"Freiheit ist mir so wichtig wie mein Augenlicht": Lesen Sie hier ein Gespräch, das wir mit Christo im Februar 2017 geführt haben.
Meister der Verhüllung
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Der Künstler Christo ist tot. Er starb im Alter von 84 Jahren in seiner Wohnung in New York. Mit seinen monumentalen Werken wurden er und seine Frau Jeanne-Claude weltberühmt. Zuletzt hatte er an der Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris gearbeitet.
Der in Bulgarien geborene Christo Vladimirov Javacheff realisierte mit seiner 2009 verstorbenen Frau Jeanne-Claude Projekte wie die Verhüllung der Brücke Pont-Neuf in Paris (1985) und des Reichstags in Berlin (1995), das Paar wurde mit seiner Kunst weltberühmt. Diesen Herbst wollte Christo den Pariser Arc de Triomphe verhüllen. Seine Einkleidung des Reichstages in silberne Gewebebahnen gehörte zu den aufwändigsten Werken. Fünf Millionen Zuschauer lockte das Kunstspektakel an.
Reale Materialen an realen Orten
Ursprünglich verpackte Christo Alltagsgegenstände. Frühes Vorbild war Wladimir Tatlin, der russische Konstruktivist mit seiner Losung: Reale Materialen an realen Orten. So entstand Christos Frühwerk aus dem Geist der Materialcollage, die sich aus dem angestammten Feld der Kunst heraus an die Orte des Alltags bewegt oder Alltagsmaterialen in Orte der Kunst einführt.
Tatlins utopistische Vision einer Kunst für alle inspirierte Christo offenkundig und zeigt sich vielleicht auch in der Monumentalität seiner Projekte seit den 1960er-Jahren. Aber seine Inspirationen waren womöglich auch abhängig von den Orten, an denen er lebte.
In Paris, wohin er nach seiner Flucht aus dem sozialistischen Bulgarien über Prag 1957 gekommen war, schloss er Freundschaft mit Yves Klein, einem Exzentriker und Showtalent, der sich in seinem Werk in den 1950er-Jahren mit der Leere als Kunstwerk auseinandersetzte - sie diente ihm dazu, die Sinne für die Umgebung eines Werkes zu sensibilisieren. So verstand Christo auch seine Verhüllungen als inszenierte Leere, um Orte wahrnehmbarer zu machen.
Übersiedlung in die USA
Nach seiner Übersiedlung in die USA nahmen seine Projekte durchaus auch den Charakter von "Land Art" an, um "Nicht-Orte" im Sinne des Land-Art-Künstlers Robert Smithson zu erzeugen – mit dem Unterschied, dass Smithson explizit dafür Orte weit entfernt von jeder Zivilisation aufsuchte, während Christo ziemlich genau umgekehrt verfuhr, indem er die Orte durch das Verhüllen in Nicht-Orte verwandelte. Der sicher beabsichtigte Nebeneffekt war, dass er sie damit in poetisch-monumentale Phänomene verwandelte, die dann zu weltweit rezipierten Kunstevents wurden.
In einem Interview sagte Christo einmal sinngemäß, es gebe nur drei Dinge, die er nicht zusammen mit Jeanne-Claude machen würde: Demnach säßen sie nie im selben Flugzeug, die Projektskizzen stammten allein von Christo und mit dem gemeinsamen Steuerberater spräche nur Jeanne-Claude.
Tatsächlich haben beide erst 1995 offiziell bekanntgeben, dass sie alle Werke gemeinsam konzipieren - ohne Arbeitsteilung. Da waren sie schon mehr als dreißig Jahre zusammen, so dass man sich fragen musste, warum Jeanne-Claude ihren anscheinend bedeutenden Part für das gemeinsame Werk nicht früher herausgestellt hatte.
Das Paar hatte sich 1958 in Paris kennengelernt, und als ihre erste gemeinsame Kunstaktion gelten die gestapelten Ölfässer und Verhüllungen aus dem Jahr 1961 in Köln.
Seit sie mit ihrem Sohn in den USA lebten, wurden dann die Dimensionen ihrer Arbeiten immer größer, 1969 verhüllten sie ein Felsküste in Australien unter 900.000 Quadratmetern Plastikfolie, wenig später verhängten sie ein Tal im US-Bundesstaat Colorado mit einem 380 Meter breiten Nylon-Vorhang. Also gerade dieses ausladende Verwandeln von Orten in Nicht-Orte durch Verhüllen scheint von Beginn an beider Idee gewesen zu sein.
Als Events konzipiert
Von der Planung bis zur Umsetzung eines Projektes dauerte es manchmal über dreißig Jahre, abhängig von den jeweiligen Stadtverwaltungen und vor allem der Finanzierung, die über Fundraising durch Verkäufe von Projektskizzen und Entwürfen und allerlei Merchandising organisiert wurde. Dahinter steckte zuletzt ein riesiger Apparat, der auch ausreichend Geld und freiwillige Helfer brauchte.
Zum Werk des Künstlerpaares gehören Landschaftsprojekte wie "The Floating Piers" - mit gelbem Stoff bespannte Stege auf dem italienischen Iseosee - oder "The Gates" im New Yorker Central Park, eine Installation mit über 7500 Metalltoren, von denen Stoffbahnen herabhingen. Die Tore waren jeweils fünf Meter hoch, die Gesamtstrecke 37 km lang.
Im Londoner Hyde Park stapelte Christo bunte Ölfässer zur "The London Mastaba" auf. In Deutschland nahmen er und Jeanne-Claude wiederholt an der Documenta in Kassel teil und schufen zwei Projekte für den Gasometer in Oberhausen: "The Wall" (1999) und "Big Air Package" (2013).
Der Arc de Triomphe soll noch verhüllt werden
Die deutsche Politik würdigte Christos Lebenswerk. Er habe "die Menschen weltweit gelehrt, neu und schärfer zu sehen", schrieb Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf Twitter. "Die Tage des verhüllten Reichstages sind mit ihrem Charakter eines friedlichen Volksfestes Teil unseres kollektiven gesellschaftlichen Gedächtnisses geworden."
Mit dem verhüllten Reichstag habe Christo den Deutschen ein Kunstwerk geschenkt, das unvergessen bleiben werde, sagte Bundespräsident Steinmeier. Es habe sich als Symbol für ein weltoffenes Deutschland in die Herzen eingebrannt. Außenminister Heiko Maas erklärte, Christo und Jeanne-Claude hätten mit ihrer Kunst die Welt bereichert.
In einem Tweet aus Christos Büro heißt es, es habe immer festgestanden, dass die Kunst von ihm und Jeanne-Claude auch nach dem Tod der beiden fortgesetzt werden soll. Die Verhüllung des Arc de Triomphe werde deshalb wie geplant weiter vorangetrieben.
(Probst/ahe)