Die CSU im Nirwana
Die CSU habe eine historische Chance vergeben, kritisiert Münchener Schriftsteller Albert Ostermaier. Die christliche Partei hätte besser auf mehr Mut statt auf Angst in der Flüchtlingspolitik gesetzt und ein positives Beispiel gegeben.
Die CSU werde weiter verlieren, lautet die Prognose des Münchener Schriftsteller Albert Ostermaier am Tag nach der Landtagswahl. Mit dem Satz, man wolle eine bürgerliche Regierung bilden, habe sich gezeigt, dass die Partei nicht verstanden habe, dass dieses Bürgerliche und diese bürgerliche Mitte längst zum Beispiel auch bei den Grünen angekommen sei.
"Alle, die ich um mich herum kenne, haben Grün gewählt, und das sind nicht nur Künstler, sondern das sind genauso Unternehmensberater, das sind Unternehmer, das sind Leute aus allen verschiedenen Aspekten von Berufen", sagte Ostermaier im Deutschlandfunk Kultur. Sie hätten gerade in der Flüchtlingspolitik ein Bayern erlebt, das offen gewesen sei und liberaler als die heutige CSU. Die Partei habe den Kontakt zu ihren Wählern verloren und etwas repräsentiert, das mit der wahrgenommenen Wirklichkeit der Menschen in Bayern wenig zu tun habe. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Frank Meyer: Bayern hat gewählt. Eine Wahl, die möglicherweise die Richtung vorgibt für einige kommende Wahlen in unserem Land. Und darüber wollen wir jetzt reden mit dem Münchener Schriftsteller Albert Ostermaier. Er war vor der Wahl unter anderem dabei bei der Demonstration "Ausgehetzt – gemeinsam gegen die Politik der Angst". Unter diesem Motto sind in München Tausende von Menschen auf die Straße gegangen. Guten Tag, Herr Ostermaier!
Albert Ostermaier: Guten Morgen!
Meyer: Wie geht es Ihnen denn jetzt mit dem Ausgang dieser Wahl, mit den großen Verlusten sowohl für die CSU als auch für die SPD?
Ostermaier: Ich denke, es war eine wirklich entscheidende Wahl, und die hat gezeigt, dass die CSU, die sich immer mehr orbanisiert hat, dadurch urban verliert, und dass die CSU, die sich immer als eins gedacht hat und als eins gesetzt hat mit Bayern und natürlich auch über lange Jahre diesen Instinkt für Bayern hat, komplett jeden Kontakt damit verloren hat, was ihre Basis ist und was die Menschen hier denken. Und das Überraschende ist auch wirklich, dass sich das so manifestiert hat.
Wir haben ja immerhin in Bayern noch die Angst gehabt, dass der Satz von Herbert Achternbusch für alle Ewigkeiten gilt, nämlich 75 Prozent der Bayern sind Anarchisten, und alle wählen sie die CSU. Der zweite Teil stimmt so nicht mehr, und ich denke, das ist ein einschneidendes Ergebnis, denn so wie ich das hier gesehen habe, hat die CSU immer noch nicht kapiert, was passiert ist und wie sich die Gesellschaft gewandelt hat und wie die Gesellschaft gerade sich dort entfremdet hat von dieser Partei oder die Partei von der Gesellschaft.
Meyer: Auf der anderen Seite sieht es ja so aus, als ob dann im großen Bild doch alles beim Alten bleibt. Denn wenn die CSU mit den Freien Wählern jetzt eine Koalition eingeht – die Spitzen haben sich ja schon auf beiden Seiten dafür ausgesprochen –, dann könnte es ja sein, dass sich gar nicht so viel verändert in Bayern, oder?
Ostermaier: Ich denke, es wird sich natürlich in der Substanz etwas verändern, weil dieser Wahlabend hat gezeigt, dass es möglich ist. Wenn man denkt, dass die Grünen auch hier in München fünf Direktmandate gewonnen hat, dass sie in den Großstädten bis über 30 Prozent kam, dann hat das doch gezeigt, dass hier ein Umdenken möglich ist. Und die CSU wird weiter verlieren, denn wenn man am Wahlabend gesehen hat, wie sie immer davon gesprochen haben, eine bürgerliche Regierung zu bilden, haben sie überhaupt nicht verstanden, dass dieses Bürgerliche und diese bürgerliche Mitte längst zum Beispiel auch bei den Grünen ist.
Alle, die ich um mich herum kenne, haben Grün gewählt, und das sind nicht nur Künstler, sondern das sind genauso Unternehmensberater, das sind Unternehmer, das sind Leute aus allen verschiedenen Aspekten von Berufen, die eben gerade, und da ist nämlich genau der Punkt, die gerade in der Flüchtlingspolitik ein Bayern erlebt haben, das offen war, das liberaler – das die Leute aufgenommen hat, das hier eine neue Sinngebung hatte und dass eigentlich in dieser ganzen Bewegung mehr als Angst eine positive Erfahrung hatte. Und die CSU ist hier wirklich Kamikaze gelaufen und hat da den Kontakt zu ihren Wählern verloren und etwas repräsentiert und nach außen formuliert, was nicht mit der wahrgenommenen Wirklichkeit der Menschen hier zu tun hat.
Gefährliche Radikalisierung
Meyer: Sie haben sich ja auf dem Feld, ich habe es schon gesagt, besonders engagiert, unter anderem mit dieser Demonstration "Ausgehetzt". Diese harte Haltung der CSU gegenüber Flüchtlingen, das ist auch Ihre Wahrnehmung, das war sehr wichtig für den Ausgang dieser Wahl?
Ostermaier: Ich glaube, das war mit wirklich einer der maßgeblichen Punkte. Denn wie gesagt, die Erfahrung der Leute vor Ort, nicht nur in den Städten, war eine fundamental andere. Wenn wir hier gesehen haben, wie damals diese Willkommenskultur in München – das war einfach ein Bild, wo mir die Tränen gekommen sind, ich hab gesagt, das ist mein München, das ist mein Bayern. Und diese Erfahrung haben viele Leute gerade auch auf dem Land, gerade auch in den kleinen Gemeinden, wo man immer sagt, die sind so konservativ, gemacht. Und wir sind dabei, jetzt zu integrieren, und dieses Integrieren funktioniert auch. Es gibt kein Flüchtlingsproblem.
Und deswegen hat die CSU hier eine Kampagne gefahren, die noch dazu zu einer Verbalverrohung sondergleichen geführt hat und die politischen Grenzen immer mehr verschoben hat. Und somit hat die CSU hier einer Radikalisierung Vorschub geleistet, die wirklich gefährlich ist. Und die Menschen haben das erkannt und wollten auch diese Hagen'sche Politik von Herrn Seehofer, der alle in seinen persönlichen Untergang reißen will, einfach das nicht mehr mitmachen. Und die CSU kann jetzt mit dem Aiwanger Wahlverein natürlich eine Regierung bilden. Aber das wird nicht dem Rechnung tragen, was wir für fundamentale Veränderungen hier in der Gesellschaft und in Bayern haben, und dass dieses Bayern 2018 nicht mehr dieses homogene CSU-Bierpartei-Bayern ist.
Verrohung der Sprache
Meyer: Sie haben gerade die Verrohung der Sprache angesprochen. Wir reden hier in der "Lesart" in den letzten Wochen mit Schriftstellern über die derzeitige Politik und ihre Haltung dazu. Und wir haben schon von mehreren Autoren gehört, Marcel Beyer zum Beispiel hat uns das gesagt, was sie besonders umtreibt. Das ist die Verschärfung, die Verrohung der Sprache in der politischen Landschaft unserer Zeit. Das beschäftigt sie offenbar auch sehr?
Ostermaier: Ja, auf jeden Fall, weil diese Verrohung schafft natürlich Wirklichkeiten und sie verschiebt Grenzen und sie enttabuisiert. Und somit kommt es zu einer derartigen Verbalradikalisierung, der die Parteien dann inhaltlich hinterherhecheln müssen. Und man denkt, damit irgendwie den rechten Rand zu gewinnen. Aber der rechte Rand ist nicht zu gewinnen, sondern wir müssen überzeugte, kämpferische Demokraten sein.
Wir müssen genau für diese Liberalität einstehen, für diese Offenheit, die wir haben, und so unsere Demokratie verteidigen und nicht versuchen, und verbal anzupassen. Und wir sehen das ja, man gibt der AfD und man gibt den Rechten immer mehr eine Möglichkeit, sich darzustellen und als eine Alternative zu propagieren. Da muss man dagegen steuern, und da muss man gerade eben als konservative, christliche Partei das Christliche demonstrieren.
Ich glaube, die CSU hat eine historische Chance vergeben. Wenn die CSU nämlich in der Flüchtlingspolitik die Haltung Merkels gehabt hätte und gesagt hätte, ja, wir sind eine christliche Partei, wir haben schon damals nach dem Zweiten Weltkrieg Unmengen an Flüchtlingen integriert und ein positives Beispiel gegeben.
Wenn sie hier die Erfahrung, die auch die Bevölkerung gemacht hat, nicht Angst, sondern Mut gemacht hätte und gesagt hätte – und das war ja de facto so –, die CSU, das ist ja die andere Seite, sie haben ja vor Ort, in der Organisation, in allem, was für die Flüchtlinge geleistet wurde, was dort geschaffen wurde, war das einfach beispiellos in ganz Deutschland. Und wenn man das genommen hätte und für sich propagiert hätte, dann hätte die CSU überleben können. Aber so ist sie in irgendeinem Nirwana, das aber nichts mehr mit den Menschen zu tun hat.
Kirchen auf Distanz
Meyer: Interessanterweise sind ja auch Vertreter der Katholischen Kirche auf Distanz gegangen zur CSU, obwohl ja CSU und Kirche so lange verpartnert waren praktisch in Bayern. Meinen Sie, das ist eine Spaltung, die sich da auf lange Zeit aufgetan hat?
Ostermaier: Ich denke, ja. Mit diesem Personal, das die CSU hat. Und wenn man gerade sieht, dass immer wieder die Mantras kommen, man soll eine stabile Regierung bilden, da kriege ich einen Ausschlag, muss ich ganz ehrlich sagen. Wenn man hier von Stabilität redet – wer war denn der instabilste Faktor der Bundesregierung? Das ist natürlich Herr Seehofer.
Und die CSU hat die Bundesrepublik destabilisiert mit ihrer Propaganda, mit dem, dass sie versucht hat, sich der AfD verbal anzunähern. Und genau jetzt haben wir diese Erosion. Und ich denke, da muss in der CSU wirklich eine komplette Erneuerung stattfinden. Nur, wenn sie hier wieder auch dieses "C" in ihrer Partei ernst nimmt, wird sie eine Chance haben, die Menschen, die sie in der Mitte verloren hat, zurückzugewinnen, weil die am rechten Rand wird sie sicherlich nicht zurückgewinnen.
Meyer: Nach den Wahlen in Bayern war das der Dramatiker, Lyriker und Prosaautor Albert Ostermaier. Herr Ostermaier, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.