Nach "Deal" mit den USA?

Türkei ändert die IS-Strategie

Türkische Panzer patrouillieren entlang der Grenze zu Syrien.
Türkische Panzer patrouillieren entlang der Grenze zu Syrien. © pa/dpa/EPA/Toprak
Josef Braml im Gespräch mit Nana Brink |
Die Türkei hat den Islamischen Staat (IS) in Syrien angegriffen und danach PKK-Stellungen im Nordirak attackiert. Warum ändert Ankara plötzlich seine IS-Strategie? DGAP-Experte Josef Braml vermutet dahinter Absprachen mit den USA.
Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) vermutet hinter dem Angriff der Türkei auf Stellungen des IS die Zusicherung der USA, keinen Kurdenstaat in der Region zu dulden.
Im Deutschlandradio Kultur sagte Braml, die Amerikaner hätten vermutlich einen "Deal" mit den Türken gemacht und ihnen zugesichert, dass es keinen unabhängigen kurdischen Staat geben werde. Nur deswegen sei die Türkei jetzt bereit, das Risiko weiterer Anschläge durch den Islamischen Staat in Kauf zu nehmen. Diese Anschläge seien die logische Konsequenz, sollte die Türkei sich nun aktiv am Kampf gegen die Terrormiliz beteiligen.
Die Amerikaner sich außenpolitisch zu "knallharter Realpolitik" zurückgekehrt
"Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Amerika wieder knallharte Realpolitik fährt", sagte Braml. Die liberale Prägung der amerikanischen Außenpolitik und der Versuch, Demokratie zu verbreiten, hätten überhaupt erst in das "Desaster" geführt. Ohne Irak-Krieg und die "prekären Staaten" im Nahen und Mittleren Osten gäbe es die heutigen Probleme nicht, betonte er. Nun werde die US-Außenpolitik wieder pragmatischer.
Ähnlich ordnete Braml auch das Atomabkommen mit dem Iran ein. Die USA bräuchten das Land, um die Region zu stabilisieren. Zudem benötigten die Amerikaner eine Alternative zu Saudi-Arabien, sollte es dort zu Verwerfungen und einer Störung bei den Öllieferungen kommen. "Iran ist der Plan B. Iran könnte ein weiterer 'swing producer' sein, um die Ölmärkte stabil zu halten", sagte Braml. Das Land sei darüber hinaus auch ein lukratives Wirtschaftsziel.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Seit Ende letzter Woche greift die Türkei Stellungen des Islamischen Staates in Syrien an, das ist ja eine radikale Abkehr von ihrer bisherigen Politik, die jahrelang eher abgewartet hat – sehr zum Ärger zum Beispiel der USA, deren Luftwaffe nun auch von türkischem Boden aus gegen die Terrormiliz vorgehen können. Die Amerikaner sind also voll des Lobes über die türkische Kehrtwende, erst gestern hat ja Obamas Berater – der US-Präsident hält sich ja gerade in Afrika auf – betont, die Türkei habe das Recht, gegen terroristische Ziele vorzugehen.
Dass die Türkei dabei auch Stellungen der Kurdenorganisation PPK im Nordirak angreift – das hat ja bei uns zu viel Stirnrunzeln und Ermahnungen von Bundeskanzlerin Merkel geführt –, das scheint die USA wenig zu stören.
Sie haben anscheinend ganz eigene Interessen in dieser Region, und die wollen wir uns jetzt genauer ansehen, und zwar mit Josef Braml, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Programms USA/Transatlantische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich grüße Sie, Herr Braml!
Josef Braml: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Warum haben die USA ein so großes Interesse an dieser neuen türkischen Politik gegen den IS?
Braml: Die Amerikaner machen ja schon seit Längerem Druck auf die Türkei, sich hier stärker im Kampf gegen IS zu engagieren. Die Türken wiederum sahen IS als, ja, indirekten Verbündeten gegen das Assad-Regime, aber eben auch auf die angesprochenen Kurden zu kommen, jetzt gab es offensichtlich eine Kehrtwende. Ich kann mir vorstellen, dass die Amerikaner mit den Türken einen Deal gemacht haben, dass sie ihnen zugesichert haben, dass es eben hier keinen unabhängigen kurdischen Staat geben könnte.
Nur deswegen, denke ich, werden die Türken jetzt das Risiko eingehen, hier weitere Anschläge in Kauf nehmen zu müssen, die die logische Konsequenz sein werden, wenn sie sich hier aktiv gegen IS stellen.
"Amerika fährt wieder knallharte Realpolitik"
Brink: Sie haben gesagt, es gibt anscheinend einen Deal zwischen den USA und der Türkei, einen Deal dergestalt, dass sie ihnen zugesichert haben, es wird keinen eigenen Kurdenstaat geben. Das ist ja fundamental etwas anderes, als was die Europäer, zum Beispiel Deutschland, eigentlich wollen?
Braml: Ja, ich denke, die Amerikaner sind da immer ein Stück weit pragmatischer. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Amerika wieder knallharte Realpolitik fährt: dieser liberale Regime-Change, dieses Verbreiten von Demokratie, das ja in dieses Desaster geführt hat – denken wir an den Irakkrieg. Ohne diese prekären Staaten, die wir hier im Nahen, Mittleren Osten haben, hätten wir die heutigen Probleme nicht. Aber genau dieser liberale Exzess hat eben zu dieser verstärkten Realpolitik geführt, an die wir uns gewöhnen müssen.
Blick auf die Raffinerie in Abadan im ältesten Erdölhafen am Persischen Golf, Hauptsitz der iranischen Erdölindustrie. (Aufnahme Ende der 70er Jahre). +++(c) dpa
Öl-Raffinerie in Abadan am Persischen Golf, Hauptsitz der iranischen Erdölindustrie© picture alliance / dpa / Sora Mummenday
Brink: Und welche richtige amerikanische Strategie steckt dann dahinter? Ich denke ja noch an einen anderen Deal, wenn wir jetzt mal bei diesem Wort bleiben, der ja in dieser Region auch geschlossen worden ist, nämlich mit dem Iran.
Braml: Ja, Strategie ist immer so ein hehres Wort. Wir können ja versuchen, zumal als Experten, hier eine Strategie nachträglich hineinzuinterpretieren, ich sehe momentan nur ein Durchwursteln in der Art, dass man jetzt hier wieder mit autokratischen Regimen Deals macht. Ich rechne jetzt die Türkei noch nicht mit zu den autokratischen Regimen, die sind aber auf gutem Weg, aber der Iran ist es nach wie vor, und die Menschenrechtslage ist da nicht unbedingt besser geworden.
Nein, das hat andere Gründe. Man braucht hier Iran, um zu versuchen, die Region wieder einigermaßen zu stabilisieren, und man kann auch diesen Atomdeal, der in Amerika nicht nur Freunde hat, auch damit verkaufen, dass man ehemalige Sponsoren von Terrorismus jetzt als diejenigen hinstellt, die gemeinsam gegen Terroristen kämpfen, nämlich jetzt gegen IS.
USA suchen neue Verbündete in der Region
Brink: Also suchen die Amerikaner dann wirklich neue Verbündete?
Braml: Ja, das ist offensichtlich, und die Lage mit dem Iran ist ja jetzt nicht nur durch den Kampf gegen den Terror motiviert. Man muss sich jetzt wohl von der Illusion verabschieden, dass Amerika unabhängig ist im Sinne seines Ölaufkommens. Das war ein schöner Traum, der wieder einmal zerplatzt ist. Die Amerikaner brauchen eine Alternative zu Saudi-Arabien, sollte es da zu Verwerfungen kommen, und das ist der Iran. Iran ist der Plan B, Iran könnte ein weiterer Swing Producer sein, um hier die Ölmärkte stabil zu halten, und ist auch ein lukratives Wirtschaftsziel.
Man muss sich einmal vergegenwärtigen, welche Firmen jetzt da hier in Teheran sich auf die Füße treten, da sind unter anderem aber auch deutsche Firmen dabei.
Brink: Aber es sind vor allen Dingen auch amerikanische Firmen?
Braml: Ja, die haben es noch ein bisschen schwerer. Man darf ja offiziell jetzt noch nicht mit dem Iran verhandeln, aber amerikanische Ölfirmen haben sicher auch ihre Möglichkeiten, indirekt hier mit den Iranern schon mal Vorgespräche zu führen.
Brink: Nun soll es ja morgen auch einen NATO-Gipfel geben, auch auf Bitten der Türkei, weil sie sich bedroht fühlen. Wie werden denn die Amerikaner da reagieren? Weil die Positionen, die wir ja jetzt gerade besprochen haben, sind doch gerade zwischen NATO, oder sagen wir Deutschland, und den Amerikanern ja sehr unterschiedlich.
Braml: Ja, mit der NATO wird wahrscheinlich politisch das Ganze flankiert. Wenn wir von der NATO reden, dann meinen wir zuvorderst die USA. Die USA bestimmen, was in der NATO vorgeht. Und wenn die Amerikaner mit den Türken einen Deal gemacht haben, dann wird das wohl im Nachhinein noch in der NATO besprochen werden.
Brink: Nun klingt ja aber die Türkei ganz anders, die sagen, wir haben uns ja sozusagen selbstbewusst dafür entschieden, jetzt diese Kehrtwende zu vollziehen, und Sie vermuten ja im Hintergrund großen amerikanischen Druck.
Braml: Ja, den hat es gegeben, aber eben auch ein Angebot, das die Türken angenommen haben. Bislang hat man ja auch vermutet, dass man vonseiten Amerikas mit dem Assad-Regime über kurdische Kanäle auch zusammengearbeitet hat. Da können viele Kritiker zu Recht vielleicht auch eine Doppelstrategie vermuten. Wie das ausgehen wird, müssen wir noch abwarten.
"Wir haben jetzt wieder unsere Sicherheitsinteressen ganz nach oben gestellt"
Brink: Wenn wir jetzt das Ganze noch mal zu Ende denken, was bedeutet diese amerikanische Politik, Strategie, wie immer wir das nennen, für Deutschland in dieser Frage?
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) besichtigt am 21.07.2015 den Tschehel Sotun Palast in Isfahan im Iran.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) während seiner Iran-Reise.© picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Braml: Wir müssen noch größere Anstrengungen unternehmen, wie wir diese neue Sicherheitspolitik auch an unsere Bevölkerung verkaufen. Wir reden ja gerne von hehren Werten, wir haben aber jetzt wieder unsere Sicherheitsinteressen ganz nach oben gestellt und, ja, vor allem auch dann die wirtschaftlichen Interessen, und wie wir da Moral und Werte zusammenbringen, das wird weiterhin interessant bleiben in unserem Lande.
Brink: Josef Braml, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Danke für das Gespräch!
Braml: Ich danke Ihnen, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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