Die Angst der Künstlerinnen in Kabul
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Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist die Situation für Künstlerinnen bedrohlich. So auch für die 22-jährige Hafiza Qasimi in Kabul. Wie sehr sich ihr Leben verändert hat, schildert ihr Bruder Anosh, der in Rostock lebt.
Eine kleine Studentenwohnung im Rostocker Szeneviertel Kröpeliner-Tor-Vorstadt. Hier wohnt der 27-jährige Anosh Mohammad Aman aus Afghanistan. Seit 2015 ist er in Deutschland und studiert im Master Dienstleistungsmanagement. Er musste vor den Taliban fliehen, weil er für die damalige Regierung gearbeitet hat:
"Ständig habe ich Anrufe bekommen. Die wissen genau, wie viele Schwestern ich habe, auf welche Schule die gehen und was mein Papa macht. Ich dachte ‚wow‘. Ich konnte an nichts anderes denken als daran, das Land zu verlassen."
Zerstörte Galerie
Durch seine eigene Flucht verbessert sich die Situation für seine Familie in Afghanistan vorerst. Die Drohungen werden weniger. Seine Schwester Hafiza Qasimi besucht eine Kunstschule. Sie malt, macht eigene Ausstellungen und gibt sogar Interviews im afghanischen Fernsehen.
Besonders viel Aufmerksamkeit erregt eine Kunstaktion, in der sie Trümmerwände einer Mädchenschule bemalt. Frauen ohne Kopftuch sind darauf zu sehen. Mädchen, die Bücher lesen. Die Schule wurde durch einen Anschlag kurz zuvor stark beschädigt. 300 Menschen kamen dabei ums Leben.
Hafiza Qasimi wird mehr und mehr zu einer öffentlichen Person in Afghanistan und steht für Emanzipation sowie die Förderung von Frauen. Genau das bringt sie in Gefahr. Ihre kleine Galerie in Kabul sei inzwischen komplett zerstört, erzählt ihr Bruder:
"Ich habe das Bild von meiner Schwester bekommen. Sie weint und sagt: ‚ das war mein Traum und mein Stolz. Das hat mir lange Mut gegeben.‘ Sie ist traurig und muss sich verstecken."
Freiheiten genommen
Zum Glück haben die Taliban bisher noch nicht das Internet gekappt. So kann Anosh weiterhin fast täglich mit seiner Schwester telefonieren. Auch wir rufen sie kurz in ihrem aktuellen Versteck irgendwo in Kabul an.
"Sie erzählt, dass sie im Fernsehen gehört hat, dass die Taliban keine Frauen mehr im Fernsehen sehen wollen", sagt Anosh von dem Telefonat. "Wenn Frauen zum Einkaufen oder spazieren raus gehen wollen, dann muss sie sich schwarze, lange Kleidung anziehen. Das kann meine Schwester nicht. Sie meinte: ‚Ich habe 22 Jahre in einem Land gewohnt, mich ausgebildet und alles getan. Wir hatten Freiheiten. Es ist schwierig, dass jemand kommt und das alles nimmt. Das kann man auch nicht durchhalten.‘"
Auch für Anosh ist die Situation nur schwer zu ertragen. Hier in Deutschland kann er fast nichts für seine Schwester tun. Telefonieren, Mut machen, beruhigen. Viel mehr geht aktuell nicht. Selbst wenn er ihr ein Visum besorgen könnte, sagt er – wie sollte sie das Land verlassen? Die Taliban kontrollieren die Grenzen, der Flughafen scheint bis auf Weiteres unerreichbar.
Hoffnung für Schwester
Wie es für seine Familie und vor allem seine Schwester in Afghanistan weitergehen wird, weiß Anosh nicht. Worte dafür zu finden, fällt ihm schwer:
"Mein Wunsch ist, dass meine Familie da rauskommt. Ich würde auch alles tun. Ich weiß nicht, wie lange es noch dauert. Vielleicht ein Jahr, vielleicht noch länger. Ich würde sie da rausholen, besonders meine Schwester. Ich hoffe, dass alle dort in Frieden leben."
Hoffnung schöpft er ein Stück weit aus seiner eigenen Situation. Neben dem Studium engagiert er sich in Rostock für Geflüchtete, hilft ihnen bei der Integration und im Umgang mit Rassismus.
In wenigen Wochen wird er außerdem seinen Master geschafft haben. Wenn er dann einen Job bekommt, stehen die Chancen gut, dass er dauerhaft in Deutschland bleiben und vielleicht auch irgendwann seine Schwester nachholen kann.