Nachhilfe für Grundschüler

Von Christina Selzer |
Immer mehr Grundschüler brauchen Nachhilfe. Entweder ist der Stoff zu viel oder ihnen fehlt grundlegendes Wissen, das sie für die weiterführende Schule brauchen. Nach der vierten Klasse steht schließlich die Entscheidung an, wie es weitergehen soll. Die meisten Eltern sind für einen Abschluss auf dem Gymnasium. Bis dahin müssen die Kleinen noch mal den Bleistift spitzen.
Eine Nachhilfeschule im Stadtteil Vahr. Kurz vor vier Uhr nachmittags ist es. Im Flur der Schule, die zum bundesweiten Anbieter "Studienkreis" gehört, herrscht viel Betrieb: Eltern, die ihre Kinder abholen oder zum Unterricht bringen. Jugendliche, die sich erkundigen, wie sie ihren Schulabschluss doch noch retten können. Ingrid Vögeding ist die Chefin und kann bestätigen, dass immer mehr Grundschüler angemeldet werden. Zehn Prozent sind es mittlerweile. Das beobachtet sie, seit in Bremen die Orientierungsstufe abgeschafft wurde.

"Nach der vierten Klasse wird entschieden, Sekundarschule oder Gymnasium, die meisten Eltern wollen die Schüler auf dem Gymnasium haben. Sie wollen ihnen das Beste bieten. Hauptschule ist heute nichts mehr wert."

Hierher kommen Schüler aus ganz unterschiedlichen Familien: Kinder aus Migrantenfamilien, aus gutbürgerlichen Verhältnissen, aus Arbeiterfamilien, und sogar aus Lehrerfamilien. Dass es überwiegend gutsituierte Familien sind, die sich den Luxus Nachhilfe leisten, kann Ingrid Vögeding nicht bestätigen, im Gegenteil.

"Eltern, die sagen, meine Kinder sollen es einmal besser haben, mit der Hauptschule ist heutzutage nicht mehr viel zu gewinnen. Die Kinder die hierhin kommen, wollen lernen. Da stehen engagierte Eltern dahinter. Die müssen sich das teilweise vom Munde absparen."

In einem Raum sitzen vier Mädchen an einem Tisch und schreiben fleißig Zahlen in die Kästchen ihrer Arbeitsblätter.

"Ich heiße Justinia, bin neun Jahre alt."

Und nicht so gut in Mathe, genauso wie ihre Mitstreiterinnen Gisa, Melissa und Benita. Alle gehen in die vierte Klasse und holen hier nach, was sie in der Schule nicht verstehen. Die Lehrerin Antje Licker geht von Platz zu Platz und kontrolliert jedes einzelne Ergebnis.

"Ich hab erst mal gedacht, dass das problematisch wird mit so kleinen Schülern. Aber sie machen super mit. Ich habe hier angefangen mit Deutsch, da waren die Schüler sechste, siebte Klassen. Mittlerweile habe ich viel mehr Grundschüler. Ich finde das wichtig. Denn wenn die Grundlagen fehlen, kann man später in den höheren Klassen schlecht weitermachen."

Für heute ist die Stunde aus. Die nächsten Kinder warten schon vor der Tür. Eine Mutter hat ihre neunjährige Tochter zum Matheunterricht gebracht. Sie möchte ihren Namen nicht nennen, weil niemand aus ihrem Bekanntenkreis davon wissen soll.

"Meine Tochter ist gerade in die vierte Klasse gekommen, aber inzwischen ist es schon spät, die Panik ist, dass die Empfehlung der Lehrerin kommt für die weiterführende Schule. Da kann man schlecht noch etwas rausreißen."

Und selbst zuhause Nachhilfe geben, das geht meistens schief, erzählt sie, denn:

"Was Mama sagt, ist nicht richtig. Da gibt es Geschrei und Gezeter, dann hängt der Haussegen schief. Wenn Mutter was erklärt, geht nix mehr."

Die Mutter wollte ihrem Kind eigentlich das Beste bieten und schickte es nicht auf eine staatliche Grundschule, sondern auf eine Privatschule. Doch dort, klagt sie, lernt die Tochter noch nicht einmal richtig lesen und schreiben.

"Es ist ja schön, wenn die Kinder was machen, was Spaß macht und schön ist, zum Beispiel Plätzchen backen. Aber wenn grundlegende Dinge auf der Strecke bleiben, wie Rechnen und Rechtschreibung, dann ist das erschreckend. An unserer Schule wird propagiert: Wir schreiben keine Diktate, weder geübte, noch ungeübte. Wenn meine Tochter bald in die fünfte Klasse kommt, dann hat sie noch nie ein Diktat geschrieben. Da muss sie dann sogar ungeübte schreiben. Da wird sie mit Sicherheit eine Bauchlandung hinlegen."

Die Leiterin der Nachhilfeschule, Ingrid Vögeding, findet nichts Schlimmes daran, dass immer jüngere Kinder kommen. Erstens denkt sie natürlich als Unternehmerin und freut sich über jede Kundschaft. Und zweitens macht den Kleinen das Lernen außerhalb der Schule Spaß, davon ist sie überzeugt. Irgendjemand muss es ihnen ja schließlich beibringen, findet sie.