Nach rechten Ausschreitungen

Chemnitz als Kulturhauptstadt - jetzt erst recht?

Ausschreitungen in Chemnitz am 27.8. 2018.
Ausschreitungen in Chemnitz am 27.8.2018. © dpa-news / AP / Jens Meyer
Holm Krieger im Gespräch mit Max Oppel |
Chemnitz bereitet sich auf die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 vor. Aber passt das noch nach den jüngsten rechten Aufmärschen mit Hetzjagden auf Migranten? Diese Bewerbung sei für Chemnitz eine Chance, sagt der Musiker Holm Krieger.
Nach den Wutbürger- und Nazi-Aufmärschen in Chemnitz fragen sich viele in der Stadt, wie man damit umgehen soll: Nicht nur damit, dass Staat und Polizei das Problem organisierte Fremdenfeindlichkeit völlig falsch eingeschätzt haben und es weiter verharmlosen; sondern auch mit dem Fakt, dass hier binnen weniger Stunden das Image einer ganzen Region massiv beschädigt wird - und gerade Kulturschaffende sich auch um ihre Mühen betrogen sehen, in Chemnitz eine offene, pluralistische Szene aufzubauen. Und angesichts der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025, die Chemnitz gerade vorbereitet, stellt sich die Frage: Kann man sich angesichts der jüngsten Ereignisse in der Stadt, wie rechte Aufmärsche mit Hitlergrüßen und Hetzjagden auf Migranten in Europa, für eine solche Position bewerben - oder muss nicht vorher erst einmal etwas in Richtung einer offeneren Gesellschaft passieren?
"Vielleicht sollte man das aber auch gerade machen", sagt der Chemnitzer Musiker Holm Krieger, der im Beirat der Stadt für diese Bewerbung sitzt.
"Die Kulturhauptstadt ist natürlich auch ein Kulturstruktur-Förderprogramm." Dadurch könne man "in einem gewissen finanziellen Rahmen auch mal eine Profilbildung vornehmen" - in einer Stadt, in der die freie Szene bislang noch nie so gut ausgestattet gewesen sei. Natürlich sei die Frage, was mit dieser Bewerbung jetzt zu tun sei. "Sagen wir jetzt: Wir sagen das ab, geben wir gewissen Leuten, die genau das wollen, Recht. Oder sagen wir: Schaffen wir das, so eine Bewerbung als eine Möglichkeit zu sehen, wieder mehr in die Richtung zu gehen?" Es habe zwar seit den jüngsten Ereignissen in Chemnitz noch keine Programmbeiratssitzung gegeben - aber er gehe davon aus, dass die Bewerbung fortgesetzt werde.

Leute agieren jetzt außerhalb der Anonymität

Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz hätten lediglich gezeigt, was ohnehin bereits zu merken war, so Krieger, etwa über die sozialen Medien. "Wenn irgendwo ein Flüchtling ein Verbrechen verübt hat, dass das dann eben gleich mal 200, 300 Mal geteilt wird oder ganz viele Kommentare dazu gibt." Tatsächlich etwas Neues sei, "dass man das das erste Mal auf der Straße erlebt hat; dass die Leute wirklich sich da hinstellen und nicht nur in der Anonymität des Internets Irgendetwas absondern". Das Neue beziehe sich mehr auf die Form als auf den Inhalt.
Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" wird seit 1985 kontinuierlich jeweils für ein Jahr verliehen - an zwei Städte Europas. Im Jahr 2025 sind die zugehörigen Länder Deutschland und Slowenien. Bis Ende September 2019 muss die Bewerbung eingereicht werden.
(abr)
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