London taktiert, Europa drängt
Zum EU-Gipfel ist Premierminister David Cameron noch angereist, quasi als Abschiedsvorstellung auf europäischer Bühne. Seine europäischen Amtskollegen geben sich verständnisvoll, aber zugleich klar und verbindlich im Ton. Und tagen dann ohne ihn weiter.
David Cameron ist britischer Premier – noch bis September. Längstens. Es ist sein letzter Auftritt bei einem EU-Gipfel, denn zu Hause tobt der Machtkampf. Seine potenziellen Nachfolger bringen sich in Stellung. Genauso seine europäischen Amtskollegen auf dem Gipfel in Brüssel.
Freundliches Händeschütteln, es wird gelacht und gescherzt. Die Staats- und Regierungschefs heißen ihn willkommen. Cameron tritt selbstbewusst auf. Will Verhandlungen über den Brexit – aber ohne diesen offiziell zu erklären. Das überlässt er seinem Nachfolger.
"Wir schauen uns alle möglichen Optionen an, aber der nächste Premierminister, das nächste Kabinett werden darüber letztlich entscheiden."
Jeder wolle ein klares Modell sehen, sagt Cameron, doch dafür brauche Großbritannien Zeit. Erst also übernimmt Camerons Nachfolger, dann wird es eine Optionsdebatte geben - und erst dann will London den Scheidungsbrief nach Brüssel schicken. Stichwort: Artikel 50 des Lissabon-Vertrages.
Seine europäischen Amtskollegen – not amused, aber verständnisvoll. Und trotzdem klar und verbindlich im Ton. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, London müsse erst einmal liefern. Es gebe keine Verhandlungen ohne offizielles Scheidungsschreiben. Eine Hängepartie dürfe es aber nicht geben, betont die Kanzlerin.
Klare Worte auch von EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker. "Wir haben nicht Monate, darüber nachzudenken", sagt er.
Verhandlungen erst, wenn Artikel 50 eingeleitet ist
"Ich habe die Kommissare und alle Beschäftigten der EU-Kommission schriftlich angewiesen, keine Verhandlungen zu beginnen, bevor das Scheidungsschreiben auf dem Tisch liegt."
Erst dann könne verhandelt werden - im Geiste freundschaftlicher Beziehungen, sagt Kanzlerin Merkel, immer die Interessen der EU-Mitgliedsstaaten wahrend.
Die Briten wollen im Binnenmarkt der EU bleiben, ohne Zölle, ohne Handelsschranken. Schranken soll es aber für Personen geben, die Freizügigkeit lehnt London ab.
Auch die Migration ist Thema beim Gipfel, der plötzlich wieder so gewöhnlich wirkt. Eine Partnerschaft mit nordafrikanischen Staaten wird beschlossen. Die wirtschaftliche Entwicklung steht auf dem Programm. Eine neue globale Sicherheitsstrategie. Sie sei wichtig – das unterstreiche noch einmal der schreckliche Anschlag auf dem Istanbuler Flughafen, sagen die Gipfelteilnehmer betroffen.
Der Anschlag ist ein großer Schatten über dem Gipfelabend. Und dennoch, der zweite Schatten lässt sich nicht verdrängen. David Cameron bedauere zwar das Ergebnis des Brexit-Referendums, nicht aber das Referendum durchgeführt zu haben, sagt er und fliegt nach Hause. Der Gipfel ist offiziell beendet - vorzeitig.
Inoffiziell geht es heute weiter. Ein Gipfel der 27. Ein Gipfel ohne Großbritannien. Der Brexit sozusagen schon vollzogen. Für einen Tag, hier in Brüssel, informell.
Die ersten Leitlinien finden wollen die Staats- und Regierungschefs. Und da gibt es durchaus unterschiedliche Töne. Harsche wie versöhnliche. Wenn etwa Litauens Staatspräsidentin Grybauskaite sagt: Großbritannien bleibe willkommen, wenn der Brexit am Ende doch nicht käme. Doch für Bundeskanzlerin Merkel ist klar, dass dieser unumkehrbar ist.