Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander. Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"‚ "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".
Die Internationale der Populisten
Die Europawahl war in vielen Ländern ein Triumph für die Rechtspopulisten. Doch der Schreck darüber scheint schon fast vergessen. Das ist ein Fehler, meint der Schriftsteller Hans Christoph Buch. Er hat eine klare Forderung an die westliche Wertegemeinschaft.
Nicht das starke Abschneiden von Rechtspopulisten ist die größte Gefahr für die europäische Demokratie. Noch bedenklicher ist das Bündnis rechts- und linksradikaler Parteien, das sich abzeichnet: Ein Bündnis von Parteien, die Europa genauso verachten wie die Demokratie, der sie ihre Wahlerfolge verdanken. Und als sei das nicht genug, liebäugeln sie mit lupenreinen Autokraten wie Putin, der Staatsgrenzen souverän ignoriert und das Völkerrecht so ungeniert mit Füßen tritt wie die Menschen- und Bürgerrechte in seinem Land.
Symptomatisch ist, dass und wie der Konflikt sich an einer Frage entzündete, die wie ein Brennglas antiwestliche Vorurteile bündelt und unbewusste Wünsche und Ängste mobilisiert: die Frage der Sexualität. Von daher die drakonischen Strafen gegen Pussy Riot und die Propagandakampagne gegen Gayropa, während Putin mit nacktem Oberkörper als Supermacho posiert. Sexualfeindlichkeit und Homophobie beruhen ja auf der Anziehungskraft dessen, was sie so lautstark bekämpfen.
Putins Aufstieg vom KGB-Mann zum Herrscher Eurasiens
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fragte ich den Literaturnobelpreisträger Joseph Brodsky, seit seiner Ausbürgerung in New York wohnhaft, warum er nicht nach St. Petersburg zurückkehre. "Ich kann und will nicht zurück", sagte Brodsky, "denn auf den Kommunismus folgt die Mafia, und danach kommt der Faschismus an die Macht."
Diese mir damals abwegig erscheinende Prognose kommt der Wahrheit nahe, wenn man Wladimir Putins aufhaltsamen Aufstieg vom KGB-Mann zum Herrscher Eurasiens nüchtern betrachtet. Dass er ukrainische Nationalisten als Faschisten diffamiert und dass die russische Bevölkerung Putins Politik gutheißt, spricht nicht gegen, sondern für diese These, denn die Tradition des großrussischen Chauvinismus reicht von Stalin über Nikolaus I. zurück bis zu Iwan dem Schrecklichen.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, doch das in Russland verbreitete Gefühl, vom Westen gedemütigt worden zu sein, gekoppelt mit Schuldzuweisungen an die EU, ist durchaus vergleichbar mit der "Dolchstoßlegende" nach dem Ersten Weltkrieg und der Verteufelung des Versailler Vertrags. Eine weitere Parallele drängt sich auf: Der vorauseilende Gehorsam gegenüber Putin in Teilen der deutschen Öffentlichkeit erinnert fatal an die Zerstückelung Polens zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Heute steht die Ukraine zur Disposition.
Hass auf Europa und dessen politische Kultur
Es geht nicht einfach um eine Neuauflage des Totalitarismus: Das autoritäre Durchgreifen wird pseudodemokratisch legitimiert, und die Internationale der Populisten reicht schon jetzt von Paris bis Moskau und von Budapest bis Minsk, nicht zu vergessen Erdogan in der Türkei. Einig sind die untereinander zerstrittenen Führer sich nur in ihrem Hass auf Europa und dessen politische Kultur. Und in Teilen der Bevölkerung mutiert die Europaskepsis zum Demokratieverdruss.
Trotzdem gibt es keine Alternative zur Sisyphusarbeit der Diplomaten. Aber die westliche Wertegemeinschaft - allen voran NATO und EU - muss Worten Taten folgen lassen. Wenn Europa nicht bereit ist, seine Freiheit zu verteidigen, hat es den neuen Kalten Krieg verloren, noch bevor er begonnen hat.