Van Aken: Jede Bombe treibt dem IS neue Kämpfer in die Arme
Vor dem Hintergrund des Terrors in Paris hat die Bundesregierung Frankreich "jedwede Unterstützung" versprochen. Die Linkspartei hält davon nichts. Auch die Reaktion der Franzosen sei "völlig falsch", betont ihr Außenpolitiker Jan van Aken.
Man müsse zwar fest an der Seite von Freunden stehen, sagt der außenpolitische Sprecher der Linkspartei, Jan van Aken. Zugleich wandte er sich im Deutschlandradio Kultur deutlich gegen "jedwede Solidarität". Man dürfe nicht "jeden Unsinn" mitmachen. Die Reaktion der Franzosen auf die Anschläge sei "völlig falsch", betonte van Aken. Mit Kriegsrhetorik tue man nur dem Islamischen Staat einen Gefallen. Und jede Bombe auf Rakka in Syrien treibe dem IS zehn neue Selbstmordattentäter in die Arme. Zudem sei der IS in sunnitischen Gebieten fest verankert und habe die Unterstützung der lokalen Bevölkerung, so dass man dort gar nicht mehr wisse, wen man eigentlich bekämpfen solle. Das Problem lasse sich deswegen nicht militärisch lösen.
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Nach den Anschlägen in Paris heißt es fast einhellig in der EU, natürlich auch aus Deutschland, Frankreich muss im Kampf gegen den IS unterstützt werden. Die Kanzlerin hat es so ausgedrückt:
O-Ton Angela Merkel: Die Bundesregierung steht dazu im engen Kontakt mit der französischen Regierung und hat jedwede Unterstützung angeboten.
Frenzel: Angela Merkel. Sigmar Gabriel, der Vizekanzler, spricht vom gemeinsamen Kampf gegen den IS. Doch was bedeutet das alles über Lippenbekenntnisse hinaus? Meint es zum Beispiel, dass militärische Optionen auch in Deutschland gedacht werden müssen?
Eine von vielen Fragen an die Politik, denen sich auch die Opposition stellen muss, und sei es, um ein Korrektiv zu sein. Jan van Aken ist am Telefon, Außenpolitiker der Linken im Bundestag. Guten Morgen!
Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen!
Frenzel: Wie weit reicht Ihre Solidarität mit Frankreich, ein Land, das im Wortsinne kämpft gegen den IS, auch mit Luftangriffen. Müssen wir mitkämpfen, wenn man uns ruft?
Man muss den IS bekämpfen - aber nicht militärisch
van Aken: Natürlich muss man kämpfen, aber doch nicht militärisch. Ich finde die Solidarität, die Unterstützung für einen Freund, der so derart angegriffen worden ist, die muss sehr groß sein, aber das heißt doch noch lange nicht, dass man jeden Unsinn mitmacht.
Und ich finde die Reaktion Frankreichs und auch in vielen anderen Orten der Welt im Moment völlig falsch, in diese ganze Kriegsrhetorik zu verfallen. Ich glaube, damit tut man nur dem IS einen Gefallen, denn eines müssen wir doch eigentlich alle aus Afghanistan gelernt haben, dass man so einen Feind wie die Taliban, wie den IS militärisch nicht besiegen kann.
Frenzel: Das heißt, für Sie gilt Solidarität nicht uneingeschränkt?
van Aken: Nein. Natürlich muss man gucken, was ist sinnvoll und was ist nicht sinnvoll. Man muss ganz, ganz fest an der Seite der Freunde stehen, das finde ich auch. Aber jedwede Solidarität, jedwede Unterstützung, so wie Merkel das gesagt hat, das ist falsch.
Denn es gibt auch Sachen, die sind einfach falsch. Und wenn man sieht, dass noch mehr Bomben auf Rakka, Bodentruppen in Syrien oder was auch immer da jetzt im Gespräch ist, dass das den Islamischen Staat nur stärker macht, dass es also das Problem vergrößert und nicht verringert, dann darf man so was nicht mitmachen.
Frenzel: Dann lassen Sie uns mal darüber diskutieren, was wirklich helfen könnte und was nicht. Frankreich hat bewusst die NATO außen vor gelassen, Paris setzt auf die Europäische Union, auch auf die UNO, es gibt jetzt Resolutionsentwürfe. Sind das nicht gute Signale, dass wir keinen Kampf der Kulturen haben, sondern gemeinsam gegen Verbrecher kämpfen, Verbrecher, die ja selbst die Gewalt suchen?
Der Terror wird mit Spenden und Ölschmuggel finanziert
van Aken: Das ist völlig richtig. Es ist nur die Frage, wie bekämpfe ich Verbrecher? Wenn Sie hier in Deutschland Verbrecher haben, kommen auch nur einige ganz wenige Durchgeknallte von der CSU auf die Idee, nach dem Militär zu rufen. Das Ganze muss anders bekämpft werden und natürlich fragen wir uns die ganze Zeit, wie kann ich den Islamischen Staat schwächen.
Und da gibt es seit Jahren viele, viele gute Ideen, da wird aber nichts gemacht, da wird immer wieder von den ganzen Geldströmen des Islamischen Staates geredet, die Millionen, die an Spenden reinkommen, über den Ölschmuggel reinkommen. Aber glauben Sie, es hat auch nur eine einzige vernünftige diplomatische Initiative gegeben, die Spendengelder aus den Golfstaaten oder den Ölschmuggel über die Türkei wirklich zu verringern?
Da wird immer nach der einfachen Lösung, nach der schnellen Lösung Militär gerufen, und es wird einfach vollkommen vergessen, dass das den Islamischen Staat nur stärker macht, jede Bombe auf Rakka treibt denen doch wieder nur zehn neue Selbstmordattentäter in die Hände!
Frenzel: Herr van Aken, das mag richtig sein im Blick auf langfristige Strategien, aber nehmen wir zum Beispiel mal ein Land wie Mali, ein Land, das ja schwer unter dem Beschuss der Islamisten war, wo militärisch eingegriffen werden musste und dann auch verhindert hat, dass das ganze Land in die Hände der Islamisten gefallen ist. Deutschland ist da mit ganzen acht Soldaten. Machen wir uns nicht einen schlanken Fuß?
van Aken: Ich finde, Deutschland macht sich einen schlanken Fuß, weil wir eben all das, das helfen kann, was uns langfristig helfen kann, was aber auch sofort helfen kann, nicht tun. Ich finde, dieser einseitige Blick auf das Militärische und immer zu sagen, wer nicht mit Soldaten vor Ort ist, der tut nichts, das ist doch vollkommen falsch. Und wenn Sie sagen langfristige Lösungen, ist das zu kurz gedacht.
Gucken wir uns doch den Islamischen Staat an: Jede Nacht, bis heute jede Nacht kommen Dutzende, wenn nicht Hunderte von Kämpfern mit ihren Waffen über die Türkei zum Islamischen Staat. Wenn Sie da endlich die Grenze zumachen – und das sagen wir seit zwei Jahren –, dann können Sie innerhalb von 24 Stunden den Islamischen Staat schwächen.
Das ist nicht langfristig gedacht, sondern ganz, ganz kurzfristig gedacht, so viel können Sie Rakka gar nicht bombardieren, so viel Waffen können Sie gar nicht an die Peschmerga liefern, wie der Islamische Staat jede Nacht über die Türkei verstärkt wird. Und da endlich mal einen Riegel vorzuschieben, würde sofort helfen, aber da wird nicht drüber nachgedacht, weil Erdogan im Kampf gegen die als Bedrohung empfundenen Flüchtlinge gebraucht wird, und da wird jeder Schmutz mit Erdogan mitgemacht. Das sind die Realitäten und deswegen finde ich, dass Militär immer nur der billige Ausweg ist, der langfristig schädlich ist.
Frenzel: Realitäten sind aber auch, wenn wir zum Beispiel nach Afghanistan schauen, dass, seitdem dort das internationale Militär deutlich weniger vertreten ist, Taliban wieder in ihrem Machtgebiet um sich greifen, dafür sorgen, dass Tausende Menschen auf die Flucht geraten.
Wenn man jetzt darüber nachdenkt zu sagen, wir wollen wenigstens militärische Schutzzonen schaffen, sind das nicht Wege, wo man sagt, da muss man auch als Linker mitgehen, da muss man sagen, kurzfristig kann Militär helfen?
Mit Waffen kann man Taliban und IS nicht besiegen
van Aken: Na ja, gerade wenn Sie Afghanistan sagen: 13 Jahre lang habe ich das gehört! Kurzfristig muss Militär helfen, aber 13 Jahre ist nicht kurzfristig, 13 Jahre ist ein ganz langfristiges Scheitern. Und ich weiß noch, als ich vor sechs, sieben Jahren im Bundestag gesagt habe, man muss mit denen verhandeln, so schlimm es ist, man muss mit dem Gegner verhandeln, wurde ich noch ausgelacht. Und jetzt heißt es seit Jahren, auch von der Bundeswehr, auch von der NATO: Militärisch kann man gegen einen solchen Gegner nicht gewinnen.
Wenn eine Terrororganisation die Unterstützung der lokalen Bevölkerung hat, wenn ich ins Dorf komme und gar nicht mehr weiß, ist das jetzt Bauer oder Taliban oder beides, dann kann ich militärisch nichts machen, das sagt die Bundeswehr.
Und das Gleiche gilt doch auch für den Islamischen Staat, das haben wir mitbekommen, als ich selbst vor Ort war in Syrien, im Irak. Der Islamische Staat ist in den sunnitischen Gegenden komplett vor Ort verankert, da können Sie so viel Bodentruppen hinschicken wie in Afghanistan, Sie werden es nicht lösen, das Problem, militärisch, weil Sie überhaupt nicht mehr wissen, gegen wen kämpfen Sie eigentlich: gegen lokale Bevölkerung, gegen eine Terrororganisation? Und dann werden Sie nach 13 Jahren sagen, weder kurzfristig noch langfristig kann ich militärisch da was ausrichten.
Frenzel: Herr van Aken, ich habe die Sorge, dass Ihre Argumentation letztendlich Scharfmachern wie denen von Pegida und AfD in die Hände spielt. Wenn Sie sagen, kein militärisches Engagement, das – und dabei bleibe ich – wahrscheinlich dazu führt, dass kurzfristig einfach sehr viele Menschen flüchten, sehr viele Menschen hier in unsere Länder kommen, dann gibt es doch nur eine Konsequenz am Ende, dann müssen wir die Grenzen wirklich dicht machen!
van Aken: Noch mal: Ich glaube, man darf niemals den Fehler machen zu sagen, kein Militär heißt nichts tun und zuschauen! Im Gegenteil, seit Jahren predigen wir, tun Sie doch endlich etwas Kurzfristiges, etwas, was ganz, ganz schnell hilft, sorgen Sie zum Beispiel dafür, dass diese Millionen, die fast täglich an den Islamischen Staat fließen, dass die unterbrochen werden! Da gibt es sogar UN-Resolutionen zu.
Aber ich sage Ihnen eines, ich war in diesem Jahr in Katar, wegen ganz anderer Geschichten, Fußballweltmeisterschaft als Stichwort. Und dann reden wir dort mit dem Arbeitsminister und dann sagt der uns und der Deutschen Botschaft: Na ja, ich bin hier auch für Stiftungen zuständig. Und die Deutsche Botschaft weiß das nicht mal und dann sagt er, na ja, mich wundert es auch, dass Sie mich hier gar nicht belästigen, die amerikanische Botschafterin sitzt mir täglich auf dem Schoß, weil über die Stiftungen eben auch Geld an Islamisten und Dschihadisten geschmuggelt wird.
Und die Deutschen wissen das gar nicht! Das heißt, dieses Nichtstun auf allen anderen Gebieten, da wird immer zugeschaut. Und wenn dann jemand sagt, nein, Militär ist die falsche Lösung, heißt es immer, na ja, der möchte, dass die Flüchtlinge hierherkommen. Ich finde, diese absolute Ignoranz von den vielen Möglichkeiten, den Islamischen Staat zu bekämpfen, die stört mich richtig.
Frenzel: Die Position des Außenpolitikers der Linken, Jan van Aken. Ich danke Ihnen für das Interview!
van Aken: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.