Es geht immer noch weiter. Die äußerste Spitze macht immer noch etwas, was noch schwerer ist.
Bergsteigen 2021
Der Bergsteiger Sona Sherpa auf dem Gipfel des K2 im Himalaya-Gebirge © picture alliance / Associated Press
Der schmale Grat zwischen Triumph und Tragödie
23:39 Minuten
2021 war ein besonderes Bergjahr: Der K2 wurde von zehn Alpinisten aus Nepal als letzter Achttausender erstmals im Winter bezwungen. Andere Bergsteiger stürzten dort ab. Was treibt sie an, sich unter extremen Bedingungen in Lebensgefahr zu begeben?
Reinhold Messner hat das Bergsteigen einmal mit dem Mythos des Sisyphus verglichen. Dieser hatte, so die griechische Sage, die Götter verärgert und musste zur Strafe einen riesigen Steinbrocken den Berg hinaufrollen. Da ihm der Stein immer wieder entglitt, musste er immer wieder von vorn anfangen. Nach Reinhold Messners Interpretation verzweifelt der wahre Sisyphus nicht nur an der wiederholten Anstrengung, sondern gleichzeitig am Nie-oben-sein-Können sowie am Nie-unten-sein-Können.
Im Alpinismus kennt man das geflügelte Wort, dass es so viele Wahrheiten am Berg gibt wie Teilnehmer einer Expedition. Dieser Spruch gilt auch für das Jahr 2021. Trotz Corona und entsprechender Reiseeinschränkungen war es ein außergewöhnliches Jahr.
„Heuer ist ein Schlüsseljahr für die Bergsteigerei, da gibt’s keinen Zweifel“, sagt Reinhold Messner. „Klettern wurde olympisch. Dann haben wir noch den K2 im Winter, den letzten Achttausender, damit ist das Winterbergsteigen an den Achttausendern mehr oder weniger vorbei.“
„Ich habe viel zu viel die Kälte gespürt, weil ich noch nicht akklimatisiert war. Für mich war klar: Ich kann nicht, sonst riskiere ich echt mein Leben“, erzählt Tamara Lunger.
„In der Höhe ist man einfach langsam“, sagt Hanspeter Eisendle. „Die Kälte im Winter ist groß, die Stürme sind stark, und dass jemand umkommt, und die anderen machen eine Weltsensation, ist Teil vom Ganzen.“
Der Paukenschlag der Nepalesen
Was die Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner, Tamara Lunger und Hanspeter Eisendle beschreiben, war ein Paukenschlag im Höhenbergsteigen: Am 16. Januar gelang einem Team von zehn Alpinisten aus Nepal die Winterbesteigung des K2. Er ist mit 8611 Metern der zweithöchste Berg der Welt und war als einziger Achttausender bisher im Winter noch nicht bestiegen worden. Es kam einer Sensation gleich, dass der wohl schwierigste Achttausender im Winter von Sherpas erklommen wurde, also jenen, die sonst Bergsteigern bei ihren Touren helfen.
„Das war Nirmal Purja, der mit seinen Sherpas das bravourös gelöst hat“, sagt Messner. „Damit haben diese Burschen gezeigt, dass sie mindestens in dem Alpinismus, der zwischen Tourismus und Alpinismus funktioniert, weil sie ja auch davon leben müssen, führend geworden sind.“
Wer ist dieser Nirmal Purja, der die Nepalesen zum Erfolg geführt hat? Auf alle Fälle ein Ausnahmebergsteiger. 2019 hatte er in seiner „Mission Possible“ alle 14 Achttausender in 189 Tagen geschafft – zwar mit allen Hilfsmitteln wie Hubschrauberflügen zum Basislager und Sauerstoffflaschen beim Aufstieg. Aber bis dahin galt diese Leistung als beinahe unvorstellbar. Kein Europäer hatte dies vorher je versucht.
Das Höhenlager war zerstört
Kurz vor dem Gipfelerfolg am K2 im Januar 2021 hatte es so ausgesehen, als ob die Nepalesen und die internationalen Teams, die sich ebenfalls Chancen auf die erfolgreiche Wintererstbesteigung ausgerechnet hatten, unverrichteter Dinge wieder abreisen müssten. Höhenstürme hatten das Hochlager zerstört. Die Ausrüstungsgegenstände – Liegematten, Schlafsäcke, Kocher und beheizbare Einlegesohlen für die Schuhe – waren in alle Richtungen zerstreut. Die Nepalesen wagten sich bei Temperaturen um minus 40 Grad dennoch bis zum höchsten Punkt.
„Die sind bei einem Sturm vom letzten Lager aus in Eigenregie auf den Gipfel gestiegen“, erzählt Messner. „Diejenigen, die versucht haben, auf ihren Spuren nachfolgend den Gipfel zu erreichen, sind alle umgekommen, also ist es auch noch dramatisch. Damit haben sie eine besondere Rolle.“
Messner zollt der zehnköpfigen Mannschaft um Nirmal Purja hohen Respekt. Purja, der ehemalige Soldat der Gurkha, einer Art Elitetruppe der britischen Armee, gilt als Kopf des Gipfelteams.
„Da hat einer gezeigt, dass er die Gabe hat, etwas zu wagen“, findet Messner. „Wenn er gescheitert wäre, hätte er wirtschaftlich einen großen Nachteil gehabt, weil er auf seine Pension als Gurkha verzichtet hätte. Er kam, sah und siegte. Damit hat er bewiesen, dass er das machen kann, was wir in unserem Verwöhntsein, in unseren Ansprüchen, dass alles vorbereitet ist, nicht machen können.“
Zwar ist die Rolle von Nirmal Purja nach Medienberichten nicht unumstritten – angezweifelt wird zum Beispiel, ob er das Team tatsächlich ganz ohne Flaschensauerstoff angeführt hat und damit schneller war als die anderen Expeditionsmitglieder, die mit Sauerstoffunterstützung unterwegs waren. Aber die Anerkennung überwiegt.
Schon viele sind im Winter gescheitert
„Es ist zweifelsohne eine riesige Leistung“, sagt der Südtiroler Bergführer und Extremkletterer Hanspeter Eisendle. „Historisch ist das einmalig, dass sich Sherpas zu einer selbstständigen Gruppe zusammenschließen und so einen großartigen Versuch machen, der auch gelingt. Am K2 sind im Winter schon ganz viele gescheitert.“
Wie schmal beim Höhenbergsteigen der Grat zwischen Triumph und Tragödie ist, zeigte sich am 16. Januar. Auf der einen Seite schaffte die nepalesische Mannschaft den Gipfel des K2 und wähnte sich im Freudentaumel. Auf der anderen Seite stürzte der 49-jährige Spanier Sergi Mingote, ein sehr erfahrener Achttausenderexperte, beim Abstieg von Lager 1 tödlich ab.
Die Südtirolerin Tamara Lunger, die sich ebenfalls auf den Aufstieg vorbereitete, war zu dieser Zeit im vorgeschobenen Basislager. Sie berichtete am Telefon: „Ich schau rauf in die Flanke, habe ein Schreien gehört und sehe etwas runterfallen. Ich dachte gleich: Das ist eine Person. Wir sind dann gleich hin, weil er nur 40 Meter neben uns zu liegen gekommen ist. Wir haben seine letzten 75 Minuten begleitet, dann ist er leider gestorben.“
Lunger versuchte noch, einen Hubschrauber der pakistanischen Armee zu organisieren, um den verletzten Spanier in ein Krankenhaus bringen zu lassen. Vergeblich. Er erlag seinen schweren Kopfverletzungen.
Die Südtirolerin entschied sich trotz allem fürs Bleiben: „Was ich nie gekonnt habe, war vom Basislager abhauen. Ich habe noch dableiben müssen. Jedenfalls die Emotionen leben, es war schwierig, viele Tränen, tiefgründige Gespräche.“
Minus 45 Grad im Zelt
Einen Achttausender im Winter zu besteigen, heißt leiden. Den K2 als einen der anspruchsvollsten anzupacken, bedeutet extrem viel leiden. Die Flanken sind äußerst steil, die Verhältnisse schwierig.
„Im Basislager haben wir immer um minus 30, minus 35 Grad gehabt, im Lager eins hat es minus 45 Grad im Zelt gehabt.“ Kein Wunder, dass Tamara Lunger spürt, wie die Kälte in ihren Körper kriecht und ihre Zehen angreift. Sie tut sich mit dem Chilenen Juan Pablo Mohr zusammen, schleppt sich bis ins Lager 3 auf 7350 Metern, aber dort ist Schluss für sie.
„Ich habe mich sehr schwergetan. Vom Essen her, es ist mir richtig schlecht gegangen. Durchfall und so weiter. Ich habe Stress gekriegt: Ich muss jetzt so schnell wie möglich wieder Kraft kriegen und ready sein für den Gipfel. Aber schon beim Aufstieg habe ich gemerkt: Das ist nicht mein Turn.“
Während Tamara Lunger absteigt, starten vier weitere Alpinisten, darunter Juan Pablo Mohr und Ali Sadpara, auf dem die pakistanischen Hoffnungen ruhen, zum Gipfel. Einer dreht um, die drei anderen kehren nicht mehr zurück.
Ralf Dujmovits, der erfolgreichste deutsche Höhenbergsteiger, der auf allen 14 Achttausendern stand, dämpfte alle Hoffnungen auf eine mögliche Rückkehr der Verschollenen.
Bei optimaler Akklimatisation kann man oberhalb von 7500 Meter vielleicht vier, maximal fünf Tage überleben.
"Einfach schon wegen des Sauerstoffentzugs", erklärt Dujmovits. "Es kommt jetzt noch die enorme Kälte hinzu. 40 Grad minus oder je nach Exposition auch noch kälter. Aber was ich als noch größeres Problem ansehe, ist, dass wir normalerweise auf enorme Flüssigkeitszufuhr angewiesen sind, um funktionieren zu können. Dazu braucht es einen Kocher und ausreichend Gas. Das stand allen drei nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Das heißt, ich gehe nicht davon aus, dass die drei nach so langer Zeit noch am Leben sein können.“
Ein halbes Jahr später fand der Sohn des pakistanischen Extrembergsteigers die Leichen seines Vaters und der beiden Seilgefährten aus Chile und Island.
„Ich bin sicher, dass sie es auf den Gipfel geschafft haben“, sagt Lunger. „Aber leider zu spät. Einfach zu viele Stunden in dieser Kälte, nachher sind sie beim Abseilen aus Erschöpfung gestorben.“
Die 34-jährige Südtirolerin kehrt dem K2 den Rücken; ihre Expedition begann als Traum und endete als Albtraum. Sie war gezeichnet von den Ereignissen, die sie auch Monate danach noch nicht ganz verarbeitet hat.
„Ich habe Filmrisse gehabt, das ist vom Schock, dass man gewisse Sachen verdrängt. Wenn ich vom Berg abgestiegen bin, habe ich sofort gesagt: Also ich probiere es nicht noch mal. Das wird für mich mein letzter Achttausender im Winter sein.“
Ansturm auf den "letzten Achttausender"
Extremkletterer Thomas Huber aus dem Berchtesgadener Land, der Pakistan von seinen Expeditionen her kennt, hatte ein ungutes Gefühl, als sich im vergangenen Januar der Wettlauf am K2 anbahnte: „Dieser Grat in den hohen Bergen ist extrem schmal. Man muss immer in jedem Moment die richtige Entscheidung treffen. Mit bangen Augen habe ich auf den K2, den letzten Achttausender geblickt, das letzte große Ziel. Da stehen jetzt so viele in der Pipeline. Jeder möchte das erreichen. Da geht man teilweise über seine Grenzen hinaus.“
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich beim Höhenbergsteigen viel verändert. Denn es hat einen Ansturm auf die Achttausender gegeben – von den Einschränkungen und coronabedingten Pausen abgesehen.
„Zu meiner Zeit war die Zahl 8000 Garant für Spitzenleistungen, mittlerweile kann der Mann auf der Straße nicht mehr unterscheiden zwischen dem Touristen und dem absoluten Spitzenalpinisten“, erklärt Bergexperte Eisendle. Der wirkliche Spitzenalpinismus hat sich seiner Meinung nach von den höchsten Gipfeln der Erde wegbewegt: „An den hohen Bergen entwickelt er sich mehr hin zur Schwierigkeit, zu kleineren Gipfelhöhen, aber extrem schwierigen Routen in meist total sauberem Alpinstil, also große Exponiertheit.“
Im vergangenen Sommer haben dies nur wenige versucht. Einer davon war Simon Messner. Er hatte sich im Karakorum einen der wenigen noch unbestiegenen Siebentausender zum Ziel gesetzt, den Praqpa Ri Central. Eine einsame Tour mit seinem Seilpartner Martin Sieberer, aber auch eine herausfordernde.
„Diesen Sommer war es tatsächlich schwierig, weil es ein außergewöhnlich warmes Jahr war“, sagt Simon Messner. „Sehr schneereich. Viele Niederschläge. Dann haben wir uns dazu entschieden, nur in der Nacht zu klettern, also die kalten Temperaturen der Nacht zu nutzen. Wir kamen bis 6000 Meter, dann waren die Schneemassen zu viel. In diesen großen Hängen wollten wir keine Lawinen auslösen. Zum Glück ist nix passiert, aber es hätte jederzeit eine Lawine abgehen können.“
Reiche Menschen können den Everest "buchen"
Während Simon Messner als Spitzenalpinist die Ausgesetztheit in der Bergwildnis und die höchsten Schwierigkeiten sucht, interpretiert sein Vater Reinhold den Erfolg der Nepalesen am K2 als Weiterentwicklung der Sherpa am Berg und als nächste Stufe zum wirtschaftlichen Erfolg:
„Sie haben früher nur Trägerdienste geleistet, natürlich in den Hochlagern, sie haben gekocht, aber sie sind nicht vorausgestiegen. Mir ist ein Leben lang nie passiert, dass ein Sherpa vorausgestiegen ist. Aber sie lassen sich nicht mehr benutzen, sondern sie nutzen jetzt das, was sie können und das, was ihre Berge hergeben. Sie führen einzeln sehr wohlhabende Menschen auf den Mount Everest oder den K2 mit der Methode, mit der Nirmal Purja auf den Gipfeln der Achttausender stand. Das heißt, man kann auch den Everest mit Nirmal Purja buchen. Das ist sehr teuer, aber sie wissen, wie man es wirtschaftlich macht.“
Der Wintererfolg am zweithöchsten Berg der Erde hat die Rangfolge im Höhenbergsteigen verändert. Das Risiko klettert immer mit, wenn man bei großer Kälte, Stürmen und Lawinengefahr unterwegs ist.
Klettern wurde erstmals olympisch
Dagegen ist das Klettern in der Halle weitgehend ungefährlich. Bei den Olympischen Spielen in Tokio gab es im vergangenen Sommer sogar Medaillen zu gewinnen. Zum ersten Mal war die Disziplin Sportklettern olympisch.
Beobachter wie Reinhold Messner analysierten nach den Spielen, dass der olympische Funke noch nicht so richtig übergesprungen sei: „Ich habe mit vielen Leuten inzwischen gesprochen, niemand weiß, wer die olympische Goldmedaille gewonnen hat. Ich habe gemerkt, dass nicht alle Leute begeistert waren von dieser Form der Zählung und auch von der Form der Darbietung. Vor allem das Speedklettern ist nicht mit dem Bergsteigen verbindbar.“
Kritik gab es vor allem daran, dass drei sehr unterschiedliche Disziplinen zusammengezählt wurden. „Olympic Combined“ bestand aus einer Mischung aus Speed, Bouldern und Lead.
Der Extremkletterer Thomas Huber aus dem Berchtesgadener Land hat die Wettkämpfe in Tokio dennoch mit Interesse verfolgt: „Das war schon faszinierend zu beobachten, was Olympia für einen Spirit hatte, auch wenn das Reglement nicht fair und teilweise total unverständlich war. Trotzdem spürt man bei den Akteuren, dass Olympia etwas anderes ist als ein Weltcup oder eine Weltmeisterschaft. Olympia ist Olympia.“
Die deutschen Hoffnungen ruhten auf Alexander Megos. Der aus Erlangen stammende Kletterer gehört seit Jahren zur Weltspitze, verpasste aber das Finale der besten acht denkbar knapp und wurde Neunter. Trotz manch kritischer Stimmen sieht Alexander Huber, der Jüngere der Huber-Buam, Klettern bei den nächsten Olympischen Spielen als gesetzt:
„Ich bin schwerstens davon überzeugt, dass auch in Zukunft Klettern einen festen Platz im olympischen Sport einnehmen wird, weil es eine der attraktivsten Sportarten ist und auch die entsprechende Breitenentwicklung da ist.“
Berge vor der Haustür neu entdecken
In Zeiten von Corona waren die Huber-Buam als Seilschaft wieder im Berchtesgadener Land unterwegs – nach dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“.
„Klettern vor der Haustür haben wir durch diese pandemische Zeit wieder entdeckt“, erzählt Thomas Huber. „In unseren Köpfen waren wir immer in der Welt unterwegs, wir wollten nach Patagonien und nach Pakistan, aber durch diese Einschränkung, nicht mehr dahin reisen zu können, wo wir wollten, haben wir unsere Heimat neu entdeckt.“
Die beiden weltbekannten Kletterer hatten sich auf Routen mit hohen Schwierigkeitsgraden fokussiert, die sie – beide sind mittlerweile über 50 Jahre alt – schaffen wollten, um ihr Lebenswerk abzurunden: „Das Projekt Karma ist gar nicht weit von uns zu Hause, das ist an der Steinplatte, an der Schnittstelle zwischen dem Land Salzburg und Tirol, und ist vom Felsen mit das Beste, was es auf der Welt gibt. Wir waren richtig scharf dran, aber das letzte Quäntchen hatte noch gefehlt und dann kam die Verletzung dazwischen. Auf einmal ist alles anders.“
Wie es zur Verletzung kam, schildert Thomas Huber: „Da ist mir ganz was Doofes passiert. Ich bin beim Einhängen in unsere Route am Untersberg an der Karabinernase hängen geblieben und habe mir den ganzen Finger aufgerissen, dass die Bergwacht mich dann vom Berg geholt hat.“
Der Ältere der Huber-Buam musste im Lauf seiner Karriere bereits mehrere Rückschläge einstecken: „Ohne Scheitern gibt es keine Erfolge im Bergsport. Wir Kletterer fallen an einem Projekt 100 Mal runter, probieren es immer wieder, haben aber gelernt, nicht aufzugeben.“
Neue Wände auf Sardinien
Während Thomas seine Verletzung auskurierte, suchte sich Alexander Huber eine neue Herausforderung auf Sardinien. Felsklettern auf hohem Niveau in mediterraner Umgebung: „Da habe ich ein Projekt an der Punta Giradili, das ist eine der ganz großen Wände in Sardinien, eine 500 Meter hohe Wand. Da gibt es einen riesigen Überhang, der bisher frei noch nicht durchklettert ist. Der hat die Dimension vom großen Dach der Westlichen Zinne. Da hängt das Ganze noch mal zehn Meter weiter horizontal über. Das macht in der Summe ganze 50 horizontale Meter, die auf dieser Route überwunden werden müssen. Für mich ein Gang an die absolute Grenze.“
Ein Klettertraum in Meeresnähe an der Ostküste von Sardinien. Der Berg selbst ist nur 732 Meter hoch. Aber auch diese spektakuläre Erstbegehung konnte Alexander Huber nicht vollenden. Kurz vor der finalen Durchsteigung machte ihm ein gigantisches Tiefdruckgebiet über dem Mittelmeer einen Strich durch die Rechnung. Dabei hatte er die Route bereits im Kopf. Zug für Zug: „Zuerst beginnt man senkrecht mit dem Klettern, dann wird’s a bissl steiler und irgendwann ist es waagrecht, dann heißt es waagrecht hinausklettern.“
Auf ein CO2-neutrales Fortbewegungsmittel ist der oberbayerische Extremkletterer Stefan Glowacz umgestiegen. Für ein alpines Abenteuer mit Kletter-Highlights: „Wirklich mit dem Mountainbike aus eigener Kraft mit einem Anhänger über die Berge zu fahren und das ganze Gepäck selbst zu transportieren. Insgesamt waren es 2500 Kilometer und 50.000 Höhenmeter.“
Die Umwelt bei der Anreise schonen
Der ehemalige Vizeweltmeister im Wettkampfklettern hat sich längst als Abenteurer einen Namen gemacht. Steile Wände in Patagonien, Mexiko, Grönland und Venezuela waren seine Ziele. Bei seinen letzten Expeditionen stand der Gedanke „by fair means“ im Mittelpunkt, das heißt, umweltschonende Anreise mit dem Elektroauto von Bayern nach Schottland und weiter mit dem Segelschiff nach Grönland. Dabei kam ihm der Gedanke, „dass es eigentlich ein Widerspruch ist, nur um einen Berg zu besteigen, um die halbe Welt zu fliegen".
Glowacz entschied sich für eine Bergreise mit dem Fahrrad einmal quer durch die Alpen: „Wir wollten von zu Hause aus in die östlichen Dolomiten, in die Marmarole radeln. Dort eine Erstbegehung klettern. Dann in die Schweiz und dann weiter in die französischen Seealpen und am Pic de Bure eine Erstbegehung klettern.“
Für den Gewinner des ersten „Rockmaster“-Wettbewerbs war die Radstrecke eine große Herausforderung. Zumal er sich wenige Monate vor dem Start einer Herzoperation unterziehen musste. Von Juli bis September 2021 war Stefan Glowacz mit Philipp Hans auf Kletter-Radel-Tour.
Der erste Kletterhöhepunkt war die Croda Bianca in den Dolomiten, eine 800 Meter hohe Wand südöstlich von Cortina d’Ampezzo: „Das Schwerste war im unteren Bereich: schwierige unübersichtliche Wandkletterei. Die Dolomiten schauen von unten immer imposant aus. Sie sind schon sehr strukturiert. An der Croda Bianca könntest du jeden Meter klettern. Aber es ist halt eine große Wand.“
Die Erstbegehung am Wetterhorn in der Schweiz ist dem Schlechtwetter des vergangenen Sommers zum Opfer gefallen. Am Pic de Bure in Frankreich, 2700 Meter hoch, gelang dagegen eine Erstbegehungsvariante. Der Fels war alles andere als kompakt: „Du bist nicht gefeit gegen Steinschlag, Eisschlag. Vor allem am Pic de Bure kann jederzeit eine riesige Scholle ausbrechen.“
Erkennen, wie winzig klein wir sind
Warum nehmen Bergsteiger wie Stefan Glowacz oder Reinhold Messner enorme Strapazen in Kauf und setzen sich lebensbedrohlichen Risiken aus? Zwei Antworten auf eine Frage.
Stefan Glowacz: „Letztlich ist das, was ich betreibe, die Realisierung von alten Kindheitsträumen. Aufbrechen von der Haustür aus, mit dem Rad die ganzen Alpen zu überqueren in einem Zug, das war, als ich zum Klettern anfing, schon immer in meinem Kopf drin.“
Reinhold Messner: „Es geht darum, zu erkennen, wie winzig klein wir sind, wie zerbrechlich wir sind, wie großartig die Natur ist. Das Zurück-aus-dem-Gefahrenraum-Kommen ist wie eine Wiedergeburt. Man ist dann zurück in der Sicherheit.“