Nachruf auf Karl Kardinal Lehmann

Ein hartnäckiger Kämpfer und großer Theologe

Kardinal Karl Lehmann unterhält sich am 26.06.2014 im Bischöflichen Ordinariat in Mainz (Rheinland-Pfalz) bei einer Buchpräsentation mit Verlegern und Journalisten.
Karl Kardinal Lehmann (1936 - 2018) bei einem Interview im Bischöflichen Ordinariat in Mainz © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Philipp Gessler |
Er hatte keine Scheu, sich mit der Zentrale in Rom anzulegen: Karl Kardinal Lehmann blieb einer progressiven Lesart des Zweiten Vatikanischen Konzils immer treu. Nun ist der langjährige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz in Mainz gestorben.
Fulda im Herbst 2014: In der Bibliothek der katholischen Fakultät, einem verwinkelten Kunstwerk vergangener Innenarchitektur aus hölzernen Bücherregalen, dunklen Dielen, und kleinen Treppen erläutert Karl Kardinal Lehmann die neueste Initiative der katholischen Kirche Deutschlands. Der Bischof von Mainz, einer der angesehensten Theologen seiner Generation, ist in seinem Element: umgeben vor allem von Büchern, Tausenden von Büchern.

Er liebte Bücher - und war nebenamtlicher Bibliothekar

Lehmann liebte, er lebte Bücher, schon immer. Geboren 1936 in Sigmaringen und aufgewachsen in einem eher kleinen, ländlichen, aber bildungsbürgerlich angehauchten Milieu, wurde der hoch begabte Junge in katholischen Bildungseinrichtungen von Anfang an gefördert. An der römischen Kaderschmiede Germanicum durfte er studieren. Und er war da, klar, nebenamtlich auch als Bibliothekar tätig.
Lehmann wurde Assistent des katholischen Jahrhundert-Theologen Karl Rahner. Rahner war "peritus", also offizieller theologischer Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965.
Die feierliche Abschlusssitzung der dritten Arbeitsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils am 21.11.1964 im Petersdom. Das Konzil, welches zur Öffnung und Erneuerung der Kirche beitragen sollte, endete im Dezember 1965.
Die Abschlusssitzung der dritten Arbeitsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils im Petersdom.© picture alliance / ANSA

Der progressiven Linie immer treu geblieben

Das Herz des jungen Lehmann hing in diesem großen Ringen zwischen den beharrenden und den voran schreitenden Kräften natürlich an den Progressiven:
"Ach, natürlich waren wir für die sogenannten Progressiven, die waren ja alle nicht im späteren Sinne progressiv und so weiter. Wir waren noch eine Einheit, eine relativ einheitliche Front. Ja, wir waren eigentlich überzeugt durch den Schwung auch des Aufbruchs, dass das Konzil einen guten Verlauf nimmt."
Dieser progressiven Linie der Theologie, diesem Konzil blieb Lehmann sein Leben lang treu – bald auch als Professor der Theologie in Mainz und in Freiburg, später dann, 1983, als Bischof von Mainz, eine Karriere und ein Lebensweg, der fast vorgegeben schien. Lehmann entwickelte sich dabei immer mehr zum hartnäckigen Verteidiger der liberalen Errungenschaften des Konzils - gegen einen Zeitgeist in der Kirche, der unter Papst Johannes Paul II und seinem Präfekten der Glaubenskongregation, Joseph Ratzinger, immer konservativer wurde.

Über 20 Jahre an der Spitze der Bischofskonferenz

Etwas überraschend wurde Lehmann 1987, damals "nur" Bischof des kleinen Bistums Mainz, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz – und blieb es 21 Jahre, was selbst für katholische Verhältnisse eine lange Zeit ist. Lehmann hätte wohl die Führungsaufgabe noch länger geschultert, wenn nicht seine schwächer werdende Gesundheit 2008 einen Rücktritt erzwungen hätte.
Dabei hatte Lehmann hatte nie Scheu, sich auch mit der römischen Zentrale anzulegen. In die Annalen ging Lehmanns Kampf für den Verbleib der deutschen katholischen Kirche im staatlichen System der Schwangerenkonfliktberatung ein. Es war ein hartes Ringen, meist hinter den Kulissen – aber am Ende musste Lehmann sich fügen: aus Loyalität zu Rom, aus Sorge auch um die Einheit der Kirche in Deutschland.
Kardinal Karl Lehmann an seinem 80. Geburtstag
Karl Kardinal Lehmann an seinem 80. Geburtstag© imago stock&people

Zeit seines Lebens ein Kämpfer

Lehmann war Zeit seines Lebens ein Kämpfer, ein Mann mit dem Herzen eines Boxers. Meist versuchte er auszubügeln, was in Rom zerknittert wurde. Als die Ökumene durch das von Ratzinger in Rom unterschriebene Lehrschreiben "Dominus Iesus" aus dem Jahr 2000 schwer geschädigt wurde, tat ihm das weh. Das Schreiben sprach den protestantischen Kirchen schlicht das Kirche-Sein ab.
Auch hier reiste Lehmann wieder nach Rom, um Schlimmeres zu verhindern.
"Ich habe darüber mal in der Bischofskonferenz ein Referat gehalten. Dann hat man mich von Rom aus getadelt. Ich habe mich dann sehr gewehrt vor der Glaubenskongregation in Rom, habe gesagt: 'Ich habe so viel zitiert an Konzilstexten und Interpretationen dazu, ich lasse mir da nicht einfach das Maul zubinden.'"

Fast peinlich späte Ernennung zum Kardinal

Diese Renitenz, diese Verteidigung einer liberalen Lesart des Konzils, einer Kirche, die sich der Welt öffnet, wurde lange Jahre in Rom so wenig geschätzt, dass es schon peinlich lang dauerte, bis zum Jahr 2001, bis Lehmann endlich zum Kardinal erhoben wurde, was ihm qua seiner Stellung und seines theologischen Renommees eigentlich schon lange hätte zugestanden werden müssen.
Nach dem Rücktritt Lehmanns vom Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz wurde es stiller um ihn, Krankheiten und die Gebrechlichkeit des Alters plagten ihn. Der neue Papst gab Lehmann aber neuen Auftrieb. Er kam noch einmal zurück auf die Bühne der Weltkirche, trommelte für Jorge Mario Bergoglio auf dem Konklave. Und er blieb auch unter seinem Nach-Nachfolger Reinhard Marx an der Spitze der deutschen Bischofskonferenz noch der große Theologe unter den deutschen Oberhirten.
Lehmann überragte die Mehrheit seiner Amtsbrüder noch lange. Nun ist Karl Kardinal Lehmann gestorben. Man wird eines Tages Straßen, Schulen und Plätze nach ihm benennen. Bestimmt auch die ein oder andere Bibliothek – und wahrscheinlich wird er sich darüber, mutmaßlich von oben herab blickend, am meisten freuen.
Mehr zum Thema