Kein schöner Land als die DDR
Sein origineller Umgang mit dem Wort überzeugte, mit "Die Aula" schrieb er einen Bestseller. Dann wurde Hermann Kant Präsident des Schriftstellerverbandes − er verhielt sich meist loyal zur SED und seinem Duzfreund Honecker. Nach 1989 begannen bittere Jahre für den gestern gestorbenen Autor.
"Ich hab noch zehn Jahre nach der Aula in meinem Ausweis und meinem Pass immer noch Elektriker stehen gehabt und empfand mich nicht als Schriftsteller. Und da hat mich in Wien ein kaiserlich-königlicher Hotelportier derartig niedergemacht, weil in meinem Ausweis Elektriker stand und ihm ein Schriftsteller angekündigt worden war, und der hielt das für eine höchst verdächtige Angelegenheit und war auch etwas beleidigt, weil einen Elektriker hätte er gar nicht genommen in seinem Hotel."
Hermann Kant hing lebenslang der Idee an, dass die Arbeiterklasse aufgrund von erduldeter Armut und Unterdrückung die moralisch erhabenere Schicht sein müsse. Dem jungen Kant fiel es nicht schwer, die marxistische Grundposition zu teilen. Dem am 14. Juni 1926 geborenen Gärtnerssohn aus Hamburg blieben aufgrund seiner Herkunft Abitur und Studium verwehrt. Und dem alternden Kant, der im neuen Jahrtausend mit mehreren Romanen gegen die Gesellschaft der Ungleichheit giftete, attestierte die FAZ, er sei ein amüsanter Kapitalistenfresser, dem auch nach all den Jahren der Appetit nicht vergangen sei.
Euphorisch an der Arbeiter- und Bauernfakultät
In der DDR war alles anders für Kant. Unmittelbar nachdem er 1949 aus polnischer Kriegsgefangenschaft zurückkam, trat er in die SED ein und konnte nun auf der neugegründeten Arbeiter- und Bauernfakultät sein Abitur nachholen. Von dieser Zeit handelte auch sein Romandebüt "Die Aula":
"Ich habe das Buch in einer polemischen Haltung geschrieben, weil mir schien, diese für mich und nicht nur mich wichtigste Zeit sei nicht aufgehoben in der Literatur. Und alles, was ich dazu kannte – es gibt ein paar Versuche von Anna Seghers und Loest – das war alles nicht das Richtige. Das war alles Hörensagen. Also habe ich das geschrieben aus meiner Erinnerung heraus und habe es mit Lust getan. Das Buch habe ich ja fast noch ganz naiv geschrieben nach dem Motto: Jetzt erzähle ich euch mal etwas. Aber es war ja dann nachher ein ziemlich durchschlagender Vorgang."
Die Arbeiter- und Bauernfakultät war für Kant das Initiationserlebnis für den DDR-Sozialismus. Der Arbeiter Kant erlebte dort etwas wirklich Neues, eine geschichtliche Zäsur. Denn erstmals wurde Ernst gemacht mit der Parole "Bildung für alle". Plötzlich standen den Arbeitern die Universitäten und Bibliotheken offen. Die Euphorie jener Aufbruchsjahre spiegelte sich in der furiosen, offensiven Sprachhandhabung, die das Markenzeichen von Hermann Kant werden sollte. Sein gewandter, origineller Umgang mit dem Wort überzeugte. Hier ging einer mit Lockerheit und Sprachwitz ans Werk, der vier Jahre nach dem Mauerbau ungebrochen optimistisch dem Aufbruch in eine neue Zeit entgegen sah.
"Nicht nur er war für unser Land wie geschaffen, auch das Land war es für ihn. Kein schöner Land in dieser Zeit. Ein Rechnerland, ein Organisatorenland, ein Soll- und Haben-Land, ein Land für Plänemacher, Logarithmenland, Perspektivenland, Tabelliererland, Programmiererland."
Dass in diesem Land eine Funktionärsriege mit bürokratischer Gewalt über seine Bewohner zu herrschen begann, das registrierte Hermann Kant wohl. Er erlebte es mit seinem zweiten Roman "Das Impressum", der drei Jahre lang nicht ausgeliefert wurde, am eigenen Leibe:
"Das Impressum ist ja gedruckt worden und lag in den Kellern des Verlages. Und das, was man mir als Begründung gegeben hat, das war alles Quatsch, als der stellvertretende Minister für Kultur, Bruno Haid, zu mir sagte: Das Buch kann nicht gedruckt werden. Erstens ist es antisemitisch. Zweitens ist es philosemitisch. Drittens ist es pornografisch. Als ich sagte, na Moment mal, hat der Haid dann auch gesagt: Wenn du das widerlegst, finden wir andere Gründe."
Loyal, gnadenlos und unflätig
Erst mit dem Ende der Ulbricht-Ära und dem Aufbruch in eine offenere Gesellschaft unter Honecker konnten die DDR-Bürger Kants ironischen Feldzug gegen den grassierenden Karrierismus zur Kenntnis nehmen. Doch Kant ließ trotz seiner kritischen Töne keine Zweifel an seinem Glauben an die bessere deutsche Hälfte. Er ging in die Offensive, wurde Volkskammerabgeordneter, stieg sogar bis ins ZK auf und übernahm 1978 von Anna Seghers den Posten des Präsidenten des Schriftstellerverbandes.
Als solcher trat er zwar wiederholt auch für Autoren ein, aber wenn es hart auf hart kam, verhielt er sich loyal zur Regierung und seinem Duzfreund Honecker. So exekutierte Kant den Verbandsausschluss von Autoren wie Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Klaus Schlesinger und Rolf Schneider, nachdem diese unerlaubt in der Bundesrepublik publiziert hatten. Bei Autoren, die nach dem Wohnortwechsel in die Bundesrepublik nicht mehr der Verbandsräson unterlagen, wurde Kant sogar unflätig. So kommentierte er die Ausreise von Reiner Kunze mit den Worten: "Kommt Zeit, vergeht Unrat!"
"Das ist eine meiner absoluten Dämlichkeiten. Das habe ich im Zusammenhang mit der Verleihung des Büchner-Preises an Kunze gesagt. Inzwischen habe ich 7000 Mal gesagt, hättest ja auch sagen können: Kommt Zeit, vergeht Unsinn. Das wäre milder gewesen. Aber nein, der eitle Autor sieht, das haut mächtig auf den Scheitel und nun sagt er das. Naja. Kunze hat die Zeit, die seither vergangen ist, weidlich genutzt, entsprechende Sprüche zu mir zu finden. Insofern ist die Sache vor Petrus’ Tor erledigt."
Forderung nach einem Tribunal gegen Kant
Als 1989 die Mauer fiel, begannen bittere Jahre für Hermann Kant. Autoren, denen zu DDR-Zeiten Unrecht geschehen war, machten Kant persönlich dafür verantwortlich. Der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer forderte gar ein öffentliches Tribunal gegen Honecker, Mielke und Hermann Kant. Auch wurden die Vorwürfe immer lauter, er habe der Staatssicherheit zugearbeitet. Kant strengte mehrere Unterlassungsklagen an.
Der große "Spiegel"-Artikel im Heft 41 des Jahres 1992, der ausführlich über die "Spitzel-Karriere des Genossen Hermann Kant alias IM Martin" berichtete, blieb jedoch von Kant unwidersprochen. Dafür brachte Kant hastig mehrere Romane zu Papier, von denen er später selbst nichts mehr wissen wollte. Erst 2005 fand er mit seinem Roman "Kino" zu alter Form zurück.
Im Roman legt sich ein alternder Schriftsteller in einem wetterfesten Nylonschlafsack in die belebte Hamburger Fußgängerzone. In diesem ausgestellten Unbehaustsein entfaltete Kant noch einmal den Wortwitz, für den er einst bekannt war und zeigte sich noch immer sicher, dass der Kapitalismus nicht die beste aller möglichen Welten sei.
"Und dass ich jenseits von allem Gut und Böse hin und wieder gesagt kriege: Schuft magst du ja wohl sein, aber schreiben kannst du ganz ordentlich! Das reicht mir!"