Was genau ist Heimat? Was bedeutet sie? Und warum ist sie wichtig? Jörn Klare geht dem sehr persönlich und ganz wörtlich nach. Von seiner Berliner Haustür aus wandert er an den Ort seiner Kindheit und Jugend am Rand des Ruhrgebiets. Ein Weg über gut 600 Kilometer, erst durch Ostdeutschland, das ihm immer noch fremd ist, dann durch Westdeutschland, das ihm oft nicht mehr vertraut ist.
Wo die Schützenbrüder leben
Was ist Heimat? Diese Frage stellt Jörn Klare jedem, den er während seines 600 Kilometer langen Fußmarsches von Berlin in sein Heimatstädtchen trifft - auch beim Schützenfest im Sauerland.
Es regnet, und ich stehe im Wald oberhalb der Lenne, die ein paar Kilometer weiter flußabwärts in die Ruhr fließt.
Aus Berlin bin ich hierher gewandert, an die 600 Kilometer von der Stadt, in der ich seit 30 Jahren lebe und dennoch nicht als Heimat begreifen kann, zu dem Städtchen am Rand des Ruhrgebiets, in dem ich aufgewachsen bin: Hohenlimburg, das mittlerweile zu Hagen gehört.
Um der Erschöpfung zu begegnen, würde ich den Regen gern mit Bedeutung aufladen und suche eine Metapher, die ihn und noch viel mehr beschreiben könnte ... sehe aber nur Wasser, das vom Himmel fällt.
Auf meinem Weg "Nach Hause" fragte ich unterwegs so gut wie jede und jeden, was Heimat denn bedeutet.
"Der geilste Pastor, den ich je kennengelernt habe"
Der Mensch braucht Heimat, wenn er keine Heimat hat … ich sag es mal, dann weiß er nicht, wo er eigentlich ist und wo er hinkommt und wo er hingeht.
Ist ein innerliches Gefühl, dass man sagt: Hier ist alles das, was du wirklich brauchst und dir wünschst.
Philipp: "Und wahrscheinlich ist das Schlimmste, die Heimat zu vermissen und da nicht wieder hinzugehen."
Ist ein innerliches Gefühl, dass man sagt: Hier ist alles das, was du wirklich brauchst und dir wünschst.
Philipp: "Und wahrscheinlich ist das Schlimmste, die Heimat zu vermissen und da nicht wieder hinzugehen."
Erinnerungen an ein wenige Tage zurückliegendes Schützenfest - Altenfeld-Waldecke im Hochsauerland. Gut 200 Schützenfreunde und -freundinnen zwischen fünf und achtzig Jahren.
Die Dorfgemeinschaft wirkt wie eine große, ein wenig aufgekratzte Familie. Jede und jeder kennen hier offenbar jede und jeden. Die meisten sitzen oder tanzen – in Regenjacken. Im Gebälk der Halle hängen frisch geschnittene Birkenzweige.
Bevor der neue Schützenkönig gekrönt wird, hält der alte seine Abschiedsrede.
Dafür steigt er auf einen der langen Tische. Andere tun es ihm nach. Die Stimmung ist - bierselig.
Schützenkönig: "Das sind ganz besondere Menschen hier. Da kann ich überall hingehen und ich bin immer zuhause. Deshalb: Ich liebe Altenfeld über alles."
Schützenkönig: "Das sind ganz besondere Menschen hier. Da kann ich überall hingehen und ich bin immer zuhause. Deshalb: Ich liebe Altenfeld über alles."
"Der geilste Pastor, den ich je kennengelernt habe."
"Überall hingehen und sich immer zuhause fühlen."
Dieser Mann hat keine Zweifel, was seine Heimat betrifft. Ich beneide ihn. Zu einem Gespräch sieht er sich allerdings nicht in der Lage. Zu erschöpft, zu aufgewühlt, zu viel gefeiert
Lübke: "Heimat bedeutet für mich: Ich bin da angekommen, da fühle ich mich wohl. Das ist für mich Heimat. Ja."
Ein anderer, gut fünfzigjähriger Schützenbruder. Er schaut sich um, zeigt auf die feiernde Dorfgemeinde.
"In Berlin verschwindet der Pups an der nächsten Häuserecke"
Der Exkönig sitzt mittlerweile mitten auf der großen Tanzfläche und bearbeitet enthusiastisch die Spielzeugtrommel seines dreijährigen Sohnes.
"So die Zusammengehörigkeit. Und dann zusammen zu arbeiten. Das ist ein Erlebnis, das ist einfach toll. Ja, ja. Ganz bestimmt. So dieses: Der eine kann das nicht, der andere kann das nicht. Da kommt der nächste und packt ihm unter die Arme. Und sagt: Jetzt hier! Die Gemeinsamkeit. Und das ist das Schöne daran. Das gefällt mir. Ja."
Heimat, die sich über die Vertrautheit mit einem Ort, einer Gemeinschaft bestimmt.
"Wenn de hier da einen Pups lässt, da weiß es sofort das ganze Dorf. Und lässt du in Berlin einen Pups - das geht um die Häuserecke, dann ist es verschwunden."
Aber kann Nähe nicht auch als Enge erlebt werden?
"Ja, da muss man mit leben. Dorf hat keine Anonymität. Ist so. Und ich sag mal, wenn man da nicht mit leben kann, dann geht man daran zugrunde. Da musst du ein breites Kreuz haben. Das ist so."
Die Worte des Schützenbruders, dass man ein breites Kreuz braucht, um in der Heimat zu bleiben, haben mich irritiert und tun es noch. Ich dachte, der mit dem "breiten Kreuz" sei ich ... sah ich doch den Aufbruch aus meiner alten Heimat nach Berlin vor knapp 30 Jahren auch als einen Ausdruck von Mut und Selbstbehauptungswillen...
Und jetzt stehe ich oberhalb des Städtchens, das meine Heimat war. Nach gut vier Wochen Wanderung von Berlin hierher muss jetzt nur noch den Berg hinunter gehen. Mir ist mulmig zu Mute.