Kampf um die Macht in der Türkei
Ein Korruptionsskandal erschüttert die Türkei. Der türkische Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gerät unter Druck. Die Korruptionsermittlungen drohen inzwischen das Verhältnis der türkischen Regierung zu den USA zu belasten. Nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers und früheren Leiters des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach, werden sich durch den Korruptionsskandal die Machtverhältnisse in der Türkei neu sortieren.
Hanns Ostermann: Im Sommer waren es die landesweiten Proteste, die Ministerpräsident Erdogan erheblich unter Druck setzten; jetzt ist es der Korruptionsskandal. Ist da wirklich der Islam-Prediger Gülen die treibende Kraft, und wie gefährlich könnte das Ganze für den Regierungschef werden. Darüber rede ich jetzt mit dem Nah- und Mittelostexperten Udo Steinbach. Guten Morgen, Herr Steinbach!
Udo Steinbach: Schönen guten Morgen!
Ostermann: Welche Rolle spielt in diesem Skandal Fethullah Gülen aus Ihrer Sicht?
Steinbach: Er spielt schon eine wichtige Rolle. Die Bewegung ist sehr stark in der Türkei. Sie hat lange zusammengearbeitet mit der Regierung, und nun kommt es offensichtlich zu einem Bruch zwischen Teilen der Regierung auf der einen Seite, also insbesondere dem Ministerpräsidenten und der Bewegung selbst. Und das Ganze scheint in der Tat in erster Linie wohl ein Kampf um die Macht zu sein.
Ostermann: Wie kam es überhaupt dazu, dass sich die einstigen Verbündeten, Erdogan und Gülen, überworfen haben?
Steinbach: Das ist für den Augenblick, glaube ich, noch schwer zu sagen. Was wir erleben, ist, dass der Ministerpräsident immer stärker abhebt, dass er Freund und Feind offensichtlich nicht mehr richtig unterscheidet; dass er die Machtverhältnisse in der eigenen Gesellschaft, und die Gezi-Bewegung hat das ganz klar gezeigt, nicht richtig einschätzt; dass er dahin tendiert, alles, was gegen ihn steht, nun als eine Verschwörung des Auslands zu sehen. Und ich glaube, das ist ganz wesentlich hinter dieser Krise. Der Ministerpräsident vergisst diejenigen, denen er seine Macht verdankt. Er versucht mehr und mehr eine Alleinherrschaft, eine autokratische Herrschaft in der Türkei zu etablieren. Und das ruft natürlich Kräfte gegen ihn wach. Die Gezi-Bewegung war das eine, die Gülen-Bewegung ist das andere; und das Dritte wird sein, auch in seiner eigenen Partei werden die Kräfte jetzt stärker, die letzten Endes doch eine Ablösung von Erdogan von der Politik plädieren würden.
Ostermann: Ranghohe Polizeibeamte wurden inzwischen ihrer Ämter enthoben. Würden Sie auch so weit gehen und von einer massiven Säuberungsaktion sprechen? Ist das auch ein Beispiel möglicherweise für den Realitätsverlust?
Steinbach: Ja, ganz gewiss. Das erleben wir auch schon lange. Dass jetzt die Korruptionsfälle aufgedeckt werden, hat natürlich was mit der konkreten Situation zu tun, in die die Türkei im Augenblick hineingeraten ist. Aber über die Verbindungen von Erdogan-Leuten, seiner Minister und seiner Kamarilla, darüber redet man in der Türkei schon lange. Das ist ja auch vor deutschen Gerichten schon aktenkundig gemacht worden, dass es auch hier Organisationen gibt, die dem Ministerpräsidenten nahestehen, die korrupt sind. Also, das Faktum selbst steht im Raum, aber das, was jetzt geschieht, worauf Sie auch gerade angespielt haben, das ist natürlich Teil dieses Machtkampfes, der mit knallharten Bandagen ausgetragen wird.
Ostermann: Interessant ist ja, dass die Justiz lange Zeit geheim ermittelt hat. Ist sie inzwischen wirklich so unabhängig, wie sich das etwa Brüssel wünscht und vorstellt?
Steinbach: Noch nicht. Die Justiz, mal scheint sie eher in den Händen des Ministerpräsidenten zu sein, jetzt sieht es so aus, als sei sie in den Händen der Gülen-Bewegung. Die Justiz hat sicherlich große Fortschritte gemacht, was ihre Unabhängigkeit betrifft. Das hat sie zum Beispiel gezeigt, als sie den Ministerpräsidenten unterstützt hat in seinem Kampf gegen das Militär. Damals war die Justiz auf seiner Seite, jetzt ist sie gegen ihn. Also, man wird natürlich der Justiz eine große Macht einräumen müssen, und ich glaube, wenn sich der Ministerpräsident jetzt mit dieser Justiz anlegt, dann zieht er am Ende den Kürzeren. Aber vollständig unabhängig ist die Justiz nicht. Zum Teil ist sie eben noch in der Hand von Kräften, sei es, der Regierung oder anderer.
Ostermann: Einer der Vorwürfe besteht ja auch darin, dass die staatliche Halkbank Geschäfte mit dem Iran gemacht haben soll. Halten Sie das für plausibel, für denkbar?
Steinbach: Ja, das halte ich nicht nur für plausibel, das ist ja mittlerweile nachgewiesen. Und dass staatliche Banken in der Türkei Geschäfte machen mit den Politikern, das ist ja nicht zum ersten Mal der Fall, das hat es vor zehn Jahren gegeben, als diese Art von Kollaboration fast die Türkei an den Rand eines wirtschaftlichen Kollapses gebracht hat. Dann begann man die Wirtschaft zu konsolidieren, man begann, den öffentlichen Sektor vom Regierungssektor, von der Regierung zu trennen, den privaten Sektor zu stärken. Aber was wir jetzt sehen, diese Geschäfte der Halkbank, also einer öffentlichen Bank in der Hand der Regierung mit anderen zusammen, mit Mitgliedern der Regierung, das ist etwas, was, glaube ich, das System Erdogan in den letzten Jahren mehr und mehr ausgezeichnet hat.
Ostermann: Jetzt kommt der Korruptionsskandal zu einem für Erdogan denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Im März die Kommunal- und im August die Präsidentenwahlen. Unter dem Strich – wie sehr steht der Ministerpräsident inzwischen mit dem Rücken zur Wand?
Steinbach: Er steht noch nicht mit dem Rücken zur Wand. Das sehen wir ja auch, das hören wir jeden Tag von ihm. Aber seine Machtbasis erodiert, und in der Tat, Sie haben recht, die Kommunalwahlen im Frühjahr des Jahres 2014 werden zeigen, wie stark er beschädigt ist. Da gibt es ganz unterschiedliche Einschätzungen. Die einen sagen, die Auseinandersetzung mit Gezi, aber vor allen Dingen jetzt mit Gülen, hat ihn stark beschädigt. Es gibt andere, die sagen, das wird ihn weniger beschädigen, sechs bis sieben Prozent. Das wird er vielleicht lassen müssen, aber nicht mehr. Dann wird er hinterher im Lauf des Jahres zu den Präsidentschaftswahlen antreten. Also, ich glaube, noch ist nicht das Ende der Tage von Erdogan eingeläutet, aber die Machtverhältnisse in der Türkei insgesamt beginnen sich neu zu sortieren.
Ostermann: Udo Steinbach, der Nah- und Mittelostexperte, zum Korruptionsskandal in der Türkei. Herr Steinbach, danke für das Gespräch und schöne Weihnachten!
Steinbach: Danke schön, ebenfalls!
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