Schluss mit der falschen Solidarität
Seit dem Massaker in Orlando erleben Lesben und Schwule weltweit eine Welle der Solidarität. Auch Kanzlerin Merkel betont ihren Kampf für Respekt und gegen Diskriminierung. Aber solange sie eine volle Gleichstellung verhindert, bleibt ihre Solidaritätsadresse blanker Hohn, kommentiert Christian Rabhansl.
Was für ein Zeichen! Eine Woche nach dem Blutbad von Orlando erstrahlt das Brandenburger Tor in den Regenbogenfarben. Ein solidarisches Zeichen der Mehrheit mit der Minderheit, schließlich hatte der Mörder ganz gezielt Lesben, Schwulen, transgeschlechtliche und queere Menschen getötet. Und gleichzeitig galt das Blutbad der freien Gesellschaft, uns allen.
Was für eine Bigotterie: Ihr Herz für die Gleichstellung entdeckt die Mehrheit immer dann, wenn es darum geht, Migranten zu belehren: "Da, schaut her, so geht offene Gesellschaft. Und deshalb habt ihr hier nichts zu suchen." Dieser Selbstzufriedenheit tut es auch keinen Abbruch, wenn dieser Tage vier von zehn Befragten in Deutschland der Aussage zustimmen: Es ist ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. 40 Prozent - das können nicht nur Muslime sein.
Keine Sonderrechte, sondern gleiche Rechte
Und trotzdem lehnt sich die Mehrheit zufrieden zurück und glaubt: Lesben und Schwule sind doch längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und ja, viele leben längst glücklich mitten in den Großstädten. Und bekommen manchmal sogar Komplimente von den Nachbarn: "Sie sehen ja gar nicht so schwul aus." Chapeau! Und seine Partnerschaft eintragen lassen darf man auch. Was also gibt es auf diesen sommerlichen Paraden noch zu demonstrieren? Wie viele Sonderrechte wollen die denn noch?
Die Antwort ist einfach: gar keine Sonderrechte, sondern schlicht die gleichen Rechte. Lesben und Schwule wollen keine Extrawurst, bekommen sie aber ständig aufs Brot geschmiert.
Okay, es ist lange her, dass katholische Würdenträger schwule Lebensgefährten als importierte Lustknaben diffamierten. Aber bis heute fühlt sich die Kirche nicht so recht ans Gleichstellungsgesetz gebunden.
Adoptionsrecht? Da stammelt die Kanzlerin
In der Schule erklären, dass es völlig okay ist, lesbisch zu sein? Alleine das Vorhaben löst in Baden-Württemberg einen Sturm der Empörung aus. Ehe für alle? Also bitte, erklärt die Unions-Sprecherin für Menschenrechte, man möge doch nicht Äpfel mit Birnen vergleich. Die Ministerpräsidentin des Saarlandes fürchtet: Wenn wir die Ehe für Lesben und Schwule öffnen, dann wollen bald auch Geschwister einander ehelichen.
Und Kinder adoptieren? Aber da geht es doch ums Kindeswohl, sagt die Kanzlerin, ohne rot zu werden. Und schiebt stammelnd nach, sie - die Kanzlerin - müsse eben damit leben, dass sie sich mit der Gleichstellung schwertue. Sie muss es gar nicht. Millionen Lesben und Schwule müssen damit leben.
Schluss mit der falschen Solidarität
Das alles ist ein Comedy-Programm, das längst nur noch ein Kopfschütteln auslöst. Denn es ist bereits viel erreicht, und es geht Schritt für Schritt vorwärts. Heute muss niemand mehr seine Partnerschaft auf einer bayerischen Kfz-Zulassungsstelle anmelden, weil damals manch Politiker gar nicht anders konnte, als bei Homosexualität an Verkehr zu denken. Der Justizminister denkt ernsthaft darüber nach, all die Männer zu rehabilitieren, die nach Paragraf 175 verhaftet, verurteilt, weggesperrt und stigmatisiert wurden. Nur die CSU will noch nachdenken. Trotzdem wird der Abwehrkampf eines Tages enden und die Ehe für alle Menschen geöffnet. Weil es der einzige gangbare Weg ist, und weil all die nicht-Heterosexuellen starke Mitstreiter haben: ihre Familien, ihre Freunde quer durch die Gesellschaft, eine großartige Verfassung und ein Gericht, das diese durchsetzt.
Bis dahin aber, liebe selbstzufriedene Mehrheit: Hört auf, einer Minderheit zu erklären, sie sei doch längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Erklärt nicht eure falsche Solidarität. Steckt die Regenbogenfahne weg. Ihr blamiert euch.