Nach Lehrermord in Frankreich

Angriff auf die republikanische Tradition der Schulen

10:26 Minuten
Ein Schüler trauert vor seiner Schule in Conflans-Sainte-Honorine. vIele Menschen haben an deren Eingang Blumen niedergelegt, um an dern ermordeten Lehrer zu erinnern.
Nach dem Anschlag: Ein Schüler trauert vor seiner Schule in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris. © picture-alliance/abaca/Eliot Blondet
Michael Koß im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Nach dem tödlichen Anschlag auf einen französischen Lehrer erinnert der Politologe Michael Koß an die Rolle der Schulen in Frankreich. In ihnen werde der Einzelne zum Franzosen geformt. Der Laizismus sei eine wichtige Säule für gemeinsamen Unterricht.
Mit Entsetzen reagiert die französische Öffentlichkeit auf den Mord an einem Lehrer in der Nähe von Paris. Er war am Freitag (16.10.2020) auf offener Straße mit einer langen Stichwaffe getötet worden. Die Polizei erschoss den Angreifer und nahm im Anschluss zahlreiche Verdächtige in seinem Umfeld fest.

Mohammed-Karikaturen im Unterricht

Inzwischen wird immer mehr über den Hintergrund des Anschlags bekannt und heftig diskutiert. Nach Angaben der Polizei hatte der Geschichtslehrer mit seinen Schülern im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit über Mohammed-Karikaturen gesprochen und ihnen diese gezeigt. Daraufhin soll es bereits Drohungen gegen ihn gegeben haben.
Präsident Emmanuel Macron sprach von einem islamistischen Terroranschlag und rief in eindringlichen Worten zum Zusammenhalt der Gesellschaft auf.
Der Politologe Michael Koß.
Der Politologe Michael Koß erinnert an die Bedeutung der Schule für die französische Republik. © Hans Panichen
Diese Äußerungen von Macron hätten im französische Kontext einen besonderen Klang, macht der Politologe Michael Koß deutlich. Die Schule sei die zentrale Institution der Republik in Frankreich. Es gebe ein anderes Staatsverständnis als in Deutschland. "Man wird nicht Franzose, in dem man von Franzosen geboren wird, sondern man wird Franzose, in dem man die Sprache lernt, in dem man die Kultur lernt." Und dies geschehe in einem strikt nicht-religiösen Kontext. "Die Institution, die Franzosen erschafft, das ist die Schule." Wenn nun ein solcher Anschlag sich gegen einen Lehrer richte, der diesen republikanischen Idealen gefolgt sei, dann sei das ein "Angriff auf Alle".

Franzosen zweiter Klasse

Es zeige sich, dass eine Gruppe die Schule zunehmend nicht mehr als Ort der Gleichheit wahrnehme, so Koß. "Das ist genau die Aussage, die hinter dieser Tat steht". Einwanderer oder Muslime seien dann eben doch nicht Franzosen, wenn sie die Schule durchlaufen hätten, sondern bestenfalls "Franzosen zweiter Klasse". Deshalb kommt Koß bei den Ereignissen der letzten Tage zu dem Schluss: "Das geht wirklich ganz ans Eingemachte in diesem speziellen Fall."
Bei der Schule vermute er, dass man die Zügel in Frankreich zu sehr habe schleifen lassen. Statt die Tradition der allgemeinbildenden Schule zu pflegen, habe man in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr auf Elitenbildung gesetzt. "Jetzt wäre es an der Zeit, da viel mehr im wahrsten Sinne des Wortes zu investieren in die allgemeine Schulbildung."
An dem Anspruch des Laizismus müsse in den Schulen dennoch unbedingt festgehalten werden, sagt Koß. Nur so sei es möglich, die zunehmende Vielfalt an Menschen, die in den Klassen zusammen kämen, überhaupt unter einen Hut zu bringen. Es sei aber wichtig sich klarzumachen, dass die Zurückdrängung der Religion aus dem öffentlichen Raum und der Politik ein ganz spezifisch westeuropäische Veranstaltung sei, so der Politologe. Ob nun auch in Osteuropa oder in den USA: "Anderswo ist Religion von immenser Bedeutung für das tägliche Leben, aber auch in der Politik." Das sollte man sich bewusst machen.
(gem)

Michael Koß, geboren 1976, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Rechtswissenschaft in Göttingen, Besançon und Uppsala. Nach der Promotion war er bis 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politik und Regieren in Deutschland und Europa an der Universität Potsdam und wechselte danach an das Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit Herbst 2019 hat er eine Professur an der Leuphana Universität Lüneburg.

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