Warum Sachsen-Anhalt ein Kulturkonzept braucht
Zwar wurde Sachsen-Anhalt baulich mit viel Aufwand auf Hochglanz gebracht. An kreativem kulturellem Leben mangelt es dem Land allerdings, besonders außerhalb der Städte Magdeburg und Halle. Kulturmacher fordern ein nachhaltiges Konzept, um dies zu ändern.
"Wir sind ja heute Morgen stehen geblieben. 3. Akt, 1. Szene. Ich würde mal sagen, um reinzukommen, fangen wir einfach mal an ..."
Leseprobe der Harzer Waldbühne in Benneckenstein im Dreiländereck Sachsen-Anhalt, Thüringen, Niedersachsen. Ein Off-Theater am süd-westlichen Harzrand. Sieben Schauspieler – keine Laien, sondern Profis, die schon auf den großen Bühnen Deutschlands gestanden haben - proben Dürrenmatts "Besuch der alten Dame".
"Hab ich ausgesucht, weil es sehr viele Parallelen zu dem Stück und der Stadt gibt."
Erzählt Regisseur und Theaterdirektor Janek Liebetruth. Typ Berliner Hipster. Vollbart, nach oben geföhntes Haar, kurze Hosen, Sneaker:
"Also 'Besuch der alten Dame' ganz kurz: Eine vor der Pleite stehende Stadt, wo es den Bürgern nicht gut geht, wird verheißungsvoll von einer ehemaligen Mitbürgerin, die mittlerweile zur Milliardärin geworden ist, die wieder zurückkommt nach 40 Jahren, wird Geld versprochen. Und stellt eine Forderung: Denn die Stadt bekommt das Geld nur, wenn sie einen ihrer Bürger umbringt. Für mich waren die Parallelen spannend. Auch hier, Stadt, Oberharz am Brocken, schweres Los, verschuldet wie viele Kommunen Deutschlands. Und jetzt mal die Frage zu stellen, was würdet ihr denn für eure Stadt tun?"
Wo Rehe, Hasen und Touristen sich begegnen
Liebetruth ist ein junger Mann aus dem Harz, den das Studium der Theaterwissenschaften nach Berlin, dann in den Mittleren Westen der USA getrieben hat. Jetzt ist er in die Provinz zurückgekommen. Um in der Waldbühne Benneckenstein – die seit DDR-Zeiten leer steht - ein professionelles Theaterfestival aus dem Boden zu stampfen. Dort wo sich eigentlich nur Rehe, Hasen und Touristen begegnen. Liebetruth will zeigen:
"Dass wir hier auch professionelle, niveauvolle Theaterkunst machen können, so wie es die anderen Stadt – und Staatstheater auch können."
Nur mit den Geldern ist das so eine Sache. Seit 2013 versucht das Festival der Darstellenden Künste an Landesförderung zu kommen. Letztes Jahr hat man eine Absage erhalten, für eine kleine Ballettreihe im Frühjahr ebenso. Das Land wollte das Wagnis nicht eingehen, einer unbekannten Theater-Truppe mehrere Zehntausend Euro für ein Theater-Experiment zu vertrauen, erzählt Liebetruth.
Doch der Wind hat sich gedreht. Denn das Land Sachsen-Anhalt hat jetzt 30.000 Euro bewilligt. Da sich das Gesamtbudget aber auf 115.000 Euro beläuft, musste man noch 85.000 Euro extra eintreiben. Sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, sagt Janek Liebetruth, der in den letzten vier Jahren als Regieassistent am Stuttgarter Schauspiel gearbeitet hat. Die Bürokratie, das Zögern des Kultusministeriums auch Gelder in die Provinz zu vergeben, bereitet ihm großes Kopfzerbrechen:
"Ich kann nicht nachvollziehen, wie da, warum welche Gelder verteilt werden. Kann es nicht nachvollziehen. Wir stellen den Antrag ans Landesverwaltungsamt, das Landesverwaltungsamt leitet es weiter ans Kultusministerium. Das Kultusministerium macht ein Gutachten und leitet es wieder weiter ans Landesverwaltungsamt. Das ist das Zusammenspiel einer großen bürokratischen Maschine."
Kampf gegen Sparauflagen und Schuldenbremsen
Raumpionier Janek Liebetruth schüttelt den Kopf. Dabei wolle er doch nur Kultur in die Provinz exportieren, sagt er noch. Sparauflagen oder Schuldenbremsen allerdings, sorgen für Kahlschläge. Die Konsequenz: Die Menschen ziehen weg, die Fläche verödet, auch und insbesondere wegen mangelnder Kulturangebote:
"Ich glaube, es braucht im politischen System ein Grundverständnis, was Ressort-übergreifend einfach den Stellenwert von Kultur und Kunst begreift."
Stephan Behrmann, Geschäftsführer des Landeszentrums Spiel & Theater in Sachsen-Anhalt. Die Lobby-Vertretung für die Off-Bühnen im Land.
"Kultur ist nicht die Petersilie auf der kalten Platte der Gesellschaft, sondern unverzichtbar für ein gedeihliches Zusammenleben" so hat es mal der Plakatkünstler Klaus Staeck formuliert. Der Bundestag hat bereits 2007 Breitenkultur als unverzichtbar deklariert, als – Zitat – "Garant des vielfältigen kulturellen Angebots und der kulturellen Teilhabe in Deutschland". Erkenntnisse, die in Sachsen-Anhalt noch lange nicht angekommen sind, konstatiert Behrmann, der sich für mehr Theater in der Provinz engagiert:
"Ja, hier fehlt eine große Vision, ein großes Kulturkonzept, wie man hier sowohl die großen Zentren, als auch die Fläche so bedient, dass das Land flächendeckend mit Kultur versorgt ist."
In Sachsen-Anhalt existieren 65 freie Theatergruppen, die insbesondere in der Provinz regelmäßig für alle Zielgruppen produzieren. 2014 erreichen sie deutlich mehr als 100.000 Zuschauer, 500.000 Euro an Landesmittel bekamen sie dafür. Zu wenig und nur ein Bruchteil dessen, was die großen Bühnen – wie Halle und Magdeburg – zur Verfügung haben, sagt Theaterwissenschaftler Stephan Behrmann.
Zum Vergleich: Allein das Theater Magdeburg hat 2014 etwa neun Millionen Euro vom Land erhalten, in die Vorstellungen sind rund 170.000 Besucher gegangen. Damit hat nur das Theater Magdeburg pro Zuschauer 52 Euro vom Steuerzahler bekommen, für alle freien Bühnen Sachsen-Anhalts sind es dagegen gerademal fünf Euro pro Zuschauer. Eine Rechnung, die deutlich macht, dass Sachsen-Anhalt die Fläche, die Provinz völlig vernachlässigt. Behrmann nickt:
"Wir sehen ja an zahlreichen Beispielen in Sachsen-Anhalt was eben passiert, wenn Landschaften veröden. Wenn die ganze Struktur verödet. Angefangen von der ganzen medizinischen Versorgung, über die Bibliotheken bis hin zur Kultur, zum Kino. Und hier die Landschaft attraktiv zu halten, da ist Theater, freies Theater, da ist Kultur eine extrem wichtige Zutat, die oft unterschätzt wird, die man nicht vergessen darf."
Kaum Kulturförderung für die Provinz
Bundesweit wird die Kluft zwischen Breiten – und Metropolenkultur noch deutlicher: 70 Prozent der Deutschen leben im ländlichen Raum, aber weniger als zehn Prozent der öffentlichen Kulturförderung fließen genau dahin. Drei Milliarden Euro bekommen die staatlichen Theater, nur ein Promille die Freien Bühnen. Und das obwohl die Laienbühnen beispielsweise mit ihren etwa 100.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern bundesweit circa acht Millionen Zuschauer erreichen. Alles so nachzulesen im "Weißbuch Breitenkultur" der Universität Hildesheim.
"Na, Vorsicht mit den Zahlen. Ist immer die Frage, was für einen Haushalt nehmen sie in den Blick. Wenn sie sagen, wieviel geht denn von dem Bundeskulturhaushalt in die Breitenförderung, dann kriegen sie andere Prozentzahlen. Wenn sie sagen, wie viel geht denn vom Landesanteil in die Breitenkultur - da muss man natürlich realisieren, dass das Land noch andere Aufgaben, die landesweiten Aufgaben hat. Sprich: Wer kümmert sich denn um das Bauhaus, wenn nicht das Land oder um Naumburger Dom oder um das Landesarchäologie-Zentrum. Das heißt, wir haben zum Einen die Landesaufgaben wahrzunehmen und dann zusätzlich, den Kommunen auch zur Seite zu stehen, als zuverlässiger Partner in der Breitenkultur."
Einen schwierigen Spagat nennt es SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh. Dem immer wieder vorgeworfen wird, Prestige-Objekte wie das Reformations-Jubiläum finanziell üppig auszustatten, kleinere - nicht so strahlende Projekte in der Provinz – zu vernachlässigen.
Einen ...
"...Teufelskreis ..."
... nennt das Theatermacher Janek Liebetruth. Wer ernsthaft Kulturpolitik betreiben wolle, müsse sich seines Erachtens mehr als bisher den ländliche Gegenden zuwenden, sie beatmen:
"Wenn man immer mehr kürzt, macht das ja einen Standort immer weniger attraktiv. Und je mehr man kürzt, um so unattraktiver wird eine Region."
Ein malerisches Fachwerkhaus ist nicht genug
Und: Allein in malerischen Städtchen, in einem schönen Fachwerkhaus zu wohnen, reiche den Menschen nicht, schiebt Liebetruth pointiert noch schnell hinterher. Die alte Rechnung gelte auch hier, sagt er: Wo keine Kultur ist, da siedeln sich auch keine Unternehmen an, da werden keine Zuwanderer oder junge Menschen mit Ideen kommen.
Angekommen scheint das in der Politik noch nicht so richtig. Resümiert der Hallenser Pop-Art-Künstler Moritz Götze. Herausgeber einer kleinen Edition namens Hasenverlag und sowas wie der Andy Warhol Sachsen-Anhalts:
"Die meisten Politiker haben einfach keinen Sinn für Kultur. Und auch keine Ahnung davon."
Dass Breiten- bzw. Regionalkultur zur Identitäts – und Gemeinschaftsbildung Wesentliches beitragen könne. Breitenkulturförderung als Aufgabe der Kulturpolitik kenne man in Sachsen-Anhalt schlicht nicht:
"Also es ist ja wirklich eine schwierige Gegend. Ich gebe in meinem kleinen Verlag auch kulturgeschichtliche Bücher heraus. Über Städte, die gefährdet sind. Und wo man das Gefühl hat, die wird es in dieser Form in zehn Jahren nicht mehr geben, durch den Bevölkerungsschwund. Und wenn man da ist, da merkt man erst, was für einen Reichtum Städte wie Hettstedt oder Mansfeld oder Sangerhausen haben. Und wenn man da jetzt hinfährt, ist das doch sehr hoffnungslos."
Allein die Kultur könne etwas in den Köpfen bewegen, damit die Menschen auch bleiben. Gemeint sind Galerien, sozio-kulturelle Zentren, Provinzbühnen, kleine Museen, die die Straßen und Plätze beleben. Doch dafür gebe es in Sachsen-Anhalt kaum Geld, ergänzt Künstler Götze fast etwas resigniert. Stattdessen existieren Unmengen üppig ausgestatteter EU-Strukturförderprogramme für den ländlichen Raum, die in Beton und Stahl investieren. Die kulturellen Herausforderungen sich entvölkernder Regionen würden da nicht berücksichtigt.
Wer Politiker darauf anspricht erntet nur Kopfschütteln. Stattdessen wiederholen sie gebetsmühlenartig – wie Kultusminister Dorgerloh - dass Sachsen-Anhalt auf dem richtigen Weg sei:
"Wenn man jetzt sozusagen Kultur nur unter den ökonomischen Zwängen betrachtet, Kultur nur noch unter dem Aspekt von Ansiedlungspolitik wahrnimmt, dann tut man der Kultur unrecht."
Der Faktencheck ist ernüchternd
Demgegenüber steht die Wirklichkeit: Denn ohne Geld, keine Kultur. Ein Faktencheck, zwei Beispiele:
Die Filmtheater. Laut einer Studie der Filmförderungsanstalt in Berlin gibt es zwischen Arendsee und Zeitz nur zwölf Kinosäle, die Arthouse-Filme zeigen. Damit gehört Sachsen-Anhalt zu den Schlusslichtern in Deutschland.
Beispiel Zwei: Das Heinrich Schütz-Museum in Weißenfels. Das Renaissancehaus ist das einzig original erhaltene Wohnhaus des Barock-Komponisten Heinrich Schütz. Doch der Museumsbetrieb muss möglicherweise ab kommenden Winter radikal eingeschränkt werden. Das Problem: Durch den Mindestlohn ist das Haus in eine bedrohliche finanzielle Schieflage geraten. Das Land will die Mehrkosten nicht ausgleichen.
Nachdem Sachsen-Anhalt in den letzten 25 Jahren in baulicher Hinsicht mit viel Aufwand auf Hochglanz gebracht wurde, wird es in den nächsten Jahren darauf ankommen, das Land mit kreativem kulturellem Leben zu füllen. Was passieren muss: ein Umdenken. Gefordert ist keine Gießkannenpolitik. Kein breit gefasstes Landeskulturkonzept, dass alles und nichts fördert; sondern differenzierte Regionalkultur- Konzepte.