Nachbarland

Ein Traum von Toleranz

Die Grenze zwischen dem deutschen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Slubice.
Die Grenze zwischen dem deutschen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Slubice. © picture alliance / dpa
Von Beata Bielecka · 27.05.2014
Wie antisemitisch ist Polen heute und wieviel Nationalsozialismus steckt noch immer in den Deutschen? Die polnische Autorin Beata Bielecka ist entsetzt über die Boshaftigkeit der gegenseitigen Vorwürfe zwischen den Ländern.
Seit ein paar Wochen diskutiert man in Frankfurt und Slubice, jenseits und diesseits der Oder über Antisemitismus – ausgelöst durch eine Werbung. Der Besitzer eines Pfandhauses hat sie in sein Schaufenster gestellt: ein Jude, der Geld zählt. Die Einwohner von Slubice haben sie wahrgenommen, aber sich nichts dabei gedacht. Anders in Frankfurt Oder: dort erhitzte sie die Gemüter.
Das Ganze begann, als ein Berliner Jude seinen Freund besuchte, der an der Viadrina in Frankfurt studierte, und beide bei einem Spaziergang auf der polnischen Seite die Reklame entdeckten. Der Berliner fragte, ob solche Bilder in Polen normal seien. Denn in Deutschland wäre so etwas undenkbar!
Der Frankfurter Freund war peinlich berührt und schrieb eine empörte Mail an den Slubicer Bürgermeister, der wiederum die Polizei informierte und diese die Staatsanwaltschaft. Sie prüft, ob der Pfandverleiher eine Straftat begangen hat, ob ihm eine verbotene Hassrede vorgeworfen werden muss.
Krieg in der Netzgemeinde
Einige posteten die Reklame auch im Internet – einer von ihnen war Michael Kurzwelly, ein Frankfurter Künstler und Gründer des Vereins "Slubfurt", ein Name, der Slubice mit Frankfurt kombiniert. Seitdem herrscht ein Krieg der Worte in der Netzgemeinde. Ein polnischer Blogger fand es seltsam, dass gerade die Deutschen als das Gewissen Europas aufträten. Ein anderer fragte, wie man sich fühlen würde, wenn ein Spirituosengeschäft mit einem betrunkenem Polen werben würde?
Die Diskussion überschritt ihren Zenit, als jemand meinte, dass Juden seit Jahrhunderten für ihre "finanziellen Fähigkeiten" geschätzt würden und sie nicht von den Polen zu Dieben erklärt worden seien, die man ins Gas schicken sollte! Das wiederum hielt Michael Kurzwelly für nationalistisch und rassistisch.
Der einzige, der sich über hitzige Debatte wunderte, war der Besitzer des Pfandhauses. Er nahm seine Reklame für bare Mütze, für das, was sie darstelle, für gute jüdische kaufmännische Tradition, die er bewundere und wertschätze.
Vorwürfe sollen aufhören
Ich aber bin über die ganze Diskussion entsetzt. Wie lange wollen die Polen den Deutschen noch deren dunkle Vergangenheit vorhalten, egal ob sie etwas damit zu tun hatten oder nicht? Schließlich ist meine Generation der heute 50-Jährigen auch nicht verantwortlich für den Pogrom gegen Juden im polnischen Ort Jedwabne. Dort verbrannten Einwohner während des Zweiten Weltkriegs ihre jüdischen Nachbarn in einer Scheune wie Schlachtvieh.
Trotzdem bin ich davon berührt. Und deswegen sehe ich die Geschichte meiner Heimat nicht allein aus der Rolle eines Opfers heraus, mache es mir nicht so leicht wie manch anderer Pole. Seltsamerweise wird es bei uns sofort politisch heikel, wenn sich herausstellt, dass damals auch Polen Henker waren.
Einer, der das erfuhr, war der polnische Schauspieler Maciej Stuhr. Er spielt die Hauptrolle in dem Spielfilm über die Vorfälle in Jedwabne und wurde deswegen als Vaterlandsverräter bezeichnet, letztlich, weil er aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen wollte, wie er sagte.
Ich persönlich träume davon, dass wir alle toleranter werden. Man sollte sein Heimatland nicht blind lieben. Lieben kann man seine Kinder, Eltern oder das polnische Modell Anja Rubik, das in den USA Karriere macht. Heimat und Staat verpflichten, ja, aber man darf diese Pflicht nicht missverstehen, nicht gegen den eigenen Nachbarn einsetzen. Und den Film "Pokłosie", über den Pogrom in Jedwabne empfehle ich allen, die ihn noch nicht gesehen haben, Polen wie Deutsche.
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Lubuska" – größte regionale Tageszeitung Polens an der deutsch-polnischen Grenze. Lebt und arbeitet in Slubice, von wo aus sie seit 20 Jahren über den Alltag im Grenzgebiet berichtet. Hat 1996 gemeinsam mit Dietrich Schröder (Märkische Oderzeitung) den "Wächter-Preis der deutschen Tagespresse" verliehen bekommen: für eine Artikelreihe über Regelverstöße bei der Grenzpolizei. Ist 2014 nominiert für den deutsch-polnischen Journalistenpreis "Tadeusz-Mazowiecki".
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Slubicka"
Beata Bielecka, Redakteurin der "Gazeta Slubicka"© privat
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