Island auf dem Weg aus der Krise
Island war ab 2008 das erste europäische Opfer des Banken-Crashs. Viele, die auf Pump gelebt hatten, verloren ihr vermeintliches Vermögen und ihren Job. Heute geht es ihnen wieder gut - der Staat hat die Sozialsysteme nicht angerührt.
Den isländischen Bürgern sollte genug Geld bleiben, um zu konsumieren und sich etwas Neues aufzubauen. Viele in dem kleinen Land haben sich selbst neu erfunden. Es gibt unzählige Beispiele, wie die Isländer sich am eigenen Schopf aus der Krise gezogen haben.
Es wird Sommer am Fjord von Isafjördur in Nordwestisland. Was man eben so Sommer nennt 50 Kilometer unterhalb des Polarkeises Der Wind fegt Regenschauer über Meer und Land, der Himmel liegt bleigrau und schwer auf den Küsten-Bergen. Hier beginnt Islands Wilder Westen, die Westfjorde, wo alles noch ein wenig rauer und einsamer ist als im übrigen Land.
Der Ort Reykjanes besteht aus einem einsamen Flugfeld, einer automatisierten Tankstelle, einem verfallenden Hotel und einem kleinen Wirtschaftswunder. Jon Palsson und sein Sohn Björn Jonsson haben hier nach der großen Bankenkrise 2011 das Salzwerk, auf Isländisch "Saltverk" errichtet.
Sie kochen Salz nach einem alten Rezept. Björn "erntet" das schwere Salz, er hebt es mit einer Schaufel aus der Salzpfanne, einem betonierten Bassin im tropisch heißen Sudhaus.
Björn: "Wir sind hier auf einer Insel, mit viel Meer und viel Geothermie. Aber Salz machte hier keiner mehr. Und dann fanden wir heraus, dass an diesem Platz schon vor 240 Jahren Salz gekocht wurde."
Hinter dem Haus eine heiße Quelle, vor dem Haus der Atlantik. Eine ideale Grundlage für die Salzgewinnung, schon im 18. Jahrhundert .
Heute wird das kalte Meerwasser in große Beton-Becken gepumpt. In den Becken stehen Radiatoren, durch die das heiße Wasser aus der Erde geleitet wird. Die Hitze aus den Radiatoren lässt das hochsalzige Meerwasser konstant verdampfen, das Salz bleibt zurück. Anderthalb Tonnen ernten die Salzwerker so mittlerweile pro Woche und haben acht Angestellte.
Björn machte gerade sein Ingenieur-Examen, als er das Rezept in einem alten Buch fand. Und sein Vater Jon musste seine Baufirma in Reykjavik schließen. Die Kunden hatten ihr Geld in der Bankenkrise verloren, Jon verlor die Bauaufträge und musste seine Angestellten entlassen. In seinem Kummer zog er kurzer Hand an die Westfjorde und tüftelte für seinen Sohn die Anlage zum Salzkochen aus. Auch der Staat half ihnen mit einem Subventions-programm für Firmengründer.
Ein Rezept der isländischen Regierung, um die Wirtschaft nach dem Bankencrash wieder auf fundierte Füße zu stellen. Nicht alles streichen, sondern sinnvoll in Selbständigkeit investieren. Vater und Sohn betreiben das Saltverk heute in Arbeitsteilung. Björn lebt hauptsächlich in Dänemark und betreut von dort die internationale Vermarktung in die EU und in die USA. Die Kunden sind vor allem Gourmet-Köche. Salz aus Island - das klingt nach Vulkanen, Atlantik, Eisbergen - eine sehr isländische Geschichte, die funktioniert.
Björn: "Unser Grundprodukt ist reines Salz. Eine Sorte räuchern wir dann mit Birkenholz in einem alten Räucherhaus, das traditionell für Lammfleisch benutzt wird. Und dann machen wir etwas, das mit isländischer Kultur zu tun hat: ein Lakritzsalz - Isländer sind verrückt nach Lakritze wie alle Skandinavier. Unser Lava-Salz wird mit Kohle-stoff – Mineralien aus Lavasteinen versetzt, um ihm die schwarze Farbe zu geben. Und dann haben wir noch ein Sommer-Salz, das mit arktischem Thymian gemischt wird, der nur in den polaren Regionen wächst wie Island, Grönland und auf den Faröer-Inseln."
"Es ist wunderbar, einen Sohn mit verrückten Ideen zu haben", schwärmt Jon, während er 250-Gramm-Tüten mit reinem Salz in würfelförmige Schachteln verpackt, die zum Markenzeichen ihres "Saltverk" geworden sind. Er selbst hat sich in die große Einsamkeit der Westfjorde verliebt.
Jon: "Die Natur hier ist voller Gegensätze. Im Sommer hast du das Licht rund um die Uhr. Und viel Sonnenschein, auch wenn es jetzt gerade regnet. Der Winter kann schon sehr streng sein, es gibt Stürme und es ist immer dunkel. Hier leben vielleicht 20,30 Menschen in einem Umkreis von einhundert Kilometern. Im Winter siehst du hier fast keinen Menschen. Du bist allein. Mehr oder weniger."
Und er genießt es. Ist die Salzernte des Tages eingebracht, fährt der Seniorchef des Saltverk zum Angeln auf den Fjord hinaus oder nimmt ein Bad in einer heißen Quelle.
Im Café eines großen Einkaufszentrums in Reykjavik sitzt Ragga Eiriksdóttir und strickt an einem gelb-weißen Baby-Pullover aus besonders weichem Alpaka-Garn. Sie erwartet ihr drittes Enkelkind, was man ihr nun wirklich nicht ansieht, so glatt ist ihr Gesicht. Ragga ist eine herzlich-fröhliche, runde und bunte Erscheinung, Schmetterlings- und Blumen-Tattoos auf den Unterarmen, ein Collier aus Glitzersteinen und Federn, knallroter Lippenstift, schwarze Ponyfrisur.
Auch Ragga hat eine isländische Tradition aufgepeppt, und daraus ein florierendes Unternehmen gemacht: Stricken. Angefangen hat es mit einer gesundheitlichen Krise, mit der sie für ihren Hochgeschwindigkeits-Job als Managerin in einem Pharmaunternehmen büssen musste. Während sie sich erholte, begann sie zu stricken und Strickmuster zu sammeln. 2008, zu Beginn der isländischen Bankenkrise, brachte sie die Muster als Buch heraus - es wurde ein Riesenerfolg.
Ragga: "Es war perfektes Timing, die Leute schauten wieder mehr nach innen, und Stricken hat so was Tröstliches, eine sehr nette Art mit Menschen zusammen zu sein, du kannst mit jedem zusammen stricken, egal welches Alter oder Geschlecht. Die Leute brauchten so was nach dem Crash. Zurück zu den Wurzeln. Zurück zu etwas, das Isländer immer gut konnten. Wir sind definitiv besser im Stricken als im Kontrollieren des Weltfinanz-Systems."
Ragga Eiriksdóttir nennt es ihren "Schneeball-Effekt" Sie erhielt Aufträge für Strick-Kurse und für DVDs, sie bietet Strick-Aufenthalte für Touristen an, inklusive Führungen zu den Woll-Lieferanten auf den Schafs-Farmen
Ragga: "Ich erzähle den Leuten von der Geschichte des Strickens in Island und wie die Schafe auf die Insel kamen mit den ersten Siedlern, also sehr früh im 8. und 9. Jahrhundert, und davon, wie wichtig die Schafe für das Überleben der Menschen waren: das Fleisch und die Wolle."
Neben historischem und praktischem Unterricht hat sich Ragga mit ihrem Unternehmen "Knittingiceland" vor allem auf moderne Passform und modisches Design spezialisiert und dafür gesorgt, dass der Islandpullover mit dem traditionellen Muster an der Hals- und Schulterpartie nie langweilig wird.
Ragga: "Irgendwie ist der Islandpullover zum allseits bekannten Symbol unseres Landes geworden und die Leute hier nehmen das wirklich an, wir tragen diesen Pullover ständig. Zur feierlichen Garderobe oder im Alltag. Die Frau des Staatspräsidenten trägt ihn über einem Seidengewand, die alten Jungs am Hafen tragen ihn, genauso wie die Hipsters im Stadtzentrum, für Teenies gibt es ihn mit Kapuze als Hoodie und für Babies als Overall."
"Jeder braucht hier mehrere Jobs, weil das Leben so teuer ist"
Als Isländerin ist Ragga Eiriksdóttir eine typische Multitaskerin. Sie ist nicht nur die Strick-Königin von Island, sondern im Hauptberuf mittlerweile Journalistin mit regelmäßigen Kolumnen, Vorträgen und Büchern über Sex. Und bis vor einem Jahr hat sie außerdem noch als Krankenschwester in der Psychiatrie gearbeitet.
Ragga: "Jeder braucht hier mehrere Jobs, weil das Leben so teuer ist."
Diese Flexibilität hat vielen Isländern geholfen, sich am eigenen Schopf aus der Krise zu ziehen.
Kräutersammeln für das Abendessen auf Stadarholl, der Lodge von Bryndis Ivarsdóttir in Nordisland. Sie hat in Wien Tourismus und Betriebswirtschaft studiert. Seit vierzig Jahren arbeitet sie in der isländischen Reisebranche und hat sich auch einen Namen als Köchin gemacht. Heute gibt es eine traditionelle isländische Lammkeule.
Soll heißen: Lammkeule mit selbstgemachter Pfeffersauce, grünen Bohnen oder Erbsen, karamellisierten Kartoffeln, Rotkraut, und ganz wichtig: dazu Rhabarbermarmelade.
Bryndis kocht jeden Abend für 20 bis 28 Touristen, die auf Stadarholl übernachten. Und mehr sollen es auch nicht werden, obwohl Islands Tourismus boomt wie noch nie.
Bryndis: "Ich bin noch nie so ausgebucht gewesen wie jetzt. Mitte Februar ist jetzt schon fast alles ausgebucht für die Sommersaison. Es ist aber nicht so einfach, mehr Zimmer zu bauen. Es hat auch einen Charme, wenn man eine bestimmte Größe hat, und ich habe immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass meine Gäste hier ein bisschen persönlich empfangen werden."
Der Tourismus war der Rettungsanker der isländischen Wirtschaft und wurde zum Motor eines neuen Wachstums . Die Fischfang-Flotte kommt mit ihren Gewinnen nur noch auf Platz zwei. Zwischen 2010 und 2014 ist die Zahl der Touristen um 20 Prozent gestiegen. Eine Million Menschen besuchte Island im letzten Jahr – bei einer Einwohnerzahl von 320.000 kann man da schon von einer Lawine sprechen. Früher galt Island als Geheimtipp für Naturliebhaber, Individualisten, die sich die Reise richtig etwas kosten lassen.
Mit der Banken- und Wirtschaftskrise fiel der Kurs der isländischen Krone, Islandreisen wurden erschwinglicher, die Preise pendelten sich für Gäste aus dem Euro-Raum etwa auf Schweizer Niveau ein. Wie üblich in Island gehört auch zum Tourismus-Boom eine Sage, die mit Naturgewalten zu tun hat. 2010 brach der Vulkan Eyjafjallajökull aus. Seine Asche wehte um den Globus und störte wochenlang den internationalen Flugverkehr. Die Welt schaute auf Island , die Tourismusbranche nutzte das Interesse clever. Das war besser als jede Anzeige.
Bryndis: "Ich meine, dass der liebe Eyjafjallajökull hat sehr viel mehr dabei geholfen, die Werbung für Island zu machen."
Das ist die gute Nachricht - die schlechte ist, dass sich der Tourismus zu einer neuen Fieberblase aufblähen könnte. Alle wollen mitmachen und verdienen. Also versucht man die kurze Reisesaison von Juni bis September maximal zu füllen. Investiert wird hauptsächlich in Hotels und Infrastruktur in Reykjavik und in der sich anschließenden Küstenregion im Süden.
Damit es sich lohnt, muss man ein Maximum an Touristen in Bussen täglich zu den Wasserfällen, Geysiren und Gletschern des sogenannten Golden Circle schaffen, dem Goldenen Kreis der Naturwunder, die man gesehen haben muss. In nur drei Jahren ist Island ein Ziel für Massen geworden. Die Individualisten weichen aus, das kommt den Gästehäusern auf dem Lande zugute. Aber ihre Umsätze bleiben zu klein für Modernisierungs-Kredite von der Bank . Ganz Island diskutiert darüber, ob der Tourismus sich selber auffrisst. Oder in Zukunft immer weniger große Geldgeber den Kuchen unter sich aufteilen. Auf eine kleine Gesellschaft hat das schnelle Wirkung. Der Tourismusboom in der Hauptstadtregion trägt zur Spaltung des Landes bei.
Bryndis: "Wir sehen zunehmend eigentlich zwei Nationen in diesem Land. Das heißt auf der einen Seite ist die Hauptstadt und die Leute die dort wohnen und auf der anderen Seite wir auf dem Lande. Wir haben neue Parteien, die Piraten, die Grünen, diejenigen die Mitglieder sind, das sind alles Leute, die nur in Reykjavik wohnen, und dort aufgewachsen sind, die wissen eigentlich sehr wenig von Islands Natur."
70 Kilometer von Stadarholl entfernt liegt Ákureyri, die schöne Hauptstadt des Nordens, wunderbar an einem Fjord gelegen, eingebettet zwischen kantigen Schneebergen. Auch Inga Björk Svavarsdottir, eine Tourismus-Managerin der jungen Generation, möchte mehr Menschen für die ländlichen Regionen im Norden interessieren. Sie sucht Nischen - damit man noch da ist, wenn die anderen im Massengeschäft untergegangen sind. Inga setzt in ihrer Agentur auf Angebote für Einzelreisende und kleine Gruppen unter dem Motto: Slow Travel – langsam Reisen.
Inga: "Wir legen den Schwerpunkt auf Touren, in denen es um Kultur und Geschichte geht, wir besuchen Kirchen und Farmer entlang der Küste."
Trotz dieser Philosophie des anderen Reisens, freut sich Inga, dass der Tourismus-Boom die Isländer aus dem schwarzen Loch der Krise gerettet hat.
Inga: "Etwas in unserem Inneren war zerbrochen. Das Ego der Isländer war recht angekratzt, und der Tourismus hat uns geholfen, stolz zu sein auf das, was wir haben. Es dreht sich nicht nur alles ums Geld, es geht darum, was wir haben und was wir anderen zeigen können. Denn die Gastfreundschaft ist in Island ist wirklich groß."