Bolivien zelebriert 50. Todestag von Che Guevara
Er starb ausgemergelt und allein im bolivianischen Dschungel. Kein Ort für die Weltrevolution, aber ideal zur Legendenbildung. 50 Jahre nach seinem Tod - am 9. Oktober 1967 - profitieren viele von Che Guevara, nicht nur seine Anhänger.
Einige der letzten Einträge im Tagebuch von Che Guevara:
"Heute beginnt eine neue Etappe!"
"Zwei Stunden bahnten wir uns durch wildes Dickicht bergabwärts. Mein Asthma macht mir schwer zu schaffen."
"Der Rundfunksender La Cruz del Sur teilt mit, dass die Leiche der Guerillera Tania am Ufer des Rio Grande gefunden wurde."
"Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme zu Joaquin und zur Außenwelt. Von einer Mobilisierung der Bauern kann keine Rede sein."
"Die Leute sind immer niedergeschlagener, sie sehen das sich ankündigende Ende des Proviants, aber nicht das des Weges."
Er kam zum Sterben nach Bolivien
"Als wir Che gefangen nahmen, am Tag bevor er exekutiert wurde, war er krank und gebrechlich, dreckig und mit Lumpen bekleidet und völlig deprimiert. Sein Revolutionsprojekt war gescheitert, seine Geschichte zu Ende."
Das sagt der Mann, der den wohl berühmtesten Revolutionär und seinen verbliebenen Trupp von 17 Guerilleros zur Strecke brachte. Gary Prado, bolivianischer General, italienischer Abstammung. Er leitete vor 50 Jahren die von den USA gestützte, 650-Mann-starke Anti-Guerilla-Operation – heute sagt er: Che kam zum Sterben nach Bolivien.
"Kuba wollte den Che loswerden, weil er ein Mann war, der immer nur weiter kämpfen wollte, deswegen haben sie ihn hergeschickt und dann langsam die Verbindung gekappt. Und die Kommunistische Partei hier, hat ihn auch nicht unterstützt. Dazu war die berühmte Guerilla ein Desaster, ihre Fehler kindisch, Ches militärische Führungskraft gleich null: ohne Kenntnis über die Region und die Menschen. Wir hatten hier schon Anfang der 1950er Jahre eine Revolution mit Landreform, deswegen schloss sich kein Bauer an. Der Präsident war sehr populär, es ging den Menschen gut, wir lebten in einer Demokratie."
Das ist die Version von Gary Prado. Es gibt aber auch noch andere.
Pilgerfahrt zum Sterbeort von Che Guevara
Von Boliviens Wirtschaftsmetropole Santa Cruz im tropisch-schwülen Tiefland geht es in die Sierra. Kokospalmen und Kakaostauden, dann Farne und Lianen, später Pfefferbäume und Pinien. Sieben Stunden und Dutzende Schlaglöcher sind es bis in die Kreisstadt Vallegrande – von dort nochmal drei weitere über Schotterpisten und Nebel verhangene Bergpässe nach La Higuera. Ein gottverlassenes 100-Seelen-Dorf, in das sich kein Tourist verirren würde, wäre es vor 50 Jahren nicht unfreiwillig Schauplatz der Weltgeschichte geworden: Als der Ort, an dem Che Guevara getötet wurde.
"Die Reise auf den Spuren des Che ist keine Butterfahrt, sondern eine Hommage, eine Wiederbegegnung mit ihm – ja, im Grunde ist es wie eine Pilgerfahrt. Für die Linke, Revolutionäre und alle, die für einen sozialen Wandel kämpfen, ist es wie die Hadsch nach Mekka."
Sagt Erlan Garcia, der 30-Jährige mit stolzem Bauch und skeptischem Blick wäre selbst ein glühender Pilger, wenn er nicht bereits in der Region leben würde. Nun führt er Touristen zu den letzten Stationen seines Idols.
Wir fahren an den Ort der letzten Schlacht der Guerilla am 8.Oktober 1967. Und das ist auch der Orte, an dem der Mythos des Che beginnt.
Bewaldete Hügel, Mais- und Yucca-Felder, zerklüftete, von kleinen Bächen durchzogene Tälern – ein bereits verwittertes Schild weist den steilen Abstieg in die Quebrada de Yuro: Die Schlucht der Schnecken wurde zur Falle. Das Militär griff von beiden Seiten an, die Guerilla war umzingelt. Eine Gedenk-Steinplatte in Sternform erinnert daran.
"Ein Bauer hier aus dem Tal hat die Guerilleros an die Soldaten verraten, die haben hier ja alles besetzt. Er hatte gesehen, wie eine andere Bäuerin, die Zwergin, ihnen trotz der Gefahr Essen verkaufte, Mais, eine Ziege, ein Schwein, er hat sie verraten."
Doña Irma Cañizares sitzt in ihrem Lehmhaus, das sich oben, im Weiler La Higuera windschief an den Berghang schmiegt. Vorne betreibt sie einen Gemischtwarenladen, im Hinterhof gackern die Hühner. Gegenüber, auf dem Dorfplatz, steht eine große Statue: Che Guevara, den rechten Arm zum Kampf erhoben, Zigarre zwischen den Fingern.
"Am Morgen des 8. Oktober fing die Schießerei an, bis um 5 Uhr abends. Dann brachten sie ihn hier ins Dorf, mit dem zerzausten Bart, vor lauter Haaren sah man das Gesicht fast nicht, dreckig war er, die Kleidung zerrissen, in die Schule brachten sie ihn."
Damals, an jenem 8. Oktober, war sie 20 Jahre jung und arbeitete im Haus des Telegrafen, in dem die Soldaten Stellung bezogen. Am Morgen des 9. Oktober kam der Befehl – direkt vom Präsidenten Boliviens: "Sag Papa Guten Tag" – hieß das Codewort für die Hinrichtung.
Ausgeführt haben soll sie der Soldat Mario Terán, sagt Erlán Garcia und schreitet ehrfurchtsvoll durch die alte Schule, die damals zwei Klassenzimmer hatte, heute ist es nur noch ein Raum, die Lehmwände sind gepflastert mit Gedenkkarten, Fahnen, Revolutions-Nippes.
"Sie töten einen Menschen, soll der Che zum Gefreiten Mario Terán gesagt haben, zeigen sie Haltung und zielen Sie gut. Man sagt, Terán hat sich vorher betrunken, um überhaupt den Mut aufzubringen."
Durch diese Tür ging ein Mann in die Ewigkeit, hat jemand auf den Holzrahmen gepinselt. Dona Irma legt den Kopf schief und bittet um ein paar Dollar für das Interview. Sie verkauft auch vergilbte Che-Fotos. T-Shirts, Baskenmützen und Bücher gibt es weiter oberhalb der einzigen, staubigen Straße des Weilers, in den Hostels "Los Amigos" und "Haus des Telegrafisten", die beide französischen Aussteigern gehören.
"Damals gab es die Propaganda, dass die Guerilleros die Menschen in den Dörfern misshandelten und die Frauen vergewaltigten. Und danach war es uns verboten über den Che zu sprechen, es war gefährlich. Erst nach der Diktatur haben wir erfahren, dass der Che den Armen helfen wollte. Wenn wir das damals gewusst hätten, hätten wir ihn vielleicht unterstützt und wären heute nicht so arm."
"Che hätte Revolutionstourismus niemals erlaubt"
Viel, das ahnt man, hat sich in La Higuera, nicht verändert in den letzten 50 Jahren. Der Aufschwung, den man sich vom Revolutions-Tourismus versprach, ist bisher ausgeblieben. Fremdenführer Erlán macht das wütend, auch wenn er natürlich weiß, dass ein Vermarktung eigentlich nicht im Sinne seines Idols gewesen wäre – er kämpft ja selbst mit diesem Dilemma
"Wenn der Che noch am Leben wäre, hätte er niemals erlaubt, dass mit seinem Bild Geschäfte gemacht werden. Das Problem ist, wir leben in einer Gesellschaft, die das fordert und wenn wir den Touristen keinen Service anbieten, machen es andere. Man muss eine soziale Idee damit verbinden."
Erlán möchte der Region gerne etwas zurückgeben. Es gibt da nur ein Problem: Die Provinzverwaltung und ihren Bürgermeister in Vallegrande. Für linksrevolutionäre Romantik hat der nämlich nichts übrig.
Vallegrande, Sitz der Provinzverwaltung. Der Bürgermeister Casto Romero Peña sitzt hinter einem Holzschreibtisch in einem großen, leeren Raum und sagt:
"Wenn Sie durch Vallegrande laufen, werden Sie merken, dass es viele Leute gibt, die mit Ches Ideologie sympathisieren, aber auch Leute, die das nicht tun. Ich persönlich gehöre zur zweiten Gruppe, auch wenn ich anerkenne, dass sich hier Historisches zugetragen hat, das können wir ja nicht verheimlichen."
Die Stadtverwaltung tut allerdings wenig, um darauf hinzuweisen. Nur morgens ist das Informations-Büro am Kirchplatz geöffnet, weiterführendes Material, gar Souvenirs oder Bücher findet man dort genauso wenig wie im Rest der Stadt – Erlán Garcia würde das gern ändern, Kulturbeauftragter werden, doch da macht der Bürgermeister natürlich nicht mit
"Vallegrande ist nicht auf internationale Touristen vorbereitet, wir haben kaum ordentliche Restaurants und Hotels, die Straßen sind schlecht. Das ist, weil die Verwaltung hier seit Jahren in Händen der rechten Opposition ist und keinen Sinn darin sieht, in den Che zu investieren."
Che kam tot mit dem Hubschrauber nach Vallegrande
Die 60 Kilometer der so genannten "Ruta del Che" von La Higuera in die Kreisstadt Vallegrande sind bis heute nicht geteert, es fährt kein öffentliches Verkehrsmittel, ein Taxi kostet mehr als die Busfahrt in die nächste Großstadt. Che Guevara brachten sie damals per Hubschrauber, erinnert sich Susana Osinaga an jenen 9.Oktober vor 50 Jahren, den wohl denkwürdigsten Tag ihrer Dienstzeit als Krankenschwester im örtlichen Hospital Nuestro Señor de Malta.
"Sie brachten ihn um 10 Uhr morgens mit einem Helikopter, festgebunden an einer Kufe. Da war er bereits tot. Er hatte ein Einschussloch in der Brust. Wir wussten nicht, wer er war, aber er schien sehr wichtig zu sein."
In ihre mittlerweile zittrigen und von dicken Adern durchzogenen Hände fiel es, den Leichnam zu waschen, Formalin gegen die Verwesung zu spritzen und ihn herzurichten – in der Lavanderia, dem alten Waschhaus im Hinterhof des Krankenhauses.
Ein Ziegeldach, drei Steinwände, übersäht mit Graffitis und Sprüchen: "Venceremos" steht da, "Wir werden siegen!", "Für immer Comandante" und "Che, I Love you! ". In der Mitte der steinerne Waschtisch ist heute geschmückt mit Blumen und Kerzen, fast wie ein Altar. Dort lag er, der Guerillero: Ausgemergelt, bekleidet nur mit einer Stoffhose, umringt von Militärs. Ligia Morón, damals ein junges Mädchen, war eine der ersten Neugierigen, die kam, um den berühmten Toten zu sehen.
"Seine Augen, die standen weit offen. Und sie folgten dir durch den ganzen Raum. Wie er da lag sah er aus wie Jesus Christus, er war sehr schön und sein Blick sagte uns, sie haben meinen Körper getötet, aber mein Geist ist lebendig geblieben."
Che, der Märtyrer, der für seine Ideen und Überzeugungen das eigene Leben ließ. Ein Bild für die Unsterblichkeit, es ging um die Welt. Genau das wollte Boliviens Militärregime eigentlich verhindern. Sie ließen sie den Leichnam verschwinden, hackten ihm vorher noch die Hände ab – dieser argentinische Guerillero, der von Bolivien aus die Weltrevolution anzetteln, das Land gar in ein zweites Vietnam verwandeln wollte, er sollte so schnell wie möglich in Vergessenheit geraten. Das ging bekanntermaßen schief.
Das Mausoleum für Che Guevara
20 Gehminuten vom Zentrum entfernt - dort, wo Che Guevaras Überreste einst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verscharrt und erst 30 Jahre später wieder exhumiert wurden, steht das Mausoleum, in Form einer Kapelle – darin Fotos und Tafeln zum Lebensweg des in Argentinien geborenen Rebellen und Doktor der Medizin, der erst ganz Südamerika bereiste, dann in Kuba an der Seite Fidel Castros die Revolution gewann und seine Idee, den Sozialismus in die Welt zu exportieren, in Bolivien mit dem Leben bezahlte.
"Es ist gut, dass man an seine Geschichte erinnert, an seine Ideen und seine Ideale, gerade heute, wo unsere Gesellschaft wie eingeschläfert ist."
"Ich bete jeden Tag zu ihm und er hilft mir, er vollbringt Wunder, wir nennen ihn Santo Che, den Heiligen."
Flüstert eine Rentnerin aus Vallegrande.
"Er war der Vorreiter der katholischen Soziallehre deswegen habe ich also mehr Hoffnung, dass man über die Sympathisanten vom Che die Welt verbessern kann als leider Gottes mit unserer Kirche."
Erklärt Padre Anastacio, der eigentlich Erwin Kohmann heißt und im Schwarzwald geboren wurde – bevor er in den 60er Jahren als Franziskanermönch nach Südamerika kam, zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit erlebte und die Befreiungstheologie für sich entdeckte. Kritik am Che, an seinem bewaffneten Kampf, hört man hier nicht – Erlan Garcia sagt:
"Zu sagen, der Che war gewalttätig und ein Mörder , hat etwas Scheinheiliges. Wir müssen die andere Seite sehen und den historischen Kontext. Heute ist die Zeit der Guerillas vorbei, aber nicht die seiner Ideale. Solange es Ungerechtigkeit gibt, wird es neue Ches geben."
Direkt neben dem Grabmal – Volksfeststimmung. Der letzte Teil des neuen Kulturzentrums Che Guevara wird eingeweiht: mit Bibliothek, Kino, Freilichtbühne und einem großen Park – Bürgermeister Romero Peña muss eine Rede halten.
Fördergelder für Vallegrande durch Che
Er schafft es, dabei den Namen Che Guevara nicht einmal zu erwähnen – dabei profitiert seine Stadt wie nie von der Revolutions-Ikone. Im Vorfeld des 50. Todestages ist viel Geld geflossen. Aus Kuba, die zudem alle historischen Schauplätze auf Vordermann gebracht haben – und aus La Paz von der Regierung des linken Präsidenten und bekennenden Che-Fans Evo Morales.
"Dank dieser zehn Jahre Evo haben wir Infrastruktur, haben wir dieses riesige Colegio dort, die Universität mit ihrer Lehrerausbildung und deswegen habe ich also mehr Hoffnung, dass man über die Sympathisanten vom Che die Welt verbessern kann, als leider Gottes mit unserer Kirche."
Erklärt Padre Anastacio, der eigentlich Erwin Kohmann heißt und im Schwarzwald geboren wurde – bevor er in den 60er Jahren nach Südamerika kam, die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit kennenlernte und die Befreiungstheologie entdeckte. Er war es, der vor 20 Jahren, das erste Internationale Che Guevara Treffen in Vallegrande organisierte – gemeinsam mit Alt-Guerillero Chato Peredo, Bruder zweier Mitstreiter des Che Guevara:
"Viele haben gedacht, jaja, die 86er die kommen jetzt alle aus Europa, denen geht es allen gut, die bezahlen uns das Festival und nichts, keine 86er gekommen, Chilenen, Argentinier, von ganz Südamerika und alle ohne Geld, das Festival war praktisch immer gratis, da kam nicht viel rein."
Das soll jetzt, zum 50-Jährigen, anders werden. Präsident Evo Morales hat die Feierlichkeiten zur Chefsache erklärt, die ganze Linke Lateinamerikas ist eingeladen, von Raul Castro bis zu Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva, es wird ein Konzert des Argentiniers Leon Gieco geben und Dixi-Klos.
Was machen die Jäger von Che Guevara heute?
Auch sieben Autostunden entfernt, in der Wirtschaftsmetropole Santa Cruz laufen die Vorbereitungen. General Gary Prado arbeitet an der vierten Auflage seines Beststellers "Wie ich den Che gefangen nahm" und will außerdem ein Denkmal errichten – für das Anti-Guerilla-Kommando von damals. Viele sind nicht übrig geblieben: Sechs Politiker oder Generäle starben eines gewaltsamen Todes, darunter Präsident René Barrientos, der bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben kam.
Todesschütze Mario Terán lebt isoliert, es heißt, er sei dem Alkohol verfallen. Und das Gros der wehrpflichtigen Fußsoldaten schlägt sich heute mit Gelegenheitsjobs durch - die linke Regierung von Präsident Evo Morales verweigert ihnen eine Pension. Der Fluch des Che Guevara? Unsinn, sagt Gary Prado, den die Regierung ebenfalls auf dem Kieker hat: Er sei Kopf einer rechten Verschwörung.
"Das ist mir schnurzegal, die Vorwürfe sind unhaltbar. Das ist eine symbolische Racheaktion, weil ich den Che gejagt habe, das hat die Regierung ja sogar zugegeben. Aber ein Fluch? Es gibt keinen Fluch!"
Er kommt kopfschüttelnd hinter seinem Schreibtisch hervor gefahren – im Rollstuhl. Vor einigen Jahren schoss er sich beim Reinigen der eigenen Waffe ins Rückgrat – und ist seitdem querschnittsgelähmt.