Eine Baumrinde zum Anziehen
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Rinde ist ein Abfallprodukt der Holzindustrie. Meist wird sie verbrannt oder zu Rindenmulch verarbeitet. Eine Potsdamer Forscherin zeigt, dass der Rohstoff viel mehr kann: Selbst Kleidung kann daraus entstehen.
Charlett Wenig steht vor einer großen Kugel aus Kiefernrinde. Die Installation steht im Foyer des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm, einem Stadtteil von Potsdam.
Eineinhalb Meter im Durchmesser misst die Kugel, unten ist sie offen.
"Hier war die Idee zu schauen, was für Formen sind möglich und auch ein Objekt zwischen den einzelnen Welten zu schaffen. Wie können wir Leute für Biomaterialien begeistern. Die Installation ist dafür da, um einen Kommunikationsraum zu schaffen. Ich würde Sie einladen mal reinzugehen, denn der Geruch und die Akustik sind sehr interessant."
Die Material- und Produktdesignerin schlüpft in die Kugel hinein.
"Es riecht total nach Kiefernwald, es riecht ein bisschen nach Sauna. Die Rinde ist schon über ein Jahr alt, aber es riecht immer noch nach Wald. Wenn man sie anfasst, die Haptik erinnert so ein bisschen an Holz oder Leder."
Rinde als Rohstoff gewinnen
Gut ein Dreivierteljahr hat Charlett Wenig mit ihrer Mitarbeiterin Johanna Hehemeyer-Cürten an dieser Kugel gearbeitet und die Rinde gewebt – in Handarbeit. Von Hause aus ist sie studierte Industriedesignerin. An einigen Stellen ist die Rinde nur Millimeter dick, so dass Licht von außen hindurch scheint.
"Das Interessante ist, dass wir komplett von Baumrinde umgeben sind. Rinde ist ja die Schutzschicht, die Grenzfläche des Organismus Baum zur Umwelt. Wie wäre das, wenn wir damit umgeben sind, also wenn wir diese Schutzschicht für uns nutzen und anfassen können und letztlich gucken können, wie das wäre es als architektonisches Material."
Den Rohstoff schält die Forscherin von Bäumen, ehe sie ins Sägewerk kommen. Der ideale Zeitpunkt ist der späte Frühling, um die Rinde mit Holzkeil und Brecheisen vom Stamm zu lösen. Mittlerweile ist die Doktorandin beim Schälen routiniert und beschreibt den Vorgang so:
"Ein bisschen wie man eine Apfelsine schält. Der Kraftakt daran ist, dass die Rinde ja voller Wasser ist, die hat ja ganz schön Gewicht. Das Längste, was wir geschält haben, waren elf Meter am Stück. Das ist also richtig ein schwerer Teppich."
Eigentlich bricht und bröselt Kiefernrinde wie ein Keks, sobald sie trocknet. Doch Charlett Wenigs begehbare Kugel fühlt sich an wie Leder. Denn die Industrie- und Produktdesignerin hat ein Verfahren entwickelt, bei dem die Rinde flexibel und geschmeidig wird, indem sie zwei Tage lang in einer Glycerin-Wasser-Lösung liegt. Dieses Verfahren ist ihr bis jetzt nur mit Rinde von Kiefern gelungen, weil Rinden unterschiedlicher Baumarten strukturell und von der chemischen Zusammensetzung her sehr divers sind.
Schutz vor äußeren Einflüssen
Rinde hüllt Stämme und Äste von Bäumen und Sträuchern ein, ist also eine Art Abschlussgewebe, das die Pflanze vor äußeren Einflüssen schützt und dabei ständig nachwächst. Entwicklungsgeschichtlich geht die Bildung der Rinde mehr als 440 Millionen Jahre zurück. Damals haben Organismen den Lebensraum Wasser verlassen, sagt Michaela Eder, Materialwissenschaftlerin am MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung.
"Plötzlich war es notwendig, dass man sich gegen Austrocknung schützt und die Organismen haben dann die Epidermis entwickelt. Die Rinde ist jetzt bei den Bäumen ganz wesentlich für den Nährstofftransport aber auch für Wassertransport zuständig und hat massive Schutzfunktionen."
Feuer, Steinschlag, Tierfraß und Pilzbefall: solchen äußeren Einflüssen trotzt dicke Rinde. Bei kalifornischen Mammutbäumen kann sie bis zu 50 Zentimeter dick werden. Obwohl die Bestandteile von Rinde identifiziert sind – Zellulose, Gerbstoffe, Mineralien und über 200 Extraktstoffe – ist vieles noch unbekannt über Rinde, so Michaela Eder.
"Wir haben recht wenig Detailinformationen dazu, wie sich Rinde als Material verhält. Das beginnt schon bei der Beschreibung der Dichte der unterschiedlichen Rinden. Es ist kaum Information verfügbar über die mechanischen Eigenschaften."
Materialforschung für zukünftiges Design
Charlett Wenig schlüpft aus der begehbaren Kugel im Foyer des Max-Planck-Institutes für Kolloid- und Grenzflächenforschung wieder heraus. Auf dem Weg in ihr Labor erzählt sie, wie wichtig ihr das Zusammenspiel von Naturwissenschaft und Design ist.
"Mir geht es darum, dass ich Grundlagenforschung für das Design mache. Ich möchte Materialien erforschen und ich möchte anderen Designerinnen und Designern die Chance geben, damit weiterzuarbeiten, also zu sagen, mit diesem Material könntest du unterschiedliche Dinge machen."
Deshalb gehören auch klassische Versuche der Materialprüfung zu ihrem Alltag: Bruch- und Zugtests zum Beispiel.
"Die Rinde wird dann zwischen diese Klemmbacken eingespannt und mit einer definierten Geschwindigkeit wird dann die Rinde auseinandergezogen. Damit schauen wir letztendlich wie dehnbar ist es, ab welchem Punkt reißt es, wie viel Kraft braucht man dabei. Ist es ein spröder Riss, ist es ein faseriger Riss. Solche Experimente sagen sehr viel aus, wie ist letztendlich das Material zusammengebaut."
Rinde umfangreich einsetzbar
Das Portfolio, wie Rinde als Biomaterial verwendet werden kann, ist mittlerweile umfangreich: gewebte Textilien für Jacken, Schuhsohlen aus Robinienrinde, Farbstoffe aus Rindenasche für Keramik, Zelte, Pavillons, Tischplatten oder Fußböden. Für ihre aktuellen Versuche gehört neuerdings ein Bügeleisen zum Laborinventar.
"Wir haben diese flexibilisierte Rinde und nutzen dann auch die Feuchtigkeit im Bügeleisen, um die Baumrinde in unterschiedliche Formen zu drücken. Und was sie hier sehen sind diverse Faltexperimente. Das ist ein kleines Modell von einem Faltdach, wo wir drüber nachgedacht haben, dass man es für Verschattungen oder für Plätze nutzen kann. Auch da ist wieder die Grundidee, nicht alle Produkte müssen 200 Jahre halten und wenn das Verschattungselemente ein Sommer hält, dann ist das auch in Ordnung."
Und ein Dach aus gefalteter Baumrinde hätte einen großen Vorteil: Es könnte Kunststoffe ersetzen und so Müll vermeiden. Denn das Rinden-Dach ist vollständig biologisch abbaubar.