Nach dem Terror von Christchurch

Kritische Selbstbefragung ist notwendig

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Eine Polizistin steht vor dem abgesperrten Tatort des Terroranschlags in Christchurch, hinter ihr sind zahlreiche niedergelegte Blumen zu sehen.
Wie geht es nach den Anschlägen von Christchurch weiter? © imago / Sanka Vidanagama
Von Khola Maryam Hübsch |
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Nach islamistischen Anschlägen wird von westlichen Muslimen oft gefordert, selbstkritisch zu sein und sich von Gewalt zu distanzieren. Eine solche Selbstbefragung der westlichen Gesellschaft wäre auch beim Terror Rechtsextremer nötig, meint Khola Maryam Hübsch.
Es ist eine kleine Geste. Vor der Ahmadiyya-Moschee in Frankfurt hat jemand eine Kerze angezündet, auf der steht: Wir stehen zusammen. Wenn das grausame Massaker in Christchurch eines deutlich gemacht hat, dann dies: Dass die Trennlinie nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen verläuft, sondern zwischen menschenverachtenden Ideologen auf der einen Seite und empathiefähigen Humanisten auf der anderen.
Es ist ein brüchiges "Wir-Gefühl", das da beschworen wird. Denn über weiße Terroristen wird anders berichtet, als über muslimischstämmige. Wenn Boulevardblätter die Familiengeschichte des Massenmörders bemühen und menschelnd vom am Krebs verstorbenen Vater des Täters erzählen, wird einem barbarischen Akt ein menschliches Antlitz verliehen.

Es kämpfen Zwillingsbrüder im Geiste

Das "Lone Wolf"-Narrativ, das vom vorbelasteten, psychisch kranken Einzeltäter erzählt, ist nicht neu. Dabei eint die Täter eine globale, neofaschistische Ideologie: der Rassismus derjenigen, die den weißen Menschen für überlegen halten und sich im Krieg gegen die vermeintliche Unterwanderung durch den Islam wähnen.
Es ist ein Krieg, der von Extremisten auf beiden Seiten befeuert wird. Hier bekämpfen sich Zwillingsbrüder im Geiste. Und doch ist der Umgang mit ihnen im öffentlichen Diskurs unterschiedlich.
Als Muslime nach islamistischen Terroranschlägen in die Verteidigungshaltung gingen und erklärten, der Terror habe nichts mit dem Islam zu tun, wurde moniert, ihnen fehle es an Kritikfähigkeit.
Tatsächlich können Muslime sich gegen die Vereinnahmung ihrer Religion durch Terroristen nur wehren, wenn sie eine theologisch fundierte Argumentation vorlegen, wie Gewalt-Passagen des Korans zu interpretieren sind. Diejenigen muslimischen Strömungen, die das getan haben, haben keinen extremistischen Flügel. Für sie ist der Dschihad in erster Linie ein Kampf gegen das eigene Ego.

Was haben die Anschläge mit uns zu tun?

Genauso wie Muslime die Aufgabe haben, sich für eine menschenfreundliche Form der theologischen Auslegung stark zu machen, hat die Mehrheitsgesellschaft in Ländern mit muslimischen Minderheiten einen Auftrag. Sie kann nicht so tun, als gingen sie die rechtsextremen Ränder in ihren Reihen nichts an. Sie kann sich nicht hinter einer "Das hat doch nichts mit uns zu tun"-Haltung verstecken, die sie Muslimen lang genug und richtigerweise zum Vorwurf gemacht hat. Sie muss sich fragen, ob sie es versäumt hat, sich kritisch mit denjenigen anti-islamischen Deutungsmustern und Stereotypen auseinanderzusetzen, die massenmedial verbreitet werden.
In den Medien- und Migrationswissenschaften wird seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die Islamberichterstattung ein negativer Frame überwiegt. Natürlich gibt es Missstände auch in der muslimischen Community und es muss über sie berichtet werden. Doch wenn fast ausschließlich "bad News" eine Rolle spielen und ein Korrektiv durch persönliche Erfahrungen mit Muslimen weitgehend fehlt, entsteht eine gefährliche Schieflage.

Der Hass wird gezüchtet

Wenn spirituelle Weisheiten des Korans und sufistische Erzählungen nicht ebenso Bestandteil des Allgemeinwissens sind, wie das Islambild der Extremisten, das in populistischen Bestsellern verbreitet wird, fehlt ein alternativer Bezugsrahmen. "Der Hass bricht nicht plötzlich aus, er wird gezüchtet", schreibt die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke.
Kritik fruchtet nur dort, wo es einen Diskurs auf Augenhöhe gibt. Wo sozio-strukturell bedingte Missstände nicht leichtfertig "muslimifiziert" werden. Wo politische Lösungen für komplexe Probleme gesucht werden und nicht einseitig nach Restriktionen gerufen wird. Begründet werden Verbotsforderungen häufig mit der Verteidigung der freiheitlich säkularen Gesellschaft – die man eben damit gefährdet. Wie sehr man sie gefährdet, wurde durch den Terroranschlag in Neuseeland schmerzlich ins kollektive Bewusstsein hineinkatapultiert.

Khola Maryam Hübsch ist Journalistin und Autorin. Ihr aktuelles Buch heißt "Rebellion der Sehnsucht – Warum ich mir den Glauben nicht nehmen lasse" (Herder, 2018). Sie ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.



© Lea Weber
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