Deutsch-türkisches Verhältnis zunehmend schlechter
Empörung von Union bis Linkspartei: Diese seltene Geschlossenheit hat der türkische Präsident Erdogan mit seinen Ausfällen gegen deutsche Parlamentarier erreicht. Nicht so einig ist man sich, welche Konsequenzen das für Ankara haben sollte.
Eines hat der türkische Präsident mit seinen Ausfällen gegen deutsche Parlamentarier erreicht. Was die Empörung hierzulande angeht, sind die Reihen von Union bis Linkspartei so geschlossen wie selten.
Als Ergebnis einer Sicherheitssitzung der elf türkischstämmigen Abgeordneten mit Vertretern von BKA, der Berliner Polizei und der Polizei des Bundestages, stehen die Politiker nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" unter verstärktem Polizeischutz.
Mehrere Regierungsmitglieder melden sich zu Wort. Die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz erwartet von den türkischen Verbänden in Deutschland, dass sie Morddrohungen gegen Abgeordnete deutlich verurteilen. Özoguz in der "Bild am Sonntag":
"Spätestens jetzt sollten alle verstehen, dass wir zu unserer Herkunft stehen, aber gleichzeitig kein verlängerter Arm der Türkei sind."
Innenminister Thomas de Maizière sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die Bedrohungen seien nicht zu akzeptieren, gleichzeitig betonte er, die Mehrheit der 3,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland seien gute Nachbarn. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zeigte sich beunruhigt angesichts der Entwicklung in der Türkei. "Eine Partnerschaft muss aushalten, dass man Kritik aneinander übt und auch in der Lage ist, Meinungsunterschiede auszuhalten", so von der Leyen zur "Welt am Sonntag".
Partnerschaft? Einspruch kommt von der Linkspartei, die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht im Südwestrundfunk:
"Ich finde, das kann eigentlich überhaupt nicht wahr sein, dass wir ein solches Regime immer noch als unseren Partner ansehen."
Klare Worte von Bundestagspräsident Lammert
Wagenknecht würdigte die deutlichen Worte von Bundestagspräsident Norbert Lammert am Donnerstag im Bundestag. "Das hätte ich mir eigentlich von der Bundeskanzlerin gewünscht", sagte sie. Merkel hatte die massiven Vorwürfe aus Ankara als "nicht nachvollziehbar" bewertet. Erdogan hatte in Zusammenhang mit den türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten von unreinem Blut gesprochen. Wagenknecht jetzt im SWR:
"Das ist faschistoid. Die Nationalität über Blut zu definieren und die Abstammung ins Zentrum zu stellen, das ist wirklich der Kern der Rassenideologie."
Auch die Betroffenen selbst äußern sich. Grünen-Chef Cem Özdemir, treibende Kraft hinter der Armenien-Resolution, zitierte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Drohungen gegen ihn, wie etwa: "Irgendwann werden deine deutschen Freunde das vergessen haben, wir nicht" oder: "Wir finden dich überall".
Umfrage: 59 Prozent wollen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen
Dies alles müsse man verdammt ernst nehmen, so Özdemir, der die türkischen Verbände gleichzeitig aufforderte, klar Stellung zu beziehen. Zitat: Da kann es keine zwei Meinungen geben. Wer hier ernstgenommen werden möchte, wer Religionsunterricht an unseren Schulen durchführen möchte, der kann nicht nur mit den Zehenspitzen auf dem Boden unserer Verfassung stehen.
Der Sprecher der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, DITIB, äußerte sich entsprechend: Beschimpfung und Bedrohung von Parlamentariern sind nicht hinnehmbar, sondern entschieden zu verurteilen. Punkt. Kein Wenn, kein Aber, kein Jedoch. Einfach Punkt.
Die Links-Abgeordnete Sevim Dagdelen fordert ein Einreiseverbot für Präsident Erdogan, Wagenknecht die sofortige Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.
Eine von "Bild am Sonntag" in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage zeigt: 60 Prozent der Deutschen sind der Ansicht, die Bundesregierung solle Maßnahmen gegen die Türkei prüfen. 59 Prozent wollen einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen, knapp die Hälfte der Befragten ist gegen die geplante Visafreiheit für türkische Staatsangehörige.