Mythos und Machtmensch
Barbarossa ist vor allem durch die Legende vom Kyffhäuser bekannt geworden. Knut Görich setzt den "Kaiser Rotbart" voller Akkuratesse in seinen historischen Kontext. Herausgekommen ist aber mehr ein 800 Seiten langes Referat als eine Biografie.
Angeblich hauste er dösend im Kyffhäuser und wartete, bis die Zwietracht unter deutschen Stämmen ein Ende gefunden hatte, um dann als Erlöser des Vaterlands wieder aufzuerstehen. So jedenfalls wollte es einer der populärsten nationalen Mythen der Deutschen, der nicht zufällig seine Hochkonjunktur erfuhr, als der preußische Adler mit Macht die zänkischen Raben in deutschen Landen vertrieben hatte.
Kaiser Wilhelm I. erschien vielen wie eine Reinkarnation des Kaisers Rotbart lobesam, und der zweite Wilhelm sah sich selbst gern so. Auch die Geschichtswissenschaft blieb, von dem nationalem Legitimationsbedürfnis nach Herkunft beseelt, lange im Bann dieses Mythos. Man erblickte in Barbarossa gern einen frühen süddeutschen Preußen, der vieles von dem vorwegnahm, was 1871 Wirklichkeit werden sollte. Knut Görich hat mit seiner neuen Barbarossa-Biographie auf nahezu 800 Seiten noch einmal verdienstvoll und voller Akkuratesse mit diesem demagogischen Missverständnis aufgeräumt und eine bedeutende Figur des Mittelalters in ihren gehörigen historischen Kontext gesetzt.
Ein literarisch gebildeter Mensch war Barbarossa, im Unterschied zu seinem intellektuellen Enkel Friedrich II., mit Sicherheit nicht. Er konnte weder lesen noch schreiben - auch wenn er mit der Zeit etwas Latein lernte - und empfand sich in erster Linie als Miles, der Pferd und Waffen sowie das Feld der Ehre und die Kunst der Beredsamkeit virtuos beherrschte.
So sind wir, wenn es um seine Person geht, auf Quellen zweiter Hand angewiesen, zudem oft auf Niederschriften lange nach den dort geschilderten Ereignissen. Görichs Darstellung zeigt die geübte Hand des kritischen Historikers, der sich mit Feingefühl dieses Umstands bewusst ist, die Dokumente sehr genau liest und jede Spekulation dankenswerterweise vermeidet.
Zweimal nahm Barbarossa das Kreuz. Einmal als junger Mann 1147 an der Seite Konrads III., wo er sich bei der Belagerung von Damaskus bewährte. Der Kreuzzug war kein Erfolg, aber er führte ihn zum ersten Mal die weiteren Problemzonen der damaligen internationalen Politik vor Augen. Auch der zweite Kreuzzug, an dem er sich beteiligte, war am Ende ein Desaster. Er selbst kam, siebzig Jahre alt, am 10. Juni 1190 nahe der armenischen Mittelmeerstadt Silifke in den Fluten des Saleph ums Leben. Das heilige Unternehmen brach kurz darauf zusammen. Barbarossas unwirkliches Verschwinden aber, so Görich, wurde zur Voraussetzung seines späteren Mythos.
"Hätte der Staufer – wie seine salischen Vorgänger und Verwandten – eine Grablege im Dom zu Speyer gefunden, dann wäre sein Grab als materieller Anhaltspunkt seines Todes in Reichweite gewesen. Die Erzählung vom Herrscher, der zwar gestorben, aber nicht tot ist, sondern im Berg schläft und auf seine Wiederkehr wartet, hätte sich nicht an Barbarossa knüpfen und die Phantasie späterer Jahrhunderte so sehr anregen können, dass ihm noch eine postume Karriere als Nationalmythos beschieden war. Aber das Verschwinden faszinierte."
Nationalhistoriker des 19. Jahrhunderts gingen so weit, ihm Ansätze zu einer gezielten Ersetzung des Lehenwesens durch Frühformen des modernen Beamtentums zu unterstellen. Besonders sein hartes Durchgreifen in Oberitalien und seine Berufung auf römisches Cäsarenrecht sollten diese Sichtweise belegen. Görich hält zu recht dagegen, dass dabei von gezieltem Kalkül kaum die Rede sein kann und Barbarossa zu keiner Zeit den Horizont mittelalterlicher Denk- und Redeordnung wirklich transzendierte. Man wollte es, aus geschichtspolitischen Gründen, aber lange Zeit gern so sehen.
"Historiker machten mittelalterliche Kaiser zu Helden von Modernisierungsgeschichten und bewerteten deren Politik danach, in welchem Ausmaß sie zu Effektivierung, Zentralisierung und Stärkung der Königsherrschaft beigetragen hatte – denn ein starkes Königtum schien die Voraussetzung der Nation zu sein, die man als eigentliches Ziel der Geschichte betrachtete."
Kurz: Barbarossa wurde so durch die kreative Arbeit an seinem Mythos zu einem nationalen Machtpolitiker. Ein Machtmensch war er, so Görich, zweifellos. Aber er blieb doch immer ein Mensch des Mittelalters, der in erster Linie auf dem Feld der Ehre focht. Knut Görich hat eine saubere Darstellung dieses bedeutenden Kaisers geliefert. Dennoch. Es ist am Ende - leider eine Untugend vieler deutscher Historiker - eher ein 800 Seiten langes Referat als eine wirkliche Biographie dabei herausgekommen.
Vieles ist zu langatmig und detail versessen geraten, wobei die großen Linien oft aus dem Blickfeld geraten, zu viele selbstreferentielle Mitteilungen eines Historikers an Fachkollegen. Vor allem aber fehlt jene dramaturgische Verdichtung, die eine Biographie erst lesenswert macht. Schade um ein ansonsten inhaltlich kaum zu bemängelndes Buch.
Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie
Verlag C.H. Beck, München 2011
Kaiser Wilhelm I. erschien vielen wie eine Reinkarnation des Kaisers Rotbart lobesam, und der zweite Wilhelm sah sich selbst gern so. Auch die Geschichtswissenschaft blieb, von dem nationalem Legitimationsbedürfnis nach Herkunft beseelt, lange im Bann dieses Mythos. Man erblickte in Barbarossa gern einen frühen süddeutschen Preußen, der vieles von dem vorwegnahm, was 1871 Wirklichkeit werden sollte. Knut Görich hat mit seiner neuen Barbarossa-Biographie auf nahezu 800 Seiten noch einmal verdienstvoll und voller Akkuratesse mit diesem demagogischen Missverständnis aufgeräumt und eine bedeutende Figur des Mittelalters in ihren gehörigen historischen Kontext gesetzt.
Ein literarisch gebildeter Mensch war Barbarossa, im Unterschied zu seinem intellektuellen Enkel Friedrich II., mit Sicherheit nicht. Er konnte weder lesen noch schreiben - auch wenn er mit der Zeit etwas Latein lernte - und empfand sich in erster Linie als Miles, der Pferd und Waffen sowie das Feld der Ehre und die Kunst der Beredsamkeit virtuos beherrschte.
So sind wir, wenn es um seine Person geht, auf Quellen zweiter Hand angewiesen, zudem oft auf Niederschriften lange nach den dort geschilderten Ereignissen. Görichs Darstellung zeigt die geübte Hand des kritischen Historikers, der sich mit Feingefühl dieses Umstands bewusst ist, die Dokumente sehr genau liest und jede Spekulation dankenswerterweise vermeidet.
Zweimal nahm Barbarossa das Kreuz. Einmal als junger Mann 1147 an der Seite Konrads III., wo er sich bei der Belagerung von Damaskus bewährte. Der Kreuzzug war kein Erfolg, aber er führte ihn zum ersten Mal die weiteren Problemzonen der damaligen internationalen Politik vor Augen. Auch der zweite Kreuzzug, an dem er sich beteiligte, war am Ende ein Desaster. Er selbst kam, siebzig Jahre alt, am 10. Juni 1190 nahe der armenischen Mittelmeerstadt Silifke in den Fluten des Saleph ums Leben. Das heilige Unternehmen brach kurz darauf zusammen. Barbarossas unwirkliches Verschwinden aber, so Görich, wurde zur Voraussetzung seines späteren Mythos.
"Hätte der Staufer – wie seine salischen Vorgänger und Verwandten – eine Grablege im Dom zu Speyer gefunden, dann wäre sein Grab als materieller Anhaltspunkt seines Todes in Reichweite gewesen. Die Erzählung vom Herrscher, der zwar gestorben, aber nicht tot ist, sondern im Berg schläft und auf seine Wiederkehr wartet, hätte sich nicht an Barbarossa knüpfen und die Phantasie späterer Jahrhunderte so sehr anregen können, dass ihm noch eine postume Karriere als Nationalmythos beschieden war. Aber das Verschwinden faszinierte."
Nationalhistoriker des 19. Jahrhunderts gingen so weit, ihm Ansätze zu einer gezielten Ersetzung des Lehenwesens durch Frühformen des modernen Beamtentums zu unterstellen. Besonders sein hartes Durchgreifen in Oberitalien und seine Berufung auf römisches Cäsarenrecht sollten diese Sichtweise belegen. Görich hält zu recht dagegen, dass dabei von gezieltem Kalkül kaum die Rede sein kann und Barbarossa zu keiner Zeit den Horizont mittelalterlicher Denk- und Redeordnung wirklich transzendierte. Man wollte es, aus geschichtspolitischen Gründen, aber lange Zeit gern so sehen.
"Historiker machten mittelalterliche Kaiser zu Helden von Modernisierungsgeschichten und bewerteten deren Politik danach, in welchem Ausmaß sie zu Effektivierung, Zentralisierung und Stärkung der Königsherrschaft beigetragen hatte – denn ein starkes Königtum schien die Voraussetzung der Nation zu sein, die man als eigentliches Ziel der Geschichte betrachtete."
Kurz: Barbarossa wurde so durch die kreative Arbeit an seinem Mythos zu einem nationalen Machtpolitiker. Ein Machtmensch war er, so Görich, zweifellos. Aber er blieb doch immer ein Mensch des Mittelalters, der in erster Linie auf dem Feld der Ehre focht. Knut Görich hat eine saubere Darstellung dieses bedeutenden Kaisers geliefert. Dennoch. Es ist am Ende - leider eine Untugend vieler deutscher Historiker - eher ein 800 Seiten langes Referat als eine wirkliche Biographie dabei herausgekommen.
Vieles ist zu langatmig und detail versessen geraten, wobei die großen Linien oft aus dem Blickfeld geraten, zu viele selbstreferentielle Mitteilungen eines Historikers an Fachkollegen. Vor allem aber fehlt jene dramaturgische Verdichtung, die eine Biographie erst lesenswert macht. Schade um ein ansonsten inhaltlich kaum zu bemängelndes Buch.
Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie
Verlag C.H. Beck, München 2011