Achtsamkeit ist wie das Licht einer Lampe, die wir auf das richten, was da ist, sodass wir verstehen können und damit eins werden.
Zum Tod von Thich Nhat Hanh
Vermittler eines modernen Buddhismus: Thich Nhat Hanh (1926 – 2022). © imago / Hans Lucas / Mazalrey
Botschafter buddhistischer Weisheit
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Er war Meditationslehrer, Poet und Friedensaktivist. Der buddhistische Zen-Mönch Thich Nhat Hanh hatte auch im Westen viele Millionen Anhänger. Nun ist er in einem vietnamesischen Kloster im Alter von 95 Jahren gestorben.
Menschen wie er wirken auf viele anziehend mit ihrer Ruhe und erschrecken mit ihrer Konsequenz auf der Suche nach dem Weg, den fast jeder sucht und kaum jemand findet. Dabei war die Essenz seiner Lehre denkbar einfach.
Versöhnung von Körper und Geist
„In unserem Alltag ist es meistens so, dass der Körper in die eine Richtung geht und der Geist in eine andere", sagte Thich Nhat Hanh, dieser kleine Mann mit dem stillen Lächeln im Gesicht. "Und wenn Körper und Geist nicht zusammen sind, bist Du nicht wirklich da. Das Leben ist schwierig, ja unmöglich ohne die Einheit von Körper und Geist. Doch es gibt eine Art Energie, die Körper und Geist zusammenbringen kann und dabei Heilung und Veränderung bewirkt. Buddha nannte diese Energie 'Achtsamkeit'. Es ist die Fähigkeit, sich dessen bewusst zu sein, was ist."
Thich Nhat Hanh war einer der wichtigsten Botschafter fernöstlicher Weisheit. Der vietnamesische Mönch war Meditationslehrer, Philosoph, Poet und Friedensaktivist. Auf esoterischen Modewellen ritt er nicht, auch zu missionieren war ihm fremd. „Ich bin nicht hier, um euch Ideen zu verkaufen, Konzepte über Buddhismus und Achtsamkeit", betonte Thich Nhat Hanh, "meine Absicht besteht darin, Euch zu helfen, diese wundervolle Energie namens Achtsamkeit in Euch zu berühren."
Rezepte habe er keine dafür, im Gegenteil: "Wenn ihr eine Idee von der 'wahren Praxis' buddhistischer Meditation habt, dann seid ihr in Konzepten gefangen, an denen man möglicherweise lange leidet.“
Meditationszentren in aller Welt
Wer sich dafür entschieden hatte, mit dem Mönch aus Indochina den Pfad der Achtsamkeit zu gehen, der fing ganz klein an – und nur bei sich selbst. Ob bei einer Meditationswoche in den über die Welt verteilten Zentren, ob in "Plum Village", der Zen-Gemeinschaft Thich Nhat Hanhs südlich von Bordeaux, oder irgendwo anders auf der der Welt. Eine Begegnung mit ihm wurde für viele zu einem unvergesslichen Erlebnis, erzählt der Religionswissenschaftler Michael von Brück, evangelischer Theologe und selbst Zen-Meister:
„Es war eine unglaubliche Atmosphäre, draußen Gedränge und Lärm, weil man hineinkommen wollte in diese überfüllte Kirche. Drinnen dann, als er auftrat eine unglaubliche Stille. Es war eine Wärme in dem großen Raum, die unbeschreiblich ist. Er hatte eine solche Ausstrahlung. Als ich dann Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, wurde mir warm ums Herz.“
Buddhismus für moderne Zeiten
Als Thich Nhat Hanh 1942 zum Mönch geweiht wird, ist sein Land Vietnam besetzt und wie ganz Indochina französische Kolonie. Während überall der Zweite Weltkrieg tobt und die japanischen Truppen neben Vietnam auch halb Asien überrennen, lässt sich der Jugendliche in die strenge Praxis des Zen-Buddhismus einweisen. 1950, der Krieg ist vorüber und die Franzosen sind wieder im Land, als wäre nichts geschehen, gehört Thich Nhat Hanh zu den Gründern eines buddhistischen Instituts, das in der Zeit des Wandels nach neuen Wegen sucht.
„Ich hatte die Absicht, den Buddhismus zu erneuern, auf dass er in die modernen Zeiten passt“, sagte er. „Weil unser Land in einer Situation war, die nach Veränderung rief, waren wir begeistert von der Idee, dass ein aktualisierter Buddhismus dabei helfen könnte, das Land und die Gesellschaft zu verändern. So war schon sehr bald die Idee eines engagierten Buddhismus in unseren Herzen und Köpfen geboren. Und während wir noch den konventionellen Buddhismus lehrten, wurde uns klar, dass Buddha uns eine Menge Antworten geben konnte für die Fragen der Zeit, zum Krieg und zu den sozialen Ungerechtigkeiten.“
Von Nord- und Südvietnam angefeindet
Während sich die Welt und auch Vietnam in zwei Lager aufteilt und die Guerillas aus dem Norden mit chinesischer Hilfe und Waffengewalt gegen die französische Kolonialmacht vorgehen, entsteht unter der Führung Thich Nhat Hanhs als dritter Weg, halb im Untergrund, ein spirituelles Gegenmodell. Mit seinen Vorschlägen zu Friedensgesprächen zwischen Nord und Süd, einem Bildungswesen nach buddhistischer Ethik und seinen tiefgehenden Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit setzt sich Thich Nhat Hanh zwischen alle Stühle.
Von Nord und Süd wird er angefeindet und verliert zunächst die Unterstützung des alten buddhistischen Klerus. Als die lokalen Medien begeistert über buddhistische Schulgründungen, Bodenreformen und ein funktionierendes Gesundheitswesen berichten, beginnen die Überfälle der Ideologen von links und rechts. Mönche werden erschossen, Sozialarbeiter in die Luft gesprengt. Thich Nhat Hanh selbst überlebt.
Engagement für soziale Gerechtigkeit
„Engagierter Buddhismus“ wurde diese aktive Spiritualität genannt, erklärt der Religionswissenschaftler von Brück: „Unter engagiertem Buddhismus versteht man eine lose Gruppe von Buddhisten, die sich weltweit für den Frieden, für Verständigung zwischen den Religionen, für soziale Gerechtigkeit in den einzelnen Ländern und natürlich auch für eine ökologische Erneuerung der Welt engagieren, damit Religionen Teil der Lösung werden und nicht Teil des Problems sind.“
Während der Vietnamkrieg eskaliert, entschließt sich Thich Nhat Hanh, auf eigene Faust in die USA zu reisen, um dort vom Elend in seiner Heimat zu berichten. Die Gespräche mit Regierungsvertretern bewegen wenig, doch die US-amerikanische Friedensbewegung erhält durch ihn starken Zulauf. Nobelpreisträger Martin Luther King ist von der sanften Kraft des Mönchs so beeindruckt, dass er ihn persönlich für den Friedenspreis nominiert. Doch für Thich Nhat Hanh bedeutet diese Reise den Abschied von der Heimat. Weder Nord- noch Südvietnam lässt den gewaltlosen Weisen zurückreisen.
Vordenker eines ökologischen Weltbilds
Im Süden von Frankreich gründet er eine klösterliche Gemeinschaft, die Jahr für Jahr mehr Menschen aus aller Welt anzieht. Thich Nhat Hanh wird zum Vordenker eines sich entwickelnden ökologischen Weltbildes. Seinen Schülern gilt der dichtende Mönch aus Indochina als Maßstab für das, was Achtsamkeit in einer krisenhaften Welt heißt, sagt der Religionswissenschaftler von Brück:
„Er ist nicht nur Vordenker, sondern ein Vorlebender für viele Millionen Menschen geworden und damit Leitbild für die notwendigen Transformationen der Menschheit in der gegenwärtigen Welt. Eine Transformation des Herzens, die die Voraussetzung dafür ist, dass wir die großen Krisen, die sozialen Krisen und vor allem auch die ökologische Krise der Menschheit bewältigen und meistern können.“
Nach 50 Jahren Exil zurück in Vietnam
Im Alter von 88 Jahren zwang eine schwere Gehirnblutung den vietnamesischen Weisen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Er konnte nicht mehr sprechen und verbrachte die letzten Jahre im Schweigen. 2018 entschied er sich, in seine Heimat zurückzukehren, und wurde nach fast 50 Jahren Exil als „große Seele“ von Hunderttausenden begrüßt.
Im Tu-Hieu-Tempel, wo er 1942 zum Mönch ordiniert worden war, praktizierte er in seinen letzten Lebensjahren die stille Achtsamkeit des Ein- und Ausatmens. Bis auf das Ausatmen kein Einatmen mehr folgte.