Programmhinweis: Am 30. Mai um 8.05 Uhr sendet Deutschlandfunk Kultur in der Sendung "Kakadu" das preisgekrönte Hörspiel "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" nach dem gleichnamigen Roman von Judith Kerr, eine Produktion von Deutschlandradio Kultur aus dem Jahr 2011. Mit Imogen Kogge, Lotte Arnaszus, Leo Burkhardt, Conny Wolter, Felix von Manteuffel u.a.
Der Erfolg war eine vollkommene Überraschung
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Sie zeichnete für Kinder den schusseligen Kater Mog und schrieb eine Fluchtgeschichte, von der sie dachte: "Wer um alles in der Welt soll das lesen?" Judith Kerr, die berühmte Autorin und Illustratorin, ist im Alter von 95 Jahren in London gestorben.
Großbritannien war für Judith Kerr zur zweiten Heimat geworden, nachdem die Nationalsozialisten sie und ihre Familie 1933 aus ihrer ersten Heimat vertrieben hatten. Da war Kerr erst neun Jahre alt. Doch im Interview mit dem ARD-Studio London vor vier Jahren erinnerte sie sich noch gut an ihre Kindheit im Grunewald in Berlin:
"Die Schule, das Haus, Freunde, Schlittenfahren. Wir hatten nicht furchtbar viel Geld. Abends gingen meine Eltern ins Theater – eine normale Kindheit."
"Normale Kindheit" als Alfred Kerrs Tochter
Ihr Vater war der berühmte Theaterkritiker und Hitler-Gegner Alfred Kerr. Die jüdische Familie flüchtete vor den Nazis über die Schweiz und Frankreich nach Großbritannien. Judith Kerr hätte fast im Zug an der Grenze den Fluchtplan verraten:
"Meine Mutter sagte: 'Also, wenn wir an der Grenze sind, wenn der Mann kommt, die Pässe sich anzuschauen – kein Wort sagen, kein Wort.' Das habe ich auch getan. Aber als der Passinspektor dabei war, herauszugehen, sagte ich: 'Siehst Du, ist doch gar nichts passiert.'"
Die Jahre der Emigration waren für die Eltern schrecklich: Der Vater war oft arbeitslos, die Mutter depressiv. Judith Kerr dagegen empfand dieses aufregende Leben als großes Abenteuer – neue Schulen, neue Sprachen, neue Freunde. Auch in London ging sie weiter ihrer großen Leidenschaft nach: dem Zeichnen. Dieses Talent ihrer Tochter erkannte die Mutter bereits früh, denn obwohl sie Berlin Hals über Kopf verlassen mussten, steckte sie die Kinderzeichnungen ihrer Tochter ein:
"Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass sie also in einer Woche alles packen musste, was man da mitnehmen sollte – und da hat sie meine Bilder mitgenommen."
Kinder inspirierten sie zum Erzählen
Später machte Judith Kerr eine Ausbildung zur Zeichnerin. Mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann, dem Drehbuchautor Thomas Nigel Kneale, hatte sie einen Sohn und eine Tochter – und aus einer Geschichte, die sie den beiden erzählte, wurde 1968 ihr erstes Bilderbuch: "Ein Tiger kommt zum Tee", gefolgt von der bei britischen Kindern beliebten Serie um den schusseligen Kater "Mog".
Es war ihr Sohn Matthew, der danach die Mutter anregte, ihre eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben – nach einem Besuch von "The Sound of Music":
"Und da sagt er: 'Also, jetzt wissen wir endlich genau, wie das war, als Mami ein kleines Mädchen war.' Ich hatte schon daran gedacht, das zu machen – und dachte: 'Ich glaube, ich muss das jetzt wirklich einmal machen.' Und der Verleger war großartig, die sagten: 'Na ja, machen Sie das doch – wir haben gar nichts über diese Zeit.'"
Ihr Fluchtroman verkaufte sich über eine Million Mal
Ihr Roman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" erhielt 1974 den Deutschen Jugendbuchpreis und verkaufte sich bis heute weit über eine Million Mal. Eine Geschichte, die viele Schüler erstmals an die Verbrechen des NS-Regimes heranführte – und ein Erfolg, der die Autorin vollkommen überraschte:
"Ich hatte es fertig geschrieben – und ich dachte dann: 'Ich habe es so gut wie möglich gemacht, also so ehrlich wie möglich beschrieben, wie das war. Aber wer, who on Earth is going to read it?' Das war also eine vollkommene Überraschung."
Deutschland war nicht mehr ihre Heimat
Es folgten die Bücher "Warten, bis der Frieden kommt" und "Eine Art Familientreffen" – und viele Einladungen nach Deutschland, um als Zeitzeugin mit jungen Menschen zu sprechen. Aber es war nicht mehr ihre Heimat:
"Es ist ein fremdes Land für mich. Also, ich bin hier zu Hause. Es ist meine Sprache – und ich liebe sie."
Im Interview mit dem "Guardian" hatte Judith Kerr noch am vergangenen Wochenende nicht etwa von der Angst vor dem Tod gesprochen, sondern allein von der großen Furcht, irgendwann einmal nicht mehr arbeiten zu können.