Nachruf auf E.L. Doctorow

"Jedes Buch ist ein kreativer Unfall"

Der amerikanische Schriftsteller E.L. Doctorow 2007 bei einer Lesung in Prag.
Der amerikanische Schriftsteller E.L. Doctorow 2007 bei einer Lesung in Prag. © dpa / picture alliance / Radim Beznoska
Von Kai Clement · 22.07.2015
Historische Romane waren sein Markenzeichen, aber er wollte einfach nur "Schriftsteller" ohne jeden Zusatz genannt werden. Der Fantasie von E.L. Doctorow waren keine Grenzen gesetzt – nicht nur in seinem größten Erfolg "Ragtime".
Anfang vergangenen Jahres las E. L. Doctorow noch in Washingtons Buchgeschäft Politics & Prose. Fast schon schelmisch blickt er die Moderatorin der Veranstaltung an und sagt: "Auf dieses Gleis hätten Sie mich besser nicht gelockt."
Dieses Gleis – das ist die Diskussion um historische Romane. Seine Position ist klar: Ein solcher Autor sei er nicht. Stattdessen wolle er pur und ohne Beiwort einfach nur ein Autor, ein Schriftsteller genannt werden.
Der Autor Daniel Kehlmann hat einmal über E.L. Doctorow gesagt, er sei zugleich ein "Historiker und Erfinder". Sein Markenzeichen war es, fiktive Figuren in historisch klar erkennbare Zeiten zu setzen. Dazu gehört sein berühmterster Roman "Ragtime" von 1975, 1981 verfilmt und auch als Musical am Broadway aufgeführt.
Kohlhaas heißt hier Coalhouse
Das Buch spielt im New York des frühen 20. Jahrhunderts vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit einer Vielzahl von Erzählsträngen. Darunter eine namenlose Familie, deren Mitglieder nur als Vater, Mutter, Sohn benannt werden, ein jüdischer Einwanderer und der farbige Ragtime-Pianist Coalhouse, eine Anspielung auf den um sein Recht kämpfenden Kohlhaas.
Dazu treten auf der Autobauer Henry Ford, der Psychoanalytiker Sigmund Freud und der Entfesselungskünstler Harry Houdini. Kritiker nannten es eines "der wichtigsten und zugleich witzigsten" Bücher der zeitgenössischen amerikanischen Literatur.
Für ihn sei jedes Buch ein kreativer Unfall, sagte Doctorow einmal in einem Interview mit der Zeitung New York Times. Unfälle, die sich ihm aufgedrängt hätten.
Zu diesen kreativen Unfällen gehören viele weitere Romane, darunter "Billy Bathgate", "City of God" oder – erst 2009 – "Homer und Langley" über zwei skurrile Brüder, die sich in ihrem luxuriösen Haus an New Yorks Fifth Avenue immer mehr verschanzen und nach und die Verbindungen zur Außenwelt kappen.
Ein Kind russischer Einwanderer
Edgar Lawrence Doctorow wurde am 6. Januar 1931 in der Bronx geboren. Seine Großeltern waren jüdische Einwanderer aus Russland. Er unterrichtete u.a. Literatur an der New York University. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Preise, darunter den PEN/Faulkner Award.
Daniel Kehlmann, der sagt, er hätte ohne das Vorbild dieses Schriftstellers nie seinen eigenen großen Erfolg "Die Vermessung der Welt" schreiben können, würdigte Doctorow einmal so:
"Gute Literatur entsteht aus Sparsamkeit der Mittel, große aber aus der Verschwendung. Sie erweckt den Anschein, als wäre alles leicht und der Phantasie wären keine Grenzen gesetzt."
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