Der böse Geist Trumps wird bleiben
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Auch wenn Joe Biden am 20. Januar als neuer US-Präsident vereidigt wird, wird Donald Trump uns weiter beschäftigen, glaubt der Historiker Manfred Berg. Dank seiner fanatisierten Anhängerschaft werde die Polarisierung der USA weiter bestehen.
Stephan Karkowsky: Die US-Fernsehsender CNN und Fox News waren die ersten, die Joe Biden ausgerufen haben zum neuen Präsidenten der USA, danach hat er sich auch selbst zum Sieger erklärt. Auch wenn jetzt in zwei Staaten noch gezählt wird, rein rechnerisch kann Trump nicht mehr gewinnen – nicht mehr ohne Tricks jedenfalls.
Über diese allerletzten Chancen eines offensichtlich schlechten Verlierers spreche ich nun mit dem Historiker Manfred Berg. Donald Trump gibt nicht auf, er hat für heute Beweise angekündigt für einen angeblichen Wahlbetrug. Wie haben Sie denn den Präsidenten verstanden: Was genau möchte er nachweisen?
Berg: Zu lesen war jetzt, dass es angeblich Tote gegeben haben soll, die für die Demokraten gestimmt haben – das ist ein alter Trick in der amerikanischen Wahlrechtsgeschichte –, aber die ersten Untersuchungen dazu haben wohl schon ergeben, dass die Vorwürfe haltlos waren.
Die Beweislast liegt bei denjenigen, die den Wahlbetrug unterstellen, und bisher, so ist jedenfalls mein Kenntnisstand, liegt hier nichts Belastbares vor.
Karkowsky: Wie schätzen Sie das ein: Glaubt Trump wirklich, es wären so viele ungültige Stimmen gezählt worden, dass er am Ende noch gewinnen kann, oder ist das nur vorgeschoben?
Berg: Ich bin sicher, dass Donald Trump in seiner eigenen Trump-Welt lebt, in der er nicht verlieren kann, und wenn er verliert, dann ist es Betrug. Ich glaube, eine solche Karriere und eine solche Strategie kann man nur mit einer enormen Fähigkeit zur Autosuggestion durchhalten. Dass er subjektiv davon überzeugt ist, davon bin ich fest überzeugt.
Eine Neuauszählung wird das Ergebnis nicht verändern
Karkowsky: Wenn es extrem knapp wird in einem Bundesstaat, dann können Kandidaten eine Neuauszählung verlangen. Der Staat zahlt dann. Ist es nicht ganz so knapp, zahlt der Antragsteller – jeweils Millionen von Dollar. Hat eine Neuauszählung in der US-Geschichte schon jemals ein Ergebnis verändert?
Berg: Bei einer Präsidentenwahl nicht. Es hat bisher immer die Ergebnisse lediglich im dreistelligen Bereich verändert. Alle Experten sind der Meinung, dass man bei einem Recount in einem Staat etwa wie Pennsylvania das Ergebnis nicht mehr verändern kann.
Karkowsky: Aber es ist ja auch einmal ein Recount gestoppt worden, in Florida vor 20 Jahren.
Berg: Ja, das war in dem berühmten Fall Bush versus Gore, das war der Supreme Court, der hat diesen Recount gestoppt mit dem Argument, dass, wenn in bestimmten Counties noch einmal ausgezählt wird, die Rechte der Wähler in den anderen Counties verletzt würden – ein höchst zweifelhaftes Argument!
Konkurrierende Wahllisten
Karkowsky: Wenn es nun nach Plan weitergeht, dann kommen am ersten Montag nach dem zweiten Mittwoch im Dezember – so steht es wirklich in den Regeln – virtuell die Wahlmänner zusammen, das wäre also am 14. Dezember. Können denn diese Wahlmänner, die ja ihre Stimmen eigentlich nur nach ihrem eigenen Gewissen abgeben müssten, theoretisch noch einen Präsidenten Biden kippen?
Berg: Der Supreme Court hat zuletzt entschieden, dass Staaten das Recht haben, Wahlleute, die von ihrem Wählerauftrag abweichen, zu bestrafen, strafrechtlich. Das heißt, ein freies Mandat gibt es – jedenfalls nach neuerer Rechtsprechung – wohl nicht.
Das ist aber auch gar nicht die Frage. Die entscheidende Strategie, von der jetzt wieder die Rede ist, ist die Hoffnung, dass in einigen Bundesstaaten, zum Beispiel Pennsylvania und Michigan, die Einzelstaatsparlamente, die von den Republikanern beherrscht werden, ihre eigenen Wahllisten nach Washington schicken mit dem Argument, die Wahl sei gefälscht worden in diesen Bundesstaaten, und deshalb falle das Recht, die Wahlleute zu ernennen, wieder an die Einzelstaatslegislativen zurück. Das ist eine Strategie, die auch schon vor den Wahlen diskutiert wurde.
Trump wird alles versuchen
Karkowsky: Und das wäre durchaus legal?
Berg: Das würde sich zeigen. Das würde ganz sicher vor Gericht landen, das ist präzedenzlos, aber man muss wissen, dass bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Wahlleute nicht direkt gewählt, sondern grundsätzlich von den Einzelstaatslegislativen ernannt wurden. Das heißt, man könnte sich darauf berufen, wir gehen jetzt wieder auf die alte historische Übung zurück. Ich halte das nicht für sehr aussichtsreich, aber Donald Trump wäre nicht Donald Trump und seine Leute wären ihm nicht so ergeben, wenn sie nicht alles versuchen würden.
Karkowsky: Und danach tagt dann der Kongress, am 6. Januar, dort werden die Wahlmännerstimmen gezählt. Ist auch das nur pro forma oder lauern da weitere Fallstricke auf Joe Biden?
Berg: Bislang war das immer nur pro forma, aber: Wenn es zu konkurrierenden, rivalisierenden Wählerlisten aus den Bundesstaaten kommt, dann ist es Vizepräsident Mike Pence, der das Verfahren der Auszählung leitet. Auch da haben wir keine Präzedenzfälle, was passiert, wenn es im Kongress einen Konflikt darüber gibt, welche Stimmen eigentlich gezählt werden.
Mythos der gestohlenen Wahl
Karkowsky: Am 20. Januar, um weiter im Fahrplan zu bleiben, wird der Präsident vereidigt. Würden Sie darauf wetten, dass er dann zu 100 Prozent Joe Biden heißt?
Berg: Ich halte es schon für sehr wahrscheinlich, aber ich werde erst dann wirklich beruhigt sein, wenn ich mit eigenen Augen sehe, dass Joe Biden den Amtseid abgelegt hat.
Auch danach wird uns Donald Trump erhalten bleiben, er wird der böse Geist der amerikanischen Politik bleiben, und seine Anhängerschaft, die ziemlich fanatisiert ist, hat jetzt den zusätzlichen Mythos der gestohlenen Wahl. Die Polarisierung in den USA wird bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.