Nach der Hysterie
Knapp zwei Wochen beherrschte sie die Schlagzeilen, jetzt findet die "Schweinegrippe" oder "neue Grippe" in den Medien kaum noch statt. Dennoch gibt es täglich neue Ansteckungsfälle. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 29.05. gab es bisher in 53 Länder insgesamt 15.510 Infektionsfälle und 99 Tote. In Deutschland wurden bisher 19 Fälle bekannt.
Und auch, wenn die erste Infektionswelle vergleichsweise harmlos verlaufen ist, warnen Experten, dass sich das Virus verändern, mit anderen Viren vermischen und im Herbst oder Winter weitaus gefährlicher zurückkehren könne.
Weltweit wird daher unermüdlich nach einem Impfstoff gesucht.
Einer der beteiligten Forscher ist Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Phillips-Universität in Marburg. Der Virologe wird gern reißerisch als der "Herr der Killerviren" bezeichnet, weil er eines der beiden Hochsicherheitslabore in Deutschland leitet. Hier werden tödliche Viren wie Ebola-, Lassa-, Hantaviren erforscht.
Der Marburger Wissenschaftler mahnte von Anbeginn, angesichts der "Schweinegrippe" nicht in Panik zu verfallen.
"Die erste Reaktion war normal. Nur man muss versuchen, von dieser Hysterie wegzukommen. Wir sind ständig von Infektionserregern umgeben, sie prasseln auf uns ein ... und da passiert nichts! Aber wenn etwas Neues kommt und dann auch noch aus Mexiko, dann denken alle: ´Oh Gott, was ist das?`" Unsicherheit schürt Angst, und dann geht der Kreislauf los: Die Angst schürt das Medieninteresse, das wiederum zwingt die Politiker, möglichst schnell etwas zu machen, alle möglichen ´Experten` werden befragt. Ich bin eineinhalb Wochen nicht vom Telefon weg gekommen, das Fernsehen, Hörfunk, Presse - alle wollten was wissen."
Jährlich stürben allein in Deutschland 10.000 Menschen an der normalen saisonalen Grippe, darüber rege sich niemand auf.
In Kooperation mit einer Pharmafirma entwickelt das Team um Stephan Becker nun einen Impfstoff; ein aufwändiger Prozess, bei dem - wie bereits seit 50 Jahren - spezielle Hühnereier als Brutstätte genutzt werden. Nicht zuletzt wegen des hohen Bedarfs warnt die WHO bereits vor einer Knappheit der Impfdosen. Schwierig werde es besonders für die Entwicklungsländer, die nicht über Pandemiepläne wie die Industriestaaten verfügen.
Dr. Astrid Epp verfolgt die Arbeit der Virusforscher, aber auch den Umgang der Öffentlichkeit mit der "Schweinegrippe" aus einem anderen Blickwinkel: Die Soziologin arbeitet am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Es wurde nach den Erfahrungen mit der BSE-Krise gegründet und soll wissenschaftlich unabhängige Risikobewertungen für Verbraucher, Behörden, Wirtschaftsverbände geben. Erforscht werden u.a. Risiken von Lebensmitteln, Chemikalien, Dingen des täglichen Bedarfs – z. B. die Verträglichkeit von Kunststoffen.
"Die Hauptlehre war, dass man relativ früh mit den Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen muss, ohne, dass man schon fertige Ergebnisse präsentieren kann. Das war ja die Folgerung aus der BSE-Krise, dass eben nicht alles kommuniziert worden war. Jetzt wird versucht: Wir gehen frühzeitig mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit und sagen auch, wo die Unsicherheiten sind."
So habe man es aktuell auch mit der "Schweinegrippe" gehalten.
Sie interessiert als Soziologin aber auch unser gesellschaftlicher und individueller Umgang mit solchen Risiken und Bedrohungen. Er sei auch entscheidend dafür, wie Politiker etwaige Epidemien kommunizieren. Wie kommen die Nachrichten bei den Verbrauchern an, was bedeuten sie z.B. bei der BSE-Krise für die Bauern oder bei der "Vogelgrippe" für den Tourismus?
Ihre Erfahrung: "Die intuitive Risikoeinschätzung ist anders als die wissenschaftliche. Das wichtigste ist, ob Sie glauben, dass Sie Einfluss auf das Risiko nehmen können oder nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Rauchen oder Alkohol. Das sind freiwillige Risiken, die wir eingehen, weil wir auch einen Nutzen daraus ziehen. Aber wenn das Risiko von Dritten ausgeht, dann nehme ich es schon als größer wahr. Dann ist die Frage: Bin ich betroffen? Zum Beispiel bei der `Schweinegrippe`: Hat es etwas mit mir zu tun oder mit meiner Familie, mit meinen Freunden? Und es hat letztlich auch damit zu tun, wie es durch die Medien vermittelt wird. Wenn etwas zum Beispiel in der Öffentlichkeit von der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, wie die Gentechnik, dann schafft das größere Unsicherheit."
Deshalb sei für sie die Frage immer wieder spannend, "wie können wir die Verbraucher aufmerksam machen, ohne Panik zu verbreiten."
"Nach der Hysterie – Unser Umgang mit Risiken wie der Schweinegrippe"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Virologen Stephan Becker und der Risikosoziologin Astrid Epp. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
Institut für Virologie an der Philipps-Universität Marburg
Bundesinstitut für Risikobewertung
Aktuelle Informationen über die Schweingrippe:
Uni Marburg
Robert-Koch-Insitut
Weltweit wird daher unermüdlich nach einem Impfstoff gesucht.
Einer der beteiligten Forscher ist Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Phillips-Universität in Marburg. Der Virologe wird gern reißerisch als der "Herr der Killerviren" bezeichnet, weil er eines der beiden Hochsicherheitslabore in Deutschland leitet. Hier werden tödliche Viren wie Ebola-, Lassa-, Hantaviren erforscht.
Der Marburger Wissenschaftler mahnte von Anbeginn, angesichts der "Schweinegrippe" nicht in Panik zu verfallen.
"Die erste Reaktion war normal. Nur man muss versuchen, von dieser Hysterie wegzukommen. Wir sind ständig von Infektionserregern umgeben, sie prasseln auf uns ein ... und da passiert nichts! Aber wenn etwas Neues kommt und dann auch noch aus Mexiko, dann denken alle: ´Oh Gott, was ist das?`" Unsicherheit schürt Angst, und dann geht der Kreislauf los: Die Angst schürt das Medieninteresse, das wiederum zwingt die Politiker, möglichst schnell etwas zu machen, alle möglichen ´Experten` werden befragt. Ich bin eineinhalb Wochen nicht vom Telefon weg gekommen, das Fernsehen, Hörfunk, Presse - alle wollten was wissen."
Jährlich stürben allein in Deutschland 10.000 Menschen an der normalen saisonalen Grippe, darüber rege sich niemand auf.
In Kooperation mit einer Pharmafirma entwickelt das Team um Stephan Becker nun einen Impfstoff; ein aufwändiger Prozess, bei dem - wie bereits seit 50 Jahren - spezielle Hühnereier als Brutstätte genutzt werden. Nicht zuletzt wegen des hohen Bedarfs warnt die WHO bereits vor einer Knappheit der Impfdosen. Schwierig werde es besonders für die Entwicklungsländer, die nicht über Pandemiepläne wie die Industriestaaten verfügen.
Dr. Astrid Epp verfolgt die Arbeit der Virusforscher, aber auch den Umgang der Öffentlichkeit mit der "Schweinegrippe" aus einem anderen Blickwinkel: Die Soziologin arbeitet am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Es wurde nach den Erfahrungen mit der BSE-Krise gegründet und soll wissenschaftlich unabhängige Risikobewertungen für Verbraucher, Behörden, Wirtschaftsverbände geben. Erforscht werden u.a. Risiken von Lebensmitteln, Chemikalien, Dingen des täglichen Bedarfs – z. B. die Verträglichkeit von Kunststoffen.
"Die Hauptlehre war, dass man relativ früh mit den Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen muss, ohne, dass man schon fertige Ergebnisse präsentieren kann. Das war ja die Folgerung aus der BSE-Krise, dass eben nicht alles kommuniziert worden war. Jetzt wird versucht: Wir gehen frühzeitig mit Ergebnissen an die Öffentlichkeit und sagen auch, wo die Unsicherheiten sind."
So habe man es aktuell auch mit der "Schweinegrippe" gehalten.
Sie interessiert als Soziologin aber auch unser gesellschaftlicher und individueller Umgang mit solchen Risiken und Bedrohungen. Er sei auch entscheidend dafür, wie Politiker etwaige Epidemien kommunizieren. Wie kommen die Nachrichten bei den Verbrauchern an, was bedeuten sie z.B. bei der BSE-Krise für die Bauern oder bei der "Vogelgrippe" für den Tourismus?
Ihre Erfahrung: "Die intuitive Risikoeinschätzung ist anders als die wissenschaftliche. Das wichtigste ist, ob Sie glauben, dass Sie Einfluss auf das Risiko nehmen können oder nicht. Nehmen Sie zum Beispiel das Rauchen oder Alkohol. Das sind freiwillige Risiken, die wir eingehen, weil wir auch einen Nutzen daraus ziehen. Aber wenn das Risiko von Dritten ausgeht, dann nehme ich es schon als größer wahr. Dann ist die Frage: Bin ich betroffen? Zum Beispiel bei der `Schweinegrippe`: Hat es etwas mit mir zu tun oder mit meiner Familie, mit meinen Freunden? Und es hat letztlich auch damit zu tun, wie es durch die Medien vermittelt wird. Wenn etwas zum Beispiel in der Öffentlichkeit von der Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, wie die Gentechnik, dann schafft das größere Unsicherheit."
Deshalb sei für sie die Frage immer wieder spannend, "wie können wir die Verbraucher aufmerksam machen, ohne Panik zu verbreiten."
"Nach der Hysterie – Unser Umgang mit Risiken wie der Schweinegrippe"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit dem Virologen Stephan Becker und der Risikosoziologin Astrid Epp. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
Institut für Virologie an der Philipps-Universität Marburg
Bundesinstitut für Risikobewertung
Aktuelle Informationen über die Schweingrippe:
Uni Marburg
Robert-Koch-Insitut