Nachruf auf Manoel de Oliveira

"Ich drehe Filme über die Seelen"

Der portugiesische Filmregisseur Manoel de Oliveira im Jahr 2010 auf dem Filmfest in Cannes
Manoel de Oliveira (1908-2015) beim Filmfestival in Cannes im Jahr 2010 © dpa / Ian Langsdon
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 02.04.2015
Portugal trauert um Manoel de Oliveira. Der Regisseur starb am Donnerstag im Alter von 106 Jahren. De Oliveira galt als der älteste noch aktive Filmregisseur weltweit und der einzige, der seine Karriere zur Zeit des Stummfilms begonnen hatte.
"Ten cien (...) Ich bin über 100, das gibt einem viele Möglichkeitem. Heute mit hundert Jahren mache ich mehr Filme, als ich mit 50 oder 60 Jahren machen konnte. Aber das ist nicht mein Verdienst. Das ist eine Laune der Natur, die mir das hat zuteil werden lassen, so wenig wie man weiß, warum der Eine glücklich und der Andere unglücklich ist, so bin ich eben so alt geworden. Was meine Filme betrifft, die guten und die schlechten, dafür bin ich verantwortlich, nicht dafür, dass ich hundert Jahre alt geworden bin. Aber mir gefällt das zu machen, was ich mache."
Noch im hohen Alter war er bemerkenswert eloquent. Der älteste aktive Regisseur der Filmgeschichte ging bis zum letzten Moment seiner größten Leidenschaft nach: Dem Filmemachen. In den fast 50 Filmen Manoel de Oliveiras spiegelt sich auch die Filmgeschichte als Ganzes wider. Er erlebte fast alle technischen Umbrüche, vom Stumm- zum Tonfilm, vom Schwarz-Weiß- zum Farbfilm und von analogen zum digitalen Aufnahmetechniken.
Manoel de Oliveira wurde am 8. Dezember 1908 im nordportugiesischen Porto als Sohn einer großbürgerlichen Familie geboren und lebte in seiner Jugend das sorglose Leben eines reichen Sohns aus gutem Haus, sportlich, den modernen Vergnügen zugewandt und wurde sogar Rennfahrer.
Seinen ersten Film realierte er 1931. "Douro, faina fluvial", ein Dokumentarfilm über den Douro-Fluss der in seiner Heimatstadt Porto ins Meer mündet. Dieser erste Film war ganz stark von der Avantgarde seiner Zeit geprägt. Für den Filmkritiker Dario Oliveira aus Porto die interessanteste Zeit des Filmemachers:
"Oliveira a su inicio era mucho más formalista, mucho mas experimental (...) Oliveira war in seinen ersten Filmen ganz experimentell, sprengte den formellen Rahmen. Für mich ist sein erster Film sein beeindruckendster, er ist innovativ und bahnbrechend, orientiert sich an Walter Ruttmanns "Sinfonie einer Großstadt" und an Dziga Vertovs "Der Mann mit der Kamera". Der Film wirkt heute nach all den Jahren immer noch modern und neu."
Konflikt mit dem Salazar-Regime
Die Experimentierfreudigkeit und der doppelbödige Realismus seines ersten Films mißfielen dem faschistischen Salazar-Regime, denn hinter der rhythmisch montierten ethnographischen Oberfläche zeigte Oliveira auch die bittere Armut und die sozialen Gegensätze des Landes.
Auch sein erster Tonfilm "Aniki Bóbó" von 1942 zeigt die soziale Wirklichkeit Portugals. Fast noch mit Stummfilmbildern nimmt er bereits den Neorealismus vorweg, in dieser Geschichte verarmter Kinder, die er mit Laiendarstellern und Kindern inszenierte. Der Film wurde ein absoluter Mißerfolg und bis zum Ende der Diktatur, durch die Nelkenrevolution 1974 konnte Oliveira nur einzelne Dokumentationen und drei Spielfilme fertigstellen. Der Kampf um die Finanzierung war eine Konstante im Werk Manoel de Oliveiras, sagt sein Enkel, der Schauspieler Ricardo Trêpa, der in einigen seiner letzten Filme mitspielte:
"Su vida es una lucha (...) Sein Leben war ein ständiger Kampf, er kämpfte mit den Widrigkeiten unter dem Salazar-Regime, mehr als 20 Jahre konnte er überhaupt nicht filmen, aber er hat sich nie von seinen Vorhaben abbringen lassen, die Filme zu drehen, die er wirklich drehen wollte. Er ist ein Kämpfer, der bis zu seinem letzten Moment immer alles für seine Filme gegeben hat."
Filme mit Mastroianni, Deneuve, Piccoli und Malkovich
Seit den 1970er Jahre wurden prominent besetzte Autorenfilme sein Markenzeichen, unter anderem mit Marcello Mastroianni, Catherine Deneuve, John Malkowich und Michel Piccoli. 1978, als 79jähriger, hatte er sein Debüt auf der Berlinale mit der vierstündigen Romanverfilmung "Amor de Perdiçao" (Verhängnisvolle Liebe). Seit 1990, also schon über 80 alt, drehte er jedes Jahr einen Film, sparsam und mit verhältnismäßig geringem Etat produziert wurden.
Das Werk Manoel de Oliveiras war ganz eng mit der portugiesischen Literatur verknüpft, mit literarischen Vorlagen, deren Duktus er oft bewusst altmodisch in die Gegenwart verlegte: mit langen Einstellungen und Dialogen und wenigen Schnitten. Der eigentümlich antiquierte und doch poetische Stil hatte seine ganz eigene Magie, seine Filme begeisterten weltweit die Filmkritiker, der große Publikumserfolg blieb ihnen allerdings nicht nur in Portugal versagt.
Die Mischung aus altmodischem Duktus und stilistischer Originalität charakterisierte den Filmemacher auch als Person: Manoel de Oliveira war ein Mann mit trockenem Humor und festen Gewohnheiten. Ein Mann mit einem Hut, einem Stock und konservativ geschnittenen Anzügen, wie aus einer anderen Zeit entlehnt. Immer konzentriert, mit einem gleichermaßen freundlichen, durchdringenden und aufmerksamen Blick, hat Manoel de Oliveira die portugiesische Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg porträtiert - auf seine ganz eigene Weise:
"Manoel filma (...) Man hat mir vorgeworfen, Manoel filmt immer die Reichen. Da habe ich gesagt, nein, ich drehe keinen Film über die Reichen, sondern über die Seelen und die Seelen sind in den Reichen und in den Armen. Ich sehe nicht das Geld, sondern die Einstellung meiner Protagonisten."

Über das Leben und Werk des Regisseurs Manoel de Oliveira spricht Christine Watty in "Fazit" um 23.20 Uhr mit Ulrich Gregor, der lange Zeit das Forum der Berlinale geleitet hat.

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