Nach Corona-Protesten in Berlin

Eine neue Form des Mitläufertums

06:48 Minuten
Demonstranten auf der Friedrichstraße in Berlin, eine Frau hält eine Friedensfahne hoch.
Friedensflagge bei Coronademo? Am Samstag kamen in Berlin verschiedene Interessensgruppen zusammen - auch viele Rechtsextreme. © imago images / Future Image
Theo Geers im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
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Mit Blick auf die besetzten Reichstagsstufen spricht unser Korrespondent Theo Geers von einer neuen Dimension: Die extreme Rechte werde "zunehmend zur realen Gefahr". Neben Nazis herzulaufen, sei für viele offenbar kein Problem mehr.
Zwei Tage nach den Demonstrationen in Berlin hält die politische Debatte über die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen an. Vor allem das zeitweise Vordringen einiger hundert Rechtsextremer auf die Treppe des Reichstages sorgt weiter für Empörung.
"Das ist sicherlich mehr als eine Polizeipanne", sagt unser Hauptstadtkorrespondent Theo Geers. Die zentrale Frage sei, wieso der Reichstag nicht ausreichend geschützt wurde. Dazu müsse heute der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor dem Innenausschuss des Abgeordnetenhauses Erklärungen liefern.
Es sei bemerkenswert, dass Geisels Versuch eines Demonstrationsverbots auch damit begründet worden sei, was alles – neben dem Nichteinhalten des Infektionsschutzes - passieren könne. Es habe zahlreiche Hinweise gegeben. "Da war im Netz die Rede vom Sturm auf Berlin und anderen Dingen", so Geers. "Warum ist es dann trotzdem passiert? Warum waren da nur drei Polizisten, wo besser mehr gewesen wären."

Neue Dimension der Proteste

Geers sieht eine neue Dimension erreicht, die extreme Rechte werde "zunehmend zur realen Gefahr für diesen Staat". Auch dass sie die Demonstration in Berlin gewissermaßen gekapert habe, gehöre zur Strategie der Rechtsextremen.
Allerdings sei das Strickmuster uralt: Früher seien Anti-AKW- und Friedensdemonstrationen von linksextremen Gruppierungen unterwandert worden. "Das Problem der Unterwanderung hat es immer gegeben, nur die paar Verirrten von damals in der DKP oder im KBW, die haben nicht viel bewirken können – das ist heute anders."
Derzeit wachse eine "Mischszene" zusammen, in der sich Neonazis, "Reichsbürger" und Rechtspopulisten zusammen fänden, aber eben auch bürgerliche Esoteriker und Verschwörungstheoretiker. "Viele finden dann nichts mehr dabei, neben Reichsbürgern und Neonazis zu laufen - das ist eine Art von neuem Mitläufertum." Vielleicht wachse auch in der Bevölkerung die Sympathie für rechtes Gedankengut. Es fehle an einer klaren Distanzierung gegenüber Rechtsextremisten.

Verbot des Protestcamps

Auch am Sonntag habe es noch Demonstrationen in abgeschwächter Form in Berlin gegeben, so Geers. Aber das geplante Protestcamp bis zum 14. September werde es jetzt nicht geben. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen das Verbot einer Dauermahnwache auf der Straße des 17. Juni bestätigt: "Möglicherweise war es auch so, dass nach den Ereignissen dieses Wochenendes den Richtern ein bisschen die Augen aufgegangen sind."
(gem)
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