Neustart mit angezogener Handbremse
Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen hat die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Landesgeschichte erzielt. Parteichefin Hannelore Kraft ist zurückgetreten. Jetzt diskutiert die Partei den nötigen Neuanfang - den Jusos an der Basis geht er nicht schnell genug.
"Liebe Freundinnen und Freunde, das ist kein guter Tag für die Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen…" (Hannelore Kraft)
"Das ist ein schwerer Tag für die SPD, auch für mich persönlich." (Martin Schulz)
"Das ist, wenn das im Stammland der SPD passiert, ein Leberhaken für die Bundespartei." (Ralf Stegner)
"Dafür übernehme ich persönlich die Verantwortung und deshalb werde ich mit sofortiger Wirkung von meinem Amt als Landesvorsitzende SPD und als stellvertretende Bundesvorsitzende zurücktreten, damit die NRW-SPD eine Chance auf einen Neuanfang hat." (Hannelore Kraft)
Der Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, der 14. Mai - es ist ein schwerer Abend für die nordrhein-westfälische SPD. Mit nur 31,2 Prozent schneidet sie so schlecht ab wie noch nie bei einer Landtagswahl in NRW. Hannelore Kraft, die abgewählte Ministerpräsidentin, spricht noch am Wahlabend von einem Neuanfang und auch am Tag danach versichert Fraktionschef Norbert Römer:
"Den Erneuerungsprozess werden wir geordnet vornehmen und wir wollen ihn in jedem Fall vor der Sommerpause abschließen."
Ein Neustart mit bekannten Gesichtern?
Allerdings fängt dieser Erneuerungsprozess dann doch erst einmal mit den bekannten Gesichtern an: Norbert Römer, der alte Fraktionschef, ist auch der neue – und Michael Groschek, der noch amtierende Verkehrsminister und ein altgedienter Partei-Veteran, soll die NRW-SPD als neuer Chef sanieren. Eine "Übergangslösung" sei das, heißt es offiziell. Dazu Kanzlerkandidat Martin Schulz:
"Wir haben am vergangenen Sonntag einen harten Schlag einstecken müssen. Aber wir wollen am 24. September die Bundestagswahl gewinnen und für jeden Kandidaten der SPD gehört dazu ein mobilisierter nordrhein-westfälischer Landesverband. Mike Groschek und mich verbindet eine langjährige Freundschaft. Wir haben viele Jahre im Parteivorstand der SPD, viele Jahre auf regionaler Ebene hier in Nordrhein-Westfalen eng zusammengearbeitet."
Heißt: Mit Michael Groschek weiß die SPD, was sie hat – sowohl in Düsseldorf als auch in Berlin. Und scheinbar geht vor der Bundestagswahl Sicherheit dann doch vor Erneuerung. Ob das die Basis auch so sieht?
Sinkende Mitgliederzahlen
Ein Ortwechsel zu Jörg Lorenz, dem Geschäftsführer der SPD in Duisburg.
"Seit 31 Jahren… der dienstälteste Geschäftsführer in ganz Nordrhein-Westfalen, glaube ich."
Zwar hat die SPD in allen vier Duisburger Wahlkreisen das Direktmandat gewonnen – aber zum Teil mit historisch schlechten Zahlen. Warum "Die Partei", wie sie in vielen Ruhrgebietsstädten wie Duisburg häufig noch genannt wird, für einige Menschen offenbar nicht mehr wählbar ist, darüber spekulieren Sozialdemokraten wie Jörg Lorenz noch.
"Fragen wie beispielsweise beitragsfreie Kindergärten, oder Auszubildenden-Ticket und Meister-BAFöG, etc. haben keine Rolle gespielt. Das wären unsere Themen gewesen. Stattdessen ist es der Gegenseite gelungen, die Themen Innere Sicherheit, Schulpolitik und Verkehrssituation, Infrastruktur zu spielen und hat uns damit ganz massiv in die Defensive gedrückt und wir hatten keine Antworten parat, damit umzugehen."
Aber es sind nicht nur Kampagnen-Fehler, die der SPD geschadet haben. Jörg Lorenz sieht auch strukturelle Gründe für das Schwächeln der Partei.
"Was man sicher sagen kann, ist, dass auch die SPD in Duisburg nicht optimal aufgestellt ist um Wahlkämpfe zu führen und solche Kampagnen tatsächlich zu reißen."
12.000 Mitglieder zählte der Duisburger Ortsverband in den 70er Jahren – aktuell sind es noch 4.000. Der Altersdurchschnitt der Parteimitglieder liegt bei über 60 Jahren.
"Viele Dinge, die früher ganz selbstverständlich ehrenamtlich gemacht worden sind, beispielsweise das Verteilen von Flyern in die Briefkästen, geht heute nur noch professionell. Wir haben es nicht mehr überall geschafft, Plakate aufgehängt zu bekommen. Also das alles zeigt, es ist für die Partei sehr viel schwerer geworden, Wahlkämpfe zu führen als früher."
Sicherheit statt Erneuerung
Deshalb versteht Lorenz, dass die ausgerufene Erneuerung erst einmal warten muss, zumindest bis nach der Bundestagswahl.
"Man schafft es in der Kürze nicht, zweitens würde es Kräfte binden, die wir dringend brauchen, um draußen zu sein und die Menschen zu überzeugen, SPD zu wählen. Das hat jetzt Priorität. Wir wollen, dass Martin Schulz Kanzler wird, wir wollen die Regierung stellen, wir wollen stärkste Partei im Bundestag werden. Das sind alles Ziele, die derzeit sicher als schwer zu erreichen (lacht) angesehen werden können, aber die ich jedenfalls für durchaus realistisch halte, aber für die man was tun muss. Und deswegen hat das jetzt Priorität und alles andere kommt dann danach."
Der aktuelle ARD Deutschland-Trend zeichnet für die Sozialdemokraten ein weniger optimistisches Bild: Martin Schulz verbucht in der Kanzlerfrage einen Tiefstwert, nur 29 Prozent würden ihn direkt wählen – Angela Merkel liegt mit 53 Prozent weit vor ihm. Und auch im Parteienvergleich steht die SPD zurzeit um einiges schlechter da als die CDU.
Für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen wäre eine Wahlniederlage auf Bundesebene sicherlich bitter, als wirklich bedrohlich für den Landesverband sieht Jörg Lorenz aber eine andere Abstimmung an:
"Wir haben 2020 die nächste Kommunalwahl hier in NRW, die von entscheidender Bedeutung sein wird. Wenn wir da erfolgreich sind, dann sind die Dinge erstmal wieder soweit okay. Wenn wir 2020 bei der Kommunalwahl hier flächendeckend ähnlich abschneiden sollten, wie jetzt bei der Landtagswahl, dann ist das ein übergroßes Problem. Dann reden wir nicht nur über eine Delle oder so, sondern dann reden wir möglicherweise tatsächlich über die Zukunft dieser Partei."
Denn die SPD schwächelt nicht erst seit Mai. Schon 2005 verlor sie eine Landtagswahl – damals mit acht Prozentpunkten Rückstand auf die CDU. Fünf Jahre später landete sie wieder hinter der CDU, allerdings so knapp, dass sie eine rot-grüne Minderheitsregierung auf die Beine stellen konnte, mit Wohlwollen der Linken. Erst ab 2012 regierte sie dann wieder mit solider Machtbasis.
Im Stammland der Sozialdemokratie kriselt es also schon länger. Wie will die Partei die angeschlagene Beziehung zu ihrem Wähler wieder kitten?
In den Ortsvereinen regt sich der politische Nachwuchs
Nur wenige Minuten von Jörg Lorenz Büro entfernt wird diese Frage noch am selben Abend diskutiert – bei einem Treffen mehrerer Duisburger SPD-Ortsvereine.
Stefan Dellwo vom Ortsverein Stadtmitte stellt die Eingangsfrage - "unter der großen Überschrift, wie geht es Euch denn jetzt…" - und gut 20 SPD-Mitglieder lassen Dampf ab. Sie fordern unter anderem, dass sich die Sozialdemokratie wieder auf ihren Markenkern besinnt – und die Idee der sozialen Gerechtigkeit in Politik umsetzt. Dellwo erklärt seine persönliche Wahlanalyse:
"Eins haben wir in jedem Fall begriffen, nämlich dass wir mit unseren Themen überhaupt nicht durchgedrungen sind. Wir haben gute Themen gehabt und die sind nicht vorgekommen. Unser Wahlkampf war aufgebaut in Richtung: Es geht uns doch gut. Und wir hätten bedeutend stärker darauf hinweisen müssen, warum es uns gut geht."
Seine Parteikollegin und Landtagsabgeordnete Sarah Philipp sieht das ähnlich:
"Wir müssen jetzt nicht das Rad neu erfinden, thematisch, aber wir müssen uns überlegen, wie kriegen wir es hin, dass die Leute uns glauben, dass wir bessere Politik machen und dass wir eben die Themen, die für uns wichtig sind, besser nach vorne bringen."
An Sarah Philipp zeigt sich übrigens, dass es doch schon so etwas wie "Erneuerung" in der NRW-SPD gibt. Die Duisburgerin ist zur Vize-Fraktionsvorsitzenden gewählt worden – und mit 34 Jahren eine der jüngsten Landtagsabgeordneten der SPD.
Die Jusos drängen auf Parteiverjüngung
Bei den Jusos in Düsseldorf kommt das gut an. Auch sie haben sich versammelt, um über die Wahlschlappe zu sprechen. Thomas Peußer ist Vorsitzender der Jusos in Düsseldorf. Die SPD hat in der Landeshauptstadt alle vier Wahlkreise verloren – entsprechend enttäuscht war er am Wahlabend und fordert nun eine schnelle Erneuerung:
"Es reicht jetzt nicht, einige Personen auszutauschen, sondern man muss grundlegend und strukturell analysieren, was die Fehler waren und sicherlich auch überlegen, ob es sinnvoll sein könnte in Zukunft die Partei etwas zu verjüngen, neue frische Köpfe in Verantwortung zu heben."
Immerhin: Bei den jungen Wählern bis 34 lag die SPD vor der CDU.
Außerdem, da sind sich seine Juso-Kollegen einig, müsste man den Wählern wieder klar machen, was die SPD ganz konkret im Land erreicht hat.
"Da sagen die Leute immer, gut und schön, die Statistik sieht super aus aber bei mir ist nichts persönlich angekommen. Aber wenn man das näher an den Leuten macht und im Wahlkreis aktiv ist und sagt: Hey, das haben wir für Projekte bei Euch im Wahlkreis ganz konkret geschaffen, dann hilft das glaube ich viel mehr. ... Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass wir wieder wahrgenommen werden, dass unsere Themen wieder nach vorne kommen und da bringt es nichts, jetzt zurück zu schauen und zu sagen: War kacke, sondern die Lehren daraus ziehen und dann nach vorne gehen und sagen: Wir sind da und wir kämpfen weiter für Euch, jetzt dann halt aus der Opposition die nächsten fünf Jahre."
Schulz weiterhin angriffslustig
Das sieht der SPD-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat Martin Schulz ganz ähnlich, wie er wenige Tage später, am vergangenen Samstag, auf dem außerordentlichen Landesparteitag in Duisburg sagte:
"Wer kämpft, kann verlieren, das ist klar. Aber wer nicht kämpft, der hat schon verloren. Aber was hier los ist, ist eine einzige Botschaft: Wir kämpfen für den 24. September, für den Wahlsieg bei der Bundestagswahl."
Und auch der frisch gewählte neue SPD-Chef in Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek, gibt sich auf dem Landesparteitag selbstbewusst und zukunftssicher:
"Ich verspreche Euch, wir werden alles tun, damit wir nicht arm und klein in Nordrhein-Westfalen wandern müssen, sondern sagen können, wir sind die stolze, gerupfte, angeschlagene aber nicht niedergeschlagene NRW-SPD. Kopf hoch, Brust raus, Bauch rein, das ist die Haltung, die wir vorleben wollen, Genossinnen und Genossen."
Keine Resignation
Es scheint, als sei dieser Appell schon in weiten Teilen der Basis angekommen. Denn trotz aller Trauer – Resignation ist da nicht zu spüren.
So auch bei Jörg Lorenz, dem Duisburger SPD-Geschäftsführer. Er hat dieses sozialdemokratische Selbstbewusstsein – und ihm hilft es, über die jüngste Wahlniederlage hinweg zu kommen:
"Ich habe das sichere Gefühl nach wie vor, die Sozialdemokratie ist die Institution, die Partei, die im Grundsatz die richtigen Antworten auf die Fragen und Wünsche der Menschen hat, und das ist so eine starke innere Haltung, es zu ermöglichen, auch durch schwerere Positionen und Zeiten durchzugehen."