Wie sollen die Medien mit Katastrophen umgehen?
Diese Woche war medial eine Ausnahmewoche: Der Flugzeugabsturz in Südfrankreich hat alle anderen Nachrichten überlagert. Mit der Katastrophenberichterstattung kommt auch immer wieder die Frage auf: Wie sollte sie aussehen? Darüber diskutieren der Journalist Peter Lange und der Risikoforscher Ortwin Renn.
Diese Nachrichtenwoche war dominiert von dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Keine Zeitung, kein Sender ohne Sonderberichte, Live-Ticker im Minutentakt. In Talkshows wird debattiert und spekuliert, Experten werden zu jeder möglichen Absturzursache befragt, obwohl teilweise noch keine Fakten vorliegen. Reporterteams belagern die Orte des Geschehens, auf Facebook und Twitter überschlagen sich die Kommentare.
Ist das noch angemessen?
Wo hört die Informationspflicht auf, wo beginnt der Sensationsjournalismus?
Wie sollen Medien mit solchen Katastrophen umgehen?
Wo hört die Informationspflicht auf, wo beginnt der Sensationsjournalismus?
Wie sollen Medien mit solchen Katastrophen umgehen?
"Wir sehen stundenlange Live-Übertragungen einer offenbar einvernehmlichen und allseits als notwendig erachteten Inszenierung", so der Chefredakteur von Deutschlandradio Kultur Peter Lange in seinem Wochenkommentar.
Der Politikjournalist kennt den Aktualitätsdruck nur zu genau: "Politik und Medien sind Treiber und Getriebene einer Entwicklung, die mit einem tatsächlichen oder unterstellten allumfassenden Informationsanspruch der Gesellschaft an die Grenze des Totalitären führt. Die Politiker und ihre Berater wissen, dass sie Bilder produzieren müssen, um die Erwartung der Medien zu erfüllen. Diese wiederum reagieren auf die Zwänge, denen sie sich ausgesetzt sehen von einer Gesellschaft, die sich angeblich im permanenten Breaking-News-Modus befindet."
Und er verweist auf frühere Ereignisse:
"Und warum passiert es immer wieder? Seit dem Geiseldrama von Gladbeck kennen wir dieses Ritual hinterher: Es wird Selbstkritik geübt und Besserung gelobt. Und trotzdem setzt sich bei vielen der Eindruck fest, es wird jedes Mal schlimmer. Nach Erfurt, Winnenden oder der Loveparade-Katastrophe in Duisburg."
"Und warum passiert es immer wieder? Seit dem Geiseldrama von Gladbeck kennen wir dieses Ritual hinterher: Es wird Selbstkritik geübt und Besserung gelobt. Und trotzdem setzt sich bei vielen der Eindruck fest, es wird jedes Mal schlimmer. Nach Erfurt, Winnenden oder der Loveparade-Katastrophe in Duisburg."
Seine Mahnung: "Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte über Qualität, Standards und Grenzen in der fast schon totalen Informationsgesellschaft. Andernfalls ist die nächste Runde bei der nächsten Katastrophe programmiert."
Große Schwierigkeiten, in Unsicherheit zu leben
"Wir haben ein so risikoarmes Leben, dass jeder Event zum Auslöser wird", sagt Prof. Dr. Ortwin Renn, Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung an der Universität Stuttgart. "Und wir haben eine ganz große Schwierigkeit, in Unsicherheit zu leben."
Renn gehört zu den bekanntesten Risikosoziologen Deutschlands und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage, wie wir Menschen mit Lebensrisiken umgehen, ob wir sie angemessen einschätzen, und hat darüber mehrere Bücher geschrieben. Auch er konstatiert: "Wir leben in einer medialen Gesellschaft. Das Nichtwissen wird zelebriert bis zum Geht-nicht-Mehr. Es muss etwas gebracht werden, – und wenn man versucht, Spekulationen reinzubringen, um die Unsicherheit zu reduzieren."
Deswegen erwarteten die Menschen von den Medien, dass sie Informationen, dass sie Sicherheit geben. "Und so dreht sich das Karussell weiter." Dies gehe aber auch auf Kosten der Glaubwürdigkeit – und provoziere unter Umständen erneute Unsicherheit und Ängste.
Nach dem Flugzeugabsturz: Wie sollen die Medien mit Katastrophen umgehen? Darüber diskutiert Matthias Hanselmann heute von 9:05 Uhr bis 11 Uhr mit Peter Lange und Ortwin Renn.
Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de sowie auf Facebook und Twitter.
Informationen im Internet
Über Prof. Dr. Ortwin Renn: http://www.ortwin-renn.de/de
Über Prof. Dr. Ortwin Renn: http://www.ortwin-renn.de/de
Literaturhinweis
Ortwin Renn: Das Risikoparadox. S. Fischer, Frankfurt/Main 2014, 608 Seiten, 14,99 EUR
Ortwin Renn: Das Risikoparadox. S. Fischer, Frankfurt/Main 2014, 608 Seiten, 14,99 EUR