahenten nach dem Sieg eine goldene Armbanduhr.

Ein Exemplar liegt heute in einer Vitrine des Frankfurter Eintracht-Museums, freut sich dessen Leiter Matthias Thoma:

Thoma: "Der Friedel Lutz hat sie uns gegeben, nachdem wir ihn freundlich gebeten haben."

War nicht so ganz das Übliche eine goldene Uhr?

Thoma: "Damals sicher nicht. Friedel, was hat die Eintracht mitgebracht?"

Lutz: "Ich glaube, mir habbe nur e Wimpel übergeben. Wir hatte das gar nicht gekannt, so wertvolle Sachen. Der Wimpoel hat vielleicht 20 DM gekostet und die Uhr vielleicht 600, des war schon - man konnte des gar net fasse."

Das Schlusswort freilich spricht die deutsche Mannschaft, der man rückhaltlos bestätigen kann, dass sie es den Ballartisten von Real Madrid schwerer gemacht hat, als es das Resultat besagt. Stein erzielt das 7:3, das zehnte Tor eines faszinierenden Spiels.

Mythos, Legende, einzigartige Fußballkunst des 20. Jahrhunderts. Ihre Artistik entfalteten die Spanier natürlich nur deshalb so grandios, urteilt später die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", weil die Finalisten der Eintracht sie mit elegantestem Offensivspiel dazu zwangen.