Wo hochmoderne Technik auf Steinzeit trifft
Zu ihrem eigenen Schutz wurde die UNESCO-Weltkulturerbe-Stätte in der französischen Ardèche gesperrt. Jetzt können Besucher die 36.000 Jahre alten Felsmalereien der Chauvet-Höhle dennoch betrachten: in einer exakten Nachbildung des Originals.
"Die Grotte selbst ist schön!"
Jean Clottes war einer der ersten, der im Dezember 1994 die Höhle betrat. Die Archäologen hatten den Steinzeitexperten vom weihnachtlichen Familienfest geholt.
"Meine Frau war nicht begeistert",
schildert Jean Clottes heute, 20 Jahre später.
"Ich hatte ja keine Ahnung vom Rest, da waren am Eingang die rötlichen Tupfer, vom Kalkspat überdeckt, man sah die Authentizität, aber dann, weiter hinten, der Panther, dann die Pferde, das war das Schönste vom Schönsten, ich war sehr bewegt."
Clottes hat die 36.000 Jahre alten Zeichnungen und die Begebenheiten in der Original-Grotte von Pont-d’Arc, die den Namen ihres Entdeckers Chauvet trägt, ausgewertet und ist wissenschaftlicher Gutachter für die Rekonstruktion der Höhle.
"Die haben eine bemerkenswerte Arbeit geleistet, Detailgenau."
Inmitten der karstigen Landschaft des Ardèche-Tals, mit seinen zerklüfteten Felsformationen, entstand die "Caverne vom Pont-d’Arc", die Höhle Numero zwei. Halb so groß wie das Original. Binnen drei Jahren schufen 35 Unternehmen mit komplizierten Verfahren die Kopie für das breite Publikum, um das Steinzeit-Original bewahren zu können. 3D-Modelle, Anamorphosen, 6000 digitale Aufnahmen standen Pate.
"Dass das gelingen würde, war anfangs nicht klar, das ist weltweit einzigartig."
Vor acht Jahren, nachdem Streitereien um die Rechte der Ursprungshöhle beendet waren, wurde das Megaprojekt des Nachbaus begonnen. Dem Staat, inzwischen Eigentümer, fehlte es mal an Geld, dann am passenden Gelände, aber jetzt kann Pascal Terrasse, der Präsident des Projektteams für die "Caverne" über das Gelände führen:
"Wir sind an einem geologischen Ort, der identisch ist mit jenem, an dem die Ursprungsgrotte gefunden wurde, etwa ein Kilometer von hier entfernt."
Aus der mediterranen Flora führt der Weg abwärts, über einen halb offenen Betonkanal hinab zum dunklen Vorraum, in dem die Augen sich gewöhnen sollen, an das Höhlenerlebnis.
Simulation umfasst alle Sinne
Die Tür öffnet sich nahezu geräuschlos und der Blick geht hinein in die natürliche Kathedrale aus Stalaktiten und Stalagmiten, ein zugleich helles und warmes Licht, auf dem Boden Reste von Gebeinen, Bärenspuren.
"Das ist nicht identisch das, was die Steinzeitmenschen vor Augen hatten, als sie ihre Bilder an die Wände Höhlenwände gemalt haben. Die Tropfsteine haben sich verändert, manche Zeichnungen wurden mit der Zeit vom Kalkspat überdeckt. Wir haben hier den Blick rekonstruiert, den die Entdecker der Höhle 1994 hatten."
Um den Ort bestmöglich zu simulieren, werden alle Sinne bemüht. Temperatur, Feuchtigkeit, Licht. Akustikexperten, die für die großen Konzertsäle Frankreichs gearbeitet haben, sorgten dafür, dass die flüsternde Stimme der Museumsführer zentriert auf die Besuchergruppen gerichtet werden. Und auch für den Duft ist gesorgt, Geruchsexperten haben die Ursprungshöhle ausgewertet. "Unsere Nasen", wie Architekt Vincent Speller sagt, "haben dann die Zutaten geliefert".
"Das ist ein Molekül, das durch die Belüftungsanlage verbreitet wird, ein Geruch erdig und feucht zugleich, der dem Duft in der Chauvet-Höhle sehr nahe kommt."
Der Gang durch die Nachbildung der Steinzeithöhle führt an zehn Stationen vorbei. Dort, wo in der Dunkelheit der Steinzeit die Tiere mit ihrem Fell den Fels polierten, polierten die Experten von heute die Wände. Die Spuren der Bärentatzen, die sich die Höhle vor 36.000 Jahren mit den Menschen teilten, sind an den Wänden sichtbar, und nach und nach erfasst das Auge die Malereien: Eingangs abstrakte Zeichen, dann der Handabdruck eines Steinzeitmenschen, rötlich umrandet, die Eule, das Rhinozeros, ein Bison, ein Panther und natürlich die Löwen und die Pferdebilder.
"Hier sind sie im besonders zauberhaften Teil, dem schönsten Teil der Höhle."
Alain Dalis lenkt eines der Kunst-Ateliers, die mit den Nachbildungen beauftragt waren. Ein bescheidener Mann im Hintergrund, der Projektleiter nennt ihn liebevoll "den Fälscher". Wie alle, die das Original gesehen haben, schwärmt er von der Ästhetik, der Vollkommenheit der Zeichnungen:
"Ich gestehe, ich war völlig verloren, als ich zum ersten Mal die echte Höhle sehen durfte, man ist dort total überwältigt, ja, das hat mich umgehauen."
400.000 Besucher werden jährlich erwartet
Dalis hat mit demselben Material gezeichnet, das vor 36.000 Jahren verwendet wurde: Farben pflanzlichen Ursprungs, Kohle. Die Konturen, die die Steinzeitmenschen mit den Händen in den lehmigen Untergrund zogen, musste er nachbilden, nachempfinden.
"Wichtig ist, dass nicht wir, sondern die Menschen vor 36.000 Jahren die Künstler sind. Wir durften jetzt den Zeichnungen nicht die eigene Handschrift aufdrücken. Es ging darum, mit viel Verehrung und Bewunderung für das damals Geleistete ans Werk zu gehen."
Die teils dreidimensionalen Zeichnungen, die sichere Linienführung, die Einbeziehung des Höhlengeländes, der Felswände, ja selbst der Bärenspuren in die Höhlenmalereien lassen die Experten bis heute schwärmen.
"Wenn Sie einen Höhlenforscher hierherbringen, glaubt er nicht, dass dies eine Nachbildung ist."
Sagt Projektleiter Terrasse, bevor er hinter die Kulissen führt. Um auf 3000 Quadratmetern die Steinzeithöhle neu in Szene zu setzen, musste ein gewaltiges Metallgerüst entworfen werden, das die neue Grotte aus Beton und Kunstharz trägt. 87 Kilometer Kabel verlaufen hier.
"Sicher, das entzaubert den Besuch ein wenig", sagt Architekt Speller. Die Nachbildung, wissenschaftlich treu und Millimeter genau, sei das eine, die Technik, die dahinter stecke, das andere. Man dürfe die Leute ja nicht belügen.
55 Millionen Euro haben Regionalbehörden, französischer Staat und Europäische Union in das Projekt gesteckt. 400.000 Besucher jährlich werden erwartet.