Tom Clancy / Mark Greaney: Command Authority. Kampf um die Krim
Aus dem Amerikanischen von Michael Bayer
Heyne, München 2014
846 Seiten, 24,99 Euro
Wie Tom Clancy die Krim-Krise vorhersah
Schon ein Jahr vor dem Konflikt in der Ukraine beschrieb Tom Clancy ein ganz ähnliches Szenario in seinem letzten Thriller. Nun erscheint "Command Authority" aus Clancys Nachlass und offenbart das realpolitische Gespür des Autors.
"Wenn ich will, kann ich in zwei Wochen Kiew einnehmen", soll Wladimir Putin Anfang September in einem Telefonat mit dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Barroso gesagt haben. Noch hat er es nicht getan. In "Command Authority", einem neuen, nachgelassenen Roman von Tom Clancy, sieht das allerdings zunächst ganz anders aus - und in diesem Thriller, der den Untertitel "Kampf um die Krim" hat, kann man auch nachlesen, warum es letztendlich doch (noch?) keinen Krieg zwischen der NATO und Russland gegeben hat.
"Command Authority" stammt aus dem Jahr 2013, am 1. Oktober 2013 ist Tom Clancy allerdings gestorben. Wie hoch also der Anteil des als Co-Autor angeführten Mark Greaney ist, soll die Clancy-Philologie herausfinden. Bemerkenswert ist allerdings, wie Clancy die "Ukraine-Krise" schon mindestens ein Jahr vor der militärischen Eskalation zum Hintergrund eines seiner dickleibigen Polit-Thriller um seine Helden Jack Ryan senior und junior macht.
Putin heißt bei Tom Clancy Walerij Worodin
Putin heißt bei Clancy nicht Putin, sondern Walerij Worodin, aber Worodin ist Putin. Von der gleichen Physiologie und Physiognomie, mit dem gleichen KGB-Hintergrund, mit dem gleichen populistischen Charme. Am Anfang des Romans versucht Russland, Estland zu überrennen, wird aber von ein paar tapferen NATO-Truppen, die natürlich Amerikaner sind, gestoppt.
Aha, sagt sich Worodin, testen wir mal, was passiert, wenn wir uns die Krim zurückholen, die historisch sowieso russisch ist, und schauen wir weiter, was passiert, wenn wir die östlichen Teile der Ukraine destabilisieren und schließlich direkt auf Kiew zielen. Die Destabilisierung der Ukraine erfolgt mithilfe eingeschleuster "prorussischer" Aktivisten, mit hohem Propaganda-Aufwand und materiellen Versprechungen an die nicht-ukrainischen Bevölkerungsanteile und setzt auf ein unentschlossenes und zögerliches Europa.
Clancys Worodin will das alte sowjetische Imperium wiederherstellen und dadurch mit seinen Spießgesellen im Kreml ungeheure Reichtümer anhäufen. Deswegen scheut er auch nicht, direkt mit dem Organisierten Verbrechen zu kooperieren, das für ihn die Dreckarbeit macht. Als die Amerikaner das aber herausbekommen, haben sie endlich den Hebel gefunden, um Worodin zu stoppen. Das wiederum hat mit einer alten Story zu tun, die mehr oder weniger Putins/Worodins Aufstieg zur Macht nachzeichnen soll.
Nicht elegant, aber aufschlussreich
Schon zu Zeiten von Glasnost hatte der nämlich beschlossen, dereinst die Macht zu übernehmen und sich die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und russischer "Mafia" gesichert, in dem er beide Seiten betrügt. Diese den Roman oft dominierende Vorgeschichte erzählt Clancy zäh wie Leder - elegante und dynamische Prosa waren nie sein Ding. Auch dieser neue Roman ist ein Debakel der Erzählökonomie, hunderte Seiten von Info-Dialogen fürs Publikum, blödsinnige Balgereien, abwegige Heldentaten und unerträglich bornierter US-Patriotismus. Nichts Neues aus Clancy-Land also.
Aber eben dennoch: Ein gewisses realpolitisches Gespür, wie ein Ukraine-Szenario laufen könnte und wie es tatsächlich immer noch läuft, kann man dem alten Kalten Krieger Clancy nicht absprechen. Sein böser und einseitiger Blick vermag dennoch ein paar Grundkonstellationen sehr klar zu erkennen. Als Handbuch zur Bewältigung einer realpolitisch prekären Krise jedoch taugt der Roman eher nicht. Außer wir gehen davon aus, dass Obama etwas über Putin weiß, was wir nicht wissen. Aber vermutlich funktioniert die richtige Welt doch nicht so.