Sie wollen Russland ändern
"Russland ist wie ein Straflager" - das sagt die freigelassene Punk-Sängerin Nadjeschda Tolokonnikowa. Gemeinsam mit der ebenfalls freigelassenen Maria Aljochina würde sie gern eine Menschenrechtsorganisation gründen.
Als Nadjeschda Tolokonnikowa in Krasnojarsk in Ostsibirien in die Freiheit trat, war es schon dunkel. Krasnojarsk liegt rund 3500 Kilometer östlich von Moskau und ist vier Stunden voraus. Journalisten hatten dort seit Tagen auf die Performance-Künstlerin gewartet. Tolokonnikowa gab sich kämpferisch.
"Ich habe mich nicht verändert. Ich stehe nach wie vor aufrecht. Und ich hoffe, dass ich die Lage im Land jetzt verändern kann. Der Mensch lebt, um zu handeln, und die Welt zu verbessern. Angst zu haben, wäre falsch."
Tolokonnikowa kündigte an, künftig für bessere Haftbedingungen im russischen Strafvollzug zu kämpfen. Die 24-Jährige wirkte härter als vor ihrer Verurteilung vor anderthalb Jahren. Die letzten Wochen hatte sie im Krankenhaus verbracht. Zuvor war sie mehrfach verlegt worden. Bereits aus der Haft heraus hatte sie Gewaltexzesse im Straflager öffentlich gemacht und danach Schwierigkeiten mit der Lagerleitung und mit ihren Mithäftlingen bekommen. Aus Protest war sie wiederholt in den Hungerstreik getreten.
"Ich halte diese Zeit nicht für verloren. Ich habe einzigartige Erfahrungen gesammelt. Konkrete Menschenrechtsarbeit zu machen, wird für mich jetzt viel einfacher werden als früher. Ich bin gereift, ich habe den Staat von innen kennengelernt, habe diese kleine diktatorische Maschine von innen gesehen. Russland ist wie ein Straflager aufgebaut. Deshalb ist es so wichtig, die Straflager zu ändern – um Russland zu ändern."
Sie überlegen ein Organisation für die Rechte Gefangener aufzubauen
In Russland sind derzeit rund 700.000 Menschen in Haft. Die Zustände in den Gefängnissen und Lagern wurden auch vom Europarat kritisiert. Nadjeschda Tolokonnikowa überlegt nun, gemeinsam mit Maria Aljochina eine Organisation für die Rechte Gefangener zu gründen. Aljochina, die zweite zu einer Haftstrafe verurteilte Aktivistin von Pussy Riot, wurde bereits heute früh aus einem Lager in Nischnij Nowgorod an der Wolga entlassen, so überraschend, dass sie sich nicht von ihren Mithäftlingen verabschieden konnte.
"Es passierte geheim und ziemlich plötzlich. Ich wurde in ein Auto gesetzt und zum Bahnhof gebracht. Ich denke, die Mitarbeiter des Lagers wollten laute Abschiedsszenen vermeiden."
Statt nach Moskau zu fahren, traf Aljochina als erstes Menschenrechtler in Nischnij Nowgorod. Sie sprach mit ihnen bereits über die Beschwerden ihrer ehemaligen Mitinsassen.
Aljochina wirkte ausgelassen. Auf die Frage einer Reporterin, ob sie das sogenannte Punk-Gebet in der Christ-Erlöser-Kathedrale wiederholen würde oder beim nächsten Mal etwas ändern würde, sagte sie:
"Wir würden das Lied zu Ende singen. Man muss es im Ganzen hören und nicht nur eine Strophe."
Beide Frauen kamen aufgrund einer Amnestie frei, die die Staatsduma vergangene Woche auf Initiative Wladimir Putins beschlossen hatte. Marija Aljochina sagte heute, wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie die Amnestie abgelehnt.
"Diese Amnestie ist kein humaner Akt, das ist ein PR-Schritt."