Nach Anschlag auf "Charlie Hebdo"

"Islamisierung" bleibt ein polemischer Einwurf

Nach dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo", zeigen Tausende Menschen in Monaco ihre Solidarität mit Schildern, auf denen "Je suis Charlie" steht.
Nach dem Anschlag auf die Redaktion von "Charlie Hebdo", zeigen Tausende Menschen in Monaco ihre Solidarität mit Schildern, auf denen "Je suis Charlie" steht. © dpa / picture alliance / Cyril Dodergny
Von Stephan Hebel · 09.01.2015
Selbst streng religiöse Moslems äußern sich positiv zu Demokratie und Pluralität, fühlen sich verbunden mit dem Staat und der Gesellschaft in Deutschland. Diese Perspektive vermisst Stephan Hebel in der Islamdebatte - die ohnehin auf Abwege geraten sei.
Werden Ängste und Feindbilder nunmehr bestätigt? Rechtfertigt das Attentat auf "Charlie Hebdo" in Paris die Sprache, in der hierzulande die Gefahr der Islamisierung beschrieben wird? Oder darf man, noch ehe die Opfer begraben sind, vor der pauschalen Etikettierung muslimischer Mitbürger als Risiko für das sogenannte Abendland warnen?
Ja: Gerade jetzt ist Vorsicht geboten. Vorsicht angesichts einer Sprache, die die Grenze zwischen Abscheu vor Terroristen und Diffamierung ganzer Bevölkerungsgruppen verwischt. Sei es mit Absicht oder ohne.
In der deutschen Debatte jagen sich die "Ismen". Es wimmelt von Dschihadisten, Salafisten und Islamisten. Das kann nicht ohne Auswirkungen bleiben auf die Wahrnehmung des Islam insgesamt und der Menschen, die sich zu ihm bekennen.
Sind es Terroristen, vor denen uns der Bundesinnenminister warnt, wenn er von "Gefährdern" spricht? Sind es "Dschihadisten", und wenn ja, wer oder was genau soll das sein? Oder sind es Salafisten, obwohl viele, die den Salafismus ängstlich im Munde führen, keine Ahnung haben dürften, was das ist?
Oder sind in Wahrheit doch der Islam und die Muslime insgesamt gemeint? Wer, wie die Demonstranten in Dresden, die "Islamisierung des Abendlandes" an die Wand malt, redet nicht nur von den Terroristen, denen ja nun wirklich das Handwerk zu legen ist, wo immer es geht. Er hat die muslimische Minderheit insgesamt im Auge.
"Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" sangen wir als Kinder, wenn es darum ging, unserer Furcht eine Gestalt zu geben. Der "schwarze Mann" von heute ist der Muslim, den wir – das klingt bedrohlicher – einen Dschihadisten, einen Salafisten, einen Islamisten nennen.
Man könnte manche Etikettierung ja verkraften, trüge sie irgendetwas zur Linderung der Konflikte bei, die es in einer hochkonkurrenten, kapitalistischen Zuwanderungsgesellschaft ja tatsächlich gibt. Die Zuschreibungen wären sogar zu begrüßen, wenn sie helfen könnten, einen konkreten Verdacht abzuleiten und Gewalt womöglich zu verhindern.
Allumfassende, abstrakte Bedrohung
Genau das aber tut diese Debatte nicht. Sie macht die Bedrohung, indem sie sie verallgemeinert, so allumfassend und abstrakt, dass gar nichts anderes übrigzubleiben scheint, als Einwanderung zu verhindern, um verschwinden zu lassen, was uns bedroht.
Das macht blind, gerade für die realen Bedrohungen durch Terror und Gewalt. Und es macht blind für die Möglichkeiten, die es gäbe, die Konflikte zwischen Mehrheitsgesellschaft und Migranten so zu bearbeiten, dass Halbstarke in den Randgebieten unserer Städte auf der Suche nach Perspektiven erst gar nicht mehr abgleiten in die Gewalt.
Zugegeben: Diese Wege erscheinen, erst recht unter dem Eindruck des Anschlags von Paris, mühselig und lang. Aber es soll niemand glauben, es ginge mit Repression allein.
Vor allem die Wahrer des Rechtsstaats, besonders in der Politik, sollten sich der Versuchung pauschaler Zuschreibungen entziehen. Aber sie tun es nicht. Sie erfinden stattdessen neue Etiketten, zum Beispiel "Gefährder".
Der Gefährder ist ein Konstrukt ohne jede gesetzliche Grundlage. Er bezeichnet Menschen – häufig Zuwanderer, gegen die es nicht einmal den Verdacht einer strafbaren Handlung gibt, von denen aber Geheimdienstler oder Polizisten die "Annahme" hegen, dass sie "politisch motivierte Straftaten" begehen könnten.
Das sind die Sprache und die Praxis des vagen Verdachts, auf den dann solche Maßnahmen wie der Entzug des Personalausweises folgen sollen. Bei aller Notwendigkeit konsequenter Terrorbekämpfung: Wer so mit Gefahren umgeht, legt selbst Hand an den Rechtsstaat, den zu verteidigen er behauptet.
Die Islamophoben auf der Straße haben prominentere Vorbilder, als sie glauben.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
Bucherscheinungen: "Mutter Blamage. Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht" (Westend Verlag 2013) sowie „Deutschland im Tiefschlaf. Wie wir unsere Zukunft verspielen" (Westend Verlag 2014).
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau
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