Antisemitismus als Dauerzustand
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Vor Antisemitismus sei man nur auf dem Mond sicher, wusste schon Hannah Ahrendt. Unser Redakteur fürchtet sich mittlerweile selbst unter Freunden vor Gesprächen über Israel. Er fragt sich: Warum wird dieses Land stets nach Sonderregeln beurteilt?
Ich hätte da einen Wunsch. Über Juden so zu reden, wie über alle anderen auch. Wie über, sagen wir, Helgoländer. Für Juden gilt nämlich was für Helgoländer auch gilt: Es gibt nette und nicht so nette, es gibt kluge und nicht so kluge, es gibt große, kleine, dünne, dicke. Es gibt welche, die haben viel Geld, andere haben mittelviel Geld und wieder andere haben gar kein Geld. Die einen reisen viel, die anderen wenig. Die einen sind Fahrradfahrer, die anderen nehmen das Auto.
Also, wo ist das Problem?
Nun, es gibt einen Grund, warum es so schwer ist: Weil Juden – im Gegensatz zu Helgoländern – seit Jahrhunderten mit Feindschaft überzogen werden. Vor Antisemitismus ist man nur auf dem Mond sicher, stellte Hannah Ahrendt schon fest. Und in der Tat. Judenfeindlichkeit ist ein Dauerzustand. Überall. Das geht so weit, dass ich zum Beispiel schon gar keine Lust mehr habe, über Israel zu reden. Ich verlasse dann oft den Raum. Auch bei Freunden oder Nachbarn am Tisch, bei einem guten Abendessen. Es fällt das Wort "Israel" oder "Juden" und schon kommt die Angst vor einer hässlichen Diskussion. "Was kommt jetzt schon wieder?", denke ich dann. Oft kommt dann was Grundsätzliches. Viele fühlen sich berufen, was zu sagen.
An Israel werden andere Kriterien angelegt
Zum Beispiel Israel. Ein Staat an den regelmäßig andere Kriterien angelegt werden als an andere Staaten dieser Welt. Das lässt sich im privaten Rahmen genauso beobachten wie in der globalen Politik. UN-Resolutionen und Papiere verurteilen Israel so viel wie alle anderen Staaten zusammen. Ähnliches gilt für die UNESCO, auch dort hat man ein unfreundliches Auge auf Israel geworfen. Großzügig ist man an vielen Orten dagegen mit der israelfeindlichen BDS-Bewegung.
Warum? Es lässt sich nur damit erklären, dass an Israel andere Maßstäbe angelegt werden. Nur mit welchem Recht? Warum wird – sagen wir – China nicht genauso kritisiert? Oder der Iran? Diese Frage gilt auch fürs Private. Regt sich jemand am Küchentisch über China auf? Über den Umgang mit Tibet, den Umgang mit Hong Kong? Oder über den Iran? Die Unterdrückung von Frauen und Andersdenkenden? Oder über Saudi-Arabien? Die öffentlichen Hinrichtungen, die Finanzierung des Terrors?
Israel unterliegt anderen Regeln, aber wieso?
Genau das meine ich, es sind die unterschiedlichen Maßstäbe.
Erst wenn über Israel genauso geredet wird wie über jedes andere Land, erst wenn über Juden gesprochen wird wie über, nun ja, Helgoländer – erst dann kann man mit dem Gedanken spielen, dass Antisemitismus besiegbar sein könnte. Man muss es genauso vorsichtig ausdrücken. Sonst gehen die Illusionen noch mit einem durch.