Nach der Pfarrerschwemme

Bestatter, Unternehmensberater, Buchhändler

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Evangelische Pfarrer in typischem Gewandt © picture-alliance / Martin Schutt
Von Thomas Klatt |
Vor rund 15 Jahren gab es eine Schwemme junger Leute, die Pfarrer werden wollten. Aber es gab nicht genug Stellen in den Landeskirchen - sie wurden in die Arbeitslosigkeit getrieben. Thomas Klatt sprach damals mit ihnen und hat sie heute wieder besucht.
"Umgekehrt trifft es mich immer sehr, wenn ich Theologen treffe..., zum Beispiel Taxifahrer, und wir kommen ins Gespräch, und ich sage, dass ich Theologie gemacht habe, und der andere sagt, ich auch. Sagt er: ich habe noch meine ganze Bibliothek zu Hause, willst Du die haben, kommst vorbei, für 200 DM kannst Du alle Bücher haben. Das ist für mich ein Symbol, dass er nichts mehr damit zu tun haben will, einen Schnitt gemacht hat, und dass es nur noch Ballast ist, die Vergangenheit des Theologiestudiums."
Der Hannoveraner Carsten Unbehaun vor 15 Jahren beim so genannten Theologenarbeitslosenfrühstück in Berlin. Damals traf sich ein kleiner Kreis junger Menschen kurz vor oder nach dem ersten Examen, denen das berufliche Aus drohte. Die meisten von ihnen wollten gerne Pfarrerin oder Pfarrer werden.
Doch ihre Kirchen sagten Nein! Denn es gab zu viele Vikariatsanwärter auf zu wenige Stellen. Das hieß damals jahrelange Wartelisten und die ganz deutliche Empfehlung aus vielen Landeskirchenämtern, sich doch bitte woanders eine Arbeit zu suchen. Schon damals musste sich der dreifache Familienvater Carsten Unbehaun von einem Job in der Erwachsenen- und Jugendarbeit zum nächsten hangeln, immer wieder auch von monatelanger Arbeitslosigkeit unterbrochen. Der Theologe hat sein Studium aber nie bereut, sagte er schon damals.
"...ich habe es als Persönlichkeitsbildung betrieben, und kann auch beruflich jetzt immer wieder darauf aufbauen, und finde es schade, wenn es andere überhaupt nicht so sehen können."
Angst, als unzuverlässig abgestempelt zu werden
Viele junge Theologen mussten sich nach dem Studium ohne Hilfe ihrer Kirche durchschlagen. Ulrike Ernst arbeitete als Übersetzerin und Sprachenlehrerin. Von der sozialen Absicherung einer Pfarrstelle war ihre Freiberuflichkeit weit entfernt, sagte sie vor 15 Jahren.
"Dass man nicht krank werden darf, habe ich gerade in der letzten Zeit bemerkt. Ich habe mich seit einigen Monaten mit Magenproblemen durch’s Leben geschlagen. Ich habe mich nicht getraut, den Unterricht dann abzusagen. Nicht nur wegen der finanziellen Einbußen, die dann auf der Stelle passieren. Sondern auch wegen der Angst, dann keine Aufträge mehr zu bekommen, weil man als nicht mehr zuverlässig angesehen wird."
Zwar versuchten einzelne Pfarrer damals, einen Teil ihres Gehalt zu spenden, um jungen Kollegen eine Perspektive zu bieten und so Solidarität zu zeigen. Doch für Hunderte gab es keine Chance. Viele wurden von ihren Landeskirchen im Unklaren gehalten, ob sie nach einer gewissen Wartezeit nun doch noch eine Arbeit bekommen würden oder nicht. Peter Welten, Alttestamentler der Berliner Humboldt-Universität, schätzte das damals so ein.
"Das Problem besteht darin, dass die Kommunikation letztlich nicht partnerschaftlich wirkt. Es gibt das Gericht des Faktischen, nämlich dies, dass Studierende, Vikare und Vikarinnen sich einfach verabschieden. Das ist eine Abstimmung mit den Füßen..."
Theologenberg, Theologenarbeitslosigkeit? 15 Jahre später scheint das alles vergessen. Heute studiert Carolin Blöcher aus Hessen-Nassau an der Berliner Humboldt-Universität evangelische Theologie.
"Die allgemeine Richtung ist, dass es sehr gute Chancen für uns in Zukunft geben wird, dass viele Pfarrerinnen und Pfarrer in Rente gehen und dass trotz Stellenabbau auch so wenige Leute Theologie studieren, dass dann viele Stellen frei sein werden."
Kirche ist heute ein guter Arbeitgeber
Dass viele ihre Kommilitonen von den eigenen Kirchen einst in die Arbeitslosen-Wüste geschickt wurden, hatte sie noch nicht miterlebt. Für sie ist die Kirche heute ein guter Arbeitgeber.
"Dass man schon erwartet bei einer Botschaft der Nächstenliebe, muss sich das doch im Arbeitsverhältnis niederschlagen. Das was die ganze Zeit gepredigt wird, wird sich dann auch in der Umgangskultur zeigen. Wenn wir erst mal im kirchlichen Dienst sind, dann gibt es ja schon eine Menge Vorteile, die Pfarrerinnen und Pfarrer haben. Wir haben ja quasi einen Beamtenstatus und ich denke das Gehalt ist sehr gut und eben die Vorteile, die eben dieser besondere Status mit sich bringt."
Auch in der Berliner Kirche, die mittlerweile Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz, kurz EKBO heißt, hat man so scheint es die ehemaligen Theologieabsolventen vergessen. Der heutige EKBO-Ausbildungsdezernent Christoph Vogel freut sich, die Vikariatsstellen mit jungen Leuten besetzen zu können.
"Die Situation heute unterscheidet sich in dramatischer Weise von der vor 15 Jahren, wo es mehr ein reaktives Handeln war und ne Art Notbremse. Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir prospektiv und vorsorglich handeln, nämlich eine kommende demografische Entwicklung zu begegnen. Gerade die starken Jahrgänge werden ab 2020 in den Ruhestand gehen, dass es dann bezahlbare Pfarrstellen gibt, ohne dass Pfarrerinnen und Pfarrer noch da sind. Zum anderen betrifft es die Jugendlichen selbst, es gibt einfach schlicht weniger."
Beruf ist heute nicht mehr so attraktiv
Schon seit einiger Zeit ist absehbar, dass der Nachwuchs nicht ausreicht, um die frei werdenden Pfarrstellen zu besetzen. Das Theologiestudium im Allgemeinen und der Pfarrberuf im Besonderen ist heute bei weitem nicht mehr so attraktiv wie noch in den 1980er-90er Jahren. Wäre es da nicht sinnvoll, die ehemaligen Absolventen doch noch in den kirchlichen Dienst zu holen? In der Wirtschaft wird ja schließlich auch zunehmend davon gesprochen, ältere Arbeitnehmer wieder in den Betrieb zu integrieren. Für EKBO-Ausbildungsdezernent Christoph Vogel ist das kein gangbarer Weg.
"Die Ehemaligen wären 2020 ja auch so Mitte-Ende 50. Und es ist ja auch schön, wenn eine Kirche, die sich gerade noch an Junge wenden möchte auch junge Pfarrerinnen und Pfarrer hat."
Und die Ehemaligen?Carsten Unbehaun hat die 50 bereits überschritten. Zur Zeit arbeitet er in einer Berliner Gemeinde als so genannter "Gemeindehelfer", obwohl er dort im Grunde die selben Tätigkeiten wie ein normaler ordinierter Pfarrer ausübt. Von 2009 bis 2011 hat er sich sogar noch auf ein Vikariat in der EKBO eingelassen und das zweite Examen bestanden. Doch danach folgte ein so genanntes Screening. Zwei Tage lang beurteilte die Kirche, ob er als fertig ausgebildeter Theologe wirklich für den Pfarrdienst geeignet ist.
"Dann das Ranking und dann kam raus, dass ich zu den Zweien gehöre, die aussortiert wurden. Es ging um elf Plätze und wir waren 13 Leute, die sich dafür beworben haben. Es gab zwei Begründungen, schriftlich kriegt man gar nichts. Offiziell, mündlich, ich wäre nicht kommunikations- und teamfähig genug. Das hat mich sehr geschockt. Das ging unter die Gürtellinie. Die andere Begründung, die sie auch gesagt haben, das war nämlich: Sie sind zu alt!"
Die Ehemaligen wollen mit der Kirche nix mehr zu tun haben
Die Ehemaligen von damals schlagen sich bis heute mit mehr oder weniger Erfolg durch, etwa als freie Bestatter, Unternehmensberater, Journalisten oder Buchhändler. Nicht wenige wollen mit Kirche und Theologie gar nichts mehr zu tun haben, weiß Carsten Unbehaun. Er selbst hadert aber nicht mit seinem beruflichen Werdegang. Vor allem lässt er sich sein Dasein als Theologe nicht nehmen.
"Ich hab immer um Berufung gerungen. So prekär arbeitend. Das hat doch ne neue Qualität, das ist meine Rolle, wo ich hingehöre, in meiner Beziehung zu Gott, in meiner Beziehung zu den Leuten. Da bin ich richtig. Und wenn dann die äußere Berufung durch die Kirche fehlt, na ja dann fehlt eben die andere Hälfte, aber deswegen lass ich mir nicht meine innere absprechen."
Auch Ulrike Ernst ist nie in den Pfarrdienst gekommen. Die junge Theologin hat sich für eine Promotion entschieden und ist heute Juniorprofessorin an der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt Universität. Bei der Kirche selbst sah sie keine Zukunft für sich.
"Dass ich mich dafür entschieden hab, eine Lebenspartnerschaft mit einer Frau einzugehen und vor 10 Jahren war die evangelische Kirche noch kaum so weit, ein lesbisches Paar in einem Pfarrhaus zu akzeptieren, selbst wenn die Gemeinde das gewollt hätte."
Einfach fallen gelassen
Heute heißt sie Ulrike Auga. Der Name hat sich geändert, aber die Erinnerung daran, wie die Kirche einst mir ihr und ihren Mitstudierenden umgegangen ist, bleibt. Denn einerseits hielten die Landeskirchen über so genannte Landeslisten und auf jährlichen Treffen engen Kontakt mit den Studierenden und verbreiteten so das Gefühl:Wir gehören zusammen, wir sorgen für Euch! Dann aber wurden die Theologieabsolventen einfach fallen gelassen.
"Das war völlig unsolidarisch. Ein Verschenken von solchen wundervollen Menschen, die wundervoll ausgebildet waren. Da kann man nur mit Trauer drauf blicken und sagen, das hätte nicht passieren dürfen und ich hoffe, dass in Zukunft besser geplant wird."
Als Juniorprofessorin hat Ulrike Auga heute viel Kontakt zu jungen Theologiestudierenden. Sie hofft, dass ihnen die Erfahrung der Arbeitslosigkeit, des von der eigenen Kirche nicht gewollt Werdens erspart bleibt. Sie will den jungen Leuten vor allem Mut machen, sich nicht einfach mit vorgegebenen kirchlichen Strukturen zufrieden zu geben.
"Ich denke dass Studierende nicht aufgeben sollen, sich vernetzen und selber zu sagen: Wir sind die Kirche, wir stellen uns vor, wie die Kirche sein kann. Und ich habe auch erlebt, dass wir Dinge verändern können. Studierende sollten sich wagen, ihre kritischen Fragen zu stellen und ihren Weg zu gehen. Sie sollten sich nicht mit Denkverbot belegen lassen."