Nach dem Urnengang

Afghanistan - alte Helden, neue Helden

Von Sabina Matthay |
Erst in einigen Wochen wird der Gewinner der Präsidentschaftswahl in Afghanistan feststehen. Klar aber ist bereits jetzt: Das Land befindet sich im Umbruch und ist auf der Suche nach neuen Köpfen.
Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl lässt auf sich warten, doch Sieger gibt es schon jetzt: die afghanischen Helden alten Zuschnitts. Ehemalige War Lords, vor allem aus dem Norden des Landes, die sich mit ihren Milizen im Kampf gegen die sowjetische Besatzung, im Bürgerkrieg der 90er Jahre und dann gegen die Taliban hervortaten und ihre militärische Macht nach 2001 in politischen Einfluss münzten.
Es sind Männer wie der Usbekenführer Abdul Rashid Dostum, der einst hunderte Taliban-Gefangene in der Provinz Kunduz in glühend heißen Containern ersticken ließ und sich trotzdem nie für die Gräueltaten verantworten musste, die ihm zur Last gelegt werden.
Im Gegenteil: Hamid Karzai nahm Dostum in seine Regierung auf, Präsidentschaftsbewerber Ashraf Ghani kürte ihn, den er einst einen "Killer" nannte, zu seinem Stellvertreter. Mehr noch, es war aus Sicht kühler Realpolitik die richtige Entscheidung.
Dostum ist zwar Analphabet, Choleriker, Alkoholiker, er ist aber vor allem der unangefochtene Anführer der usbekischen Minderheit. Dass der hochgebildete, weltgewandte Technokrat Ghani sich mit ihm verbündete, zeugt vom anhaltend hohen Stellenwert ethnischer Zugehörigkeit und traditioneller Machtstrukturen in der Politik Afghanistans.
Verbrechen werden wohl nie aufgearbeitet
Es unterstreicht auch, dass die Verbrechen, die afghanische Milizen und ihre Anführer in den letzten drei Jahrzehnten an ihren Landsleuten begangen haben, vermutlich niemals aufgearbeitet werden. Zwar begründete Ashraf Ghani das Bündnis mit dem Kriegsfürsten mit der Notwendigkeit von Aussöhnung.
Doch wichtiger war das politische Kalkül: Er brauchte die usbekischen Wähler des Regionalpatrons Dostum, weil er gegen sechs von sieben Mitbewerber antrat, die wie er paschtunischer Herkunft sind. Wohlgemerkt: nicht nur Ghani, alle Kandidaten setzten auf traditionelle Loyalitäten und fragwürdige Partner.
Aber vielleicht zum letzten Mal.
Denn neue Helden laufen den alten in Afghanistan langsam den Rang ab. Es sind vor allem Sportler: das siegreiche Cricket Team, die erfolgreiche Fußballnationalmannschaft erfüllen die Afghanen heute mit Stolz und zwar über ethnische Grenzen hinweg.
Besonders unter jungen Leuten entsteht gerade ein Nationalgefühl, dem egal ist, ob einer Hazara ist, Paschtune oder Tadschike. Nicht mehr der graubärtige Stammesfürst ist ihr Vorbild, sondern der Olympionike und der Fußballstar. Junge Helden für ein Land, dessen Bevölkerung zu zwei Dritteln jünger als 35 ist.
Ein neues Interesse
Dieses Bewusstsein übersetzt sich in die Politik. Das Interesse an Wahlprogrammen, an Fernsehdebatten der Kandidaten, an echten Inhalten, am Wohl des Landes statt an dem der eigenen Volksgruppe war in diesem Präsidentschaftswahlkampf so hoch wie nie.
Das ist auch Folge des ausländischen Entwicklungsengagements der letzten 13 Jahre: In Afghanistan hat sich trotz der Krise eine Mittelschicht entwickelt, die ihre Kinder zur Schule und auf die Universität schickt. Internet und Mobiltelefonie versorgen sie mit Informationen, verschaffen ihnen eine Ahnung von persönlicher Freiheit und von einer Welt, in der junge Leute ihre Ideen nicht mehr patriarchalischen Strukturen opfern müssen.
Es wird mehr als eine Generation brauchen, um die politische Kraft vormoderner Loyalitäten durch moderne Denkmuster zu ersetzen. Afghanistans Gesellschaft hat seit 2001 einen großen Sprung nach vorn gemacht. Die neuen Helden aber werden noch viel Unterstützung brauchen.
Sabina Matthay, geboren 1961, studierte Angewandte Sprachwissenschaft in Saarbrücken - mit Abstechern nach Exeter in England und Urbino in Italien.
Sabina Matthay, Journalistin
Sabina Matthay, Journalistin© privat
1990 Einstieg in den Hörfunk beim Deutschen Dienst des BBC World Service in London. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland und der Arbeit für verschiedene ARD-Sender ist sie dem Radio treu geblieben.
Arbeitsschwerpunkte: Politik, Geschichte, Gesellschaft Großbritanniens und seiner ehemaligen Kolonien und Mandatsgebiete - nur Afrika ist noch ein weißer Fleck auf dieser persönlichen Landkarte.
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