Die freischaffende Liberale
Weil sie Helmut Schmidt nicht stürzen wollte, fiel sie in Ungnade. Später kandidierte sie als Bundespräsidentin. 2002 brach sie mit der FDP. Vorgestern ist Hildegard Hamm-Brücher mit 95 Jahren gestorben. Sie gilt als eine der größten liberalen Politikerinnen der Bundesrepublik.
Hildegard Hamm-Brücher: "Ich empfinde mich als Politikerin der Freiheit nach der Zeit der Unfreiheit, die ich ja als Kind und als junger Mensch erlebt habe."
Aufgewachsen bei ihrer jüdischen Großmutter in Dresden, wurde Hildegard-Hamm-Brücher von den Nazis als Halbjüdin diskriminiert und musste schließlich das Internat verlassen. 1942, als sie bereits in München Chemie studierte, nahm sich ihre Großmutter das Leben, weil sie nach Theresienstadt deportiert werden sollte. Ein Jahr später wurden in München die Widerstandskämpfer der Weißen Rose hingerichtet, zu deren weiterem Kreis die junge Studentin gehörte. Zwei Erlebnisse, die dazu führten, dass Hildegard Hamm-Brücher 1948 in die FDP eintrat und sich für die politische Arbeit entschied. Denn eine Frage ließ sie nicht mehr los:
"Wie bekommt man diesen schrecklichen Nazi-Bazillus aus dem deutschen Gemüt und aus den deutschen Köpfen und Herzen wieder heraus, und da ist mir sehr schnell klar geworden, dass man das überhaupt nur über Schule, Jugend, neue Erfahrungen, Angebote schaffen kann."
Sie wollte Kanzler Schmidt nicht stürzen
Fortan kämpfte sie für eine liberale Bildungspolitik, erst als Münchner Stadträtin, später als FDP-Fraktionschefin im Bayerischen Landtag und schließlich im Bundesbildungsministerium in Bonn. Hildegard Hamm-Brücher blieb stets eine streitbare Demokratin.
Auch als Staatsministerin im Auswärtigen Amt folgte sie ihrem Gewissen und nicht der Parteiraison. Als 1982 Kanzler Schmidt durch ein Misstrauensvotum von FDP und Union gestürzt wurde, machte sie nicht mit.
"Ich kann dem Bundeskanzler nicht mein Misstrauen aussprechen, nachdem ich noch bis vor zwei Wochen mit ihm und seinen Ministern, mit meinen Kollegen, uneingeschränkt loyal und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe."
Kurz vor dem Bundespräsidentenamt
Hildegard Hamm-Brücher wurde von der FDP abgestraft, verlor ihren Posten als Staatsministerin und saß bis 1990 als einfache Abgeordnete im Bundestag. Dann, 1994, trat sie noch einmal auf die politische Bühne, als FDP-Kandidatin für die Wahl des Bundespräsidenten.
"Ich habe das Gefühl gehabt, es ist höchste Zeit, als Frau zu zeigen, dass man durch viel Erfahrung, viel Arbeit, viel Lernen in der Politik fähig ist, so ein Amt auszuüben."
Hamm-Brücker kehrte ihrer Partei den Rücken
Hamm-Brücher zwang Roman Herzog von der CDU in den dritten Wahlgang. Dann wurde sie, aus Gründen der Koalitionsraison, von der FDP-Spitze zum Aufgeben gezwungen. Enttäuscht ging sie zurück nach München und distanzierte sich immer stärker von der FDP, die sich in ihren Augen zu einer reinen Steuersenkungspartei entwickelte. Nach antisemitischen Äußerungen von FDP-Vize Möllemann folgte dann im September 2002 der endgültige Bruch.
Hildegard Hamm-Brücher verließ ihre Partei nach über 50 Jahren Mitgliedschaft. Sie selbst bezeichnete sich danach als "freischaffende Liberale", die auch mal grässlich stur sein konnte. Eine, die sich die Wertschätzung vieler Menschen erworben hatte. Der ehemalige SPD-Chef Hans-Jochen Vogel nannte sie einmal:
"...eine Demokratin nicht nur mit dem Lippenbekenntnis, sondern wirklich mit ihrem Lebensbeispiel, die unmittelbare Bürgerbeteiligung, Zivilcourage, und das alles hat Hildegard Hamm-Brücher weiß Gott ihr Leben lang getan."
Vor fünf Jahren empfahl sie im Deutschlandradio Kultur ihrer Partei eine Neu-Ausrichtung. Die Grünen hätten inzwischen das Freiheitserbe des politischen Liberalismus angetreten haben, sagte sie.
Trauer um die Grande Dame
Bayerns FDP-Chef Albert Duin würdigte Hildegard Hamm-Brücher als Politikerin mit festen Überzeugungen und der Kraft, unbequem zu sein – auch für ihre Partei. "Wir behalten sie als unabhängigen Geist und leidenschaftliche Liberale in Erinnerung", so Duin.