Zum Tod von Hans Neuenfels

Der Theaterberserker

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Regisseur Hans Neuenfels sitzt am 04.06.2015 nach einem Interview zu seiner Inszenierung von "Ariadne auf Naxos" in der Staatsoper im Schillertheater in einer roten Sitzreihe im Zuschauerraum.
Regisseur Hans Neuenfels starb im Alter von 80 Jahren. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Sven Ricklefs |
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Der Theater- und Opernregisseur Hans Neuenfels ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Neuenfels war ein streitbarer Theatermacher, einige seiner Bearbeitungen gerieten zu veritablen Skandalen, seine „Idomeneo“-Version wurde sogar abgesetzt.
„Ich bin neun und neugierig und heiße Neuenfels.“
Wer das als Kind in sein Tagebuch schreibt, darf mit Recht annehmen, dass aus ihm etwas Außergewöhnliches wird. Der Außergewöhnliche und Eigenwillige will aber auch von Beginn an der Außenseiter sein. Seine Autobiografie nannte Hans Neuenfels denn auch konsequent „Das Bastardbuch“. Der Bastard als Hure und als Köter: Begriffe aus dem Demütigungsrepertoire.
„Richtig, das hat auch etwas mit dem Satz zu tun ‚Die Komödianten kommen, hängt die Wäsche weg!'. Das hat mit dem Versuch zu tun, gesellschaftlich sich abzugrenzen, bewusst abzugrenzen, also das ist kein lustvolles Empfinden, sondern das ist ein gepacktes Empfinden, um die Skepsis zur Gesellschaft aufrecht zu erhalten, um nicht in die Jedermann-Sauberkeit zu geraten.“

Provokante Interpretationen

Dass das nicht einfach war, erfuhr Hans Neuenfels über die Jahrzehnte immer wieder. Seit Mitte der 1960er-Jahre erarbeitete er ungefähr 150 Inszenierungen in Schauspiel und Oper, erst oftmals heftig bekämpft, dann bejubelt. Geschehen etwa beim Bayreuther „Lohengrin“, in dem die Edlen von Brabant als ein Chor gleichgeschalteter Laborratten dem König „Männchen machend“ ihre Aufwartung machten. Wieder eine dieser ebenso provokanten wie aus dem Werk herausgehorchten Interpretationen.

Der Dramaturg, Intendant und ehemalige Präsident des Bühnenvereins, Klaus Zehelein, erinnert sich an Hans Neuenfels als einen leidenschaftlich Suchenden . Zehelein arbeitete viele Jahre mit Neuenfels zusammen, auch bei der legendären Aida-Aufführung in Frankfurt am Main 1981: "Die Überschrift 'Aida als Putzfrau' habe ich gerne gelesen." Diese habe genau den Punkt getroffen und den tiefen Grund der Welttragödie offenbart.

Klaus Zehelein, ehemaliger Intendant der Oper Stuttgart, sitzt mit Brille, weißen Haaren und schwarzem Hemd im Grünen..
© picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Nie ging es Hans Neuenfels in der Oper darum, einfach eine von der Musik getragene Geschichte zu erzählen. Die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe auf der Folie der Gegenwart zu zeigen, das war das Prinzip seines Musiktheaters.

Schmerzhafte Erkenntnis

Der Schmerz der Erkenntnis, den er dabei produzieren wollte, wurde immer erst als pure Provokation empfunden, um dann verstanden zu werden. Der späte Jubel barg dabei aber die Gefahr, sich in der immer auch ersehnten Umarmung der Gesellschaft zu verlieren, ihrem trügerischen Schutz auf den Leim zu gehen.
Doch Neuenfels behielt die Disziplin des Bastards, der zwar gelegentlich nach Brosamen schnappt, sich aber dann immer wieder trollt und Abstand hält. Das begann schon früh in den 1960er-Jahren, nach den ersten Versuchen als Dichter, nach dem Jahr als 20-Jähriger in Paris, als Assistent und Sekretär des 50 Jahre älteren Surrealisten Max Ernst, nach dem Studium der Theaterregie in Essen und Wien.
Krefeld und Heidelberg, Frankfurt am Main mit seinem Mitbestimmungsmodell, das sind die ersten Stationen des Regisseurs, der geprägt war durch den Geist seiner Generation, derjenigen der 68er.

Der Wille zur Aufklärung

Bis ins hohe Alter behielt Hans Neuenfels dabei diesen unbedingten Willen, alles politisch interpretieren zu müssen und den Willen zur Aufklärung. Weggefährtin dabei: die österreichische Schauspielerin Elisabeth Trissenaar, die professionelle Partnerin war auf der Bühne in mehr als 60 Produktionen, und die zugleich der Lebensmensch war von Hans Neuenfels, eine unglaubliche Spanne von über 50 Jahren:
„Wir teilen erst mal unser Vertrauen, also unsere Hingabe, auch die Blößen, auch die Leere, auch das Entsetzen übereinander, also die Ausschließlichkeit von Erfahrungen, seien sie disparat, seien sie gemeinsam, auch die Freude darüber. Und dann natürlich noch die Form vom Täglichen bis zum Abenteuerlichen, uns auf etwas hinzuweisen, was wir vielleicht allein gar nicht aushalten würden.“
Daraus, dass er ein Suchtmensch war, machte der Regisseur keinen Hehl und bezeichnete sich selbst als süchtig nach Körpern, nach Lyrik, nach Anerkennung, aber auch nach Alkohol oder Zigaretten.
Nur so konnte er wohl auch die heftigen Reaktionen aushalten, die er auslöste, etwa mit seiner Interpretation von Verdis „Aida“ als Putzfrau in Frankfurt 1980. Dabei hatte Neuenfels die Situation der nubischen Prinzessin als Geisel und Sklavin am ägyptischen Hof einfach nur in eine zeitgemäße Chiffre übersetzt. Es wurde der größte Opernskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Inszenierung abgesetzt

Fast ebenso skandalös empfand es ein Teil des Publikums, als er im Jahr 2000 Verdis „Nabucco“ in den Kontext des Holocaust setzte. Und als er später in Mozarts „Idomeneo“ ebenfalls an der Deutschen Oper Berlin die Häupter von Christus, Buddha, Poseidon und Mohammed abschlagen ließ, um in einem Epilog zu zeigen, dass hier keine Autorität mehr akzeptiert werden würde, da wurde die Inszenierung aus Angst vor islamistischen Anschlägen gleich ganz abgesetzt.
Da galt es dann, einen weiteren Gegensatz auszuhalten: Wird doch das deutsche Stadt- und Staatstheatersystem von jener bürgerlichen Gesellschaft subventioniert und am Leben gehalten, deren Verlogenheit Neuenfels zugleich immer bekämpfte: 
„Diesen Apparat hat die Gesellschaft installiert und in diesem Apparat arbeite ich, aber ich bediene ihn nicht, sondern ich bediente ihn höchstens in dem Sinne, in dem ich versuche, mit all meiner möglichen Besessenheit nach Aufklärung und labyrinthischem Durchforsten mich gegen eine feiste abgesicherte Bedrohung, die die Gesellschaft oft bietet, oder gegen eine schnelllebige gelenke Form durchzusetzen.“
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