Berliner Clubs bangen ums Überleben
10:56 Minuten
Für viele Einrichtungen fallen die Einschränkungen wegen des Coronavirus. Doch die Clubs in der Hauptstadt bleiben weiter zu. Das "About Blank" macht aus der Not heraus einen Sektgarten auf und Dimitri Hegemann bangt um seinen "Tresor" und um Berlin gleich mit.
Ein graues zweistöckiges Gebäude gleich neben dem Berliner Ostkreuz. Die Fenster verhängt, die Fassade mit Graffitis besprüht. Das "About Blank" – seit Mitte März geschlossen, nur das Freiluftgelände hat seit drei Wochen wieder offen. "About Blank Sektgarten" steht auf einem Plakat.
Den Zugang kontrolliert Stefan – schwarzes Antifa-T-Shirt, um den Hals eine dicke silberne Kette, der linke Arm komplett tätowiert. Nachnamen sind verpönt hier im Club, der als Kollektiv funktioniert und auf politisch linker Mission unterwegs ist. Das schließt strenge Coronaregeln nicht aus. Ganz im Gegenteil.
Stefan trägt eine dunkelgrüne Maske, den ganzen Abend lang. "Wir legen es den Leuten nahe, wenn sie sich im Club bewegen, die Masken zu tragen; am Platz selbst nicht, als Polizei spielen wir uns hier nicht auf. Das funktioniert eben nur, wenn die Leute das mitumsetzen, da appellieren wir eben an die Vernunft, die gemeinsame, und nur so kann es funktionieren."
70 Tische im Open-Air-Club
"Your number is 12a and 33". Über ein Funkgerät teilt Stefan Lilly mit, welche Tische sie desinfizieren und für die nächsten Gäste vorbereiten muss.
Das 14-köpfige Kollektiv vom "About Blank" hat sich ein ausgeklügeltes Coronakonzept überlegt. Wer gemeinsam kommt, erhält eine Tischnummer – 70 sind es insgesamt – und eine dazu passende, vorher desinfizierte, laminierte Karte mit einer Übersicht über das Freiluftgelände neben dem eigentlichen Club.
Einer aus dem Team begleitet die Gäste zum Tisch. Dort sollen sie möglichst sitzen bleiben – und Sekt trinken, der nur flaschenweise bestellt werden kann. "Wir müssen immer schauen, wann die Leute gehen und die nächsten quasi reinschicken. Jetzt staut sich's hier ein bisschen. Aber ziemlich gut, tatsächlich."
Auf der Open-Air-Tanzfläche neben dem DJ-Pult stehen noch mehr Holztische und Bänke – damit ja niemand auf die Idee kommt zu tanzen. Das hier ist Sitztrinken, sagt Elisabeth Steffen, Sprecherin des Clubs, und lächelt dabei etwas bitter. "Tanzen ist einfach nicht möglich. Es ist auch nicht möglich, zufällig irgendwie Leute kennenzulernen und durch die Menge zu mäandern", erklärt sie. "
Was, wenn die Leute tanzen?
"Was passiert denn, wenn Leute sich nicht an die Regeln halten, wenn Leute anfangen zu tanzen? Will man denn da wirklich hingehen und disziplinieren?", schildert Elisabeth Steffen die Abwägungsprozesse vor dem Neustart. "Das waren alles so Situationen, wo wir dachten, es könnte alles ganz schön merkwürdig werden, haben uns dann aber entschieden, das doch zu machen, weil wir möchten nicht, dass der Ort brach liegt im Sommer."
Schmale Pfade schlängeln sich durch ein Birkenwäldchen, führen von Tisch zu Tisch. Hier eine Tischtennisplatte; dort ein knallroter, ausgeschlachteter Wohnwagen; Betonbuchstaben, die sich zum Slogan "Nie wieder Deutschland" formieren. Bei gutem Wetter ist freitags bis sonntags geöffnet, allerdings nur bis 23 Uhr.
Zu dieser Zeit ging es eigentlich erst langsam los, das Berliner Nachtleben, vor Corona. "Es ist gediegen", sagt Steffen. "Wir versuchen uns jetzt zumindest auch mit dem Konzept eines Sektgartens ein bisschen von dem doch deutschtümelnden Biergarten-Begriff ein bisschen ironisch zu distanzieren."
Durchhalten in existenzbedrohender Situation
Hundert Leute beschäftigt der Club, der Einheitsstundenlohn liegt bei zwölf Euro brutto. Die meisten sind gerade auf Kurzarbeit. Noch wurde niemand der Festangestellten entlassen. 24.000 Euro aus einem Corona-Soforthilfeproramm des Landes Berlin hat das Kollektiv erhalten, der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – Eigentümer der Immobilie – stundet momentan die Miete. Das hilft.
Elisabeth Steffen zieht an ihrer Zigarette. "Es ist schon auch für uns eine existenzbedrohende Situation. Weil keiner weiß, wie lange es noch anhält, dass wir nicht unseren normalen Betrieb machen können."
Sie winkt einem bärtigen Gast zu, der brav am Tisch sitzt und sich mit drei Freunden eine Flasche Sekt teilt. Schön, dass es den Club noch gibt, sagen die. Das Wichtigste fehle allerdings. "Die Tanzfläche. Das Tanzen. Das soziale Zusammenkommen, sich in den Arm nehmen, sich unterhalten zu können ohne Maske. Das Tracking gibt einen bitteren Beigeschmack."
Tracking – damit ist die Auflage gemeint, von den Gästen die persönlichen Daten einzusammeln, damit bei einem möglichen Infektionsfall alle informiert werden können. Im Gegensatz zu vielen anderen Gastronomen hält das "About Blank" auch diese Regel streng ein.
Stefan prüft, ob der Zettel ausgefüllt ist und zählt ab, wie viele Personen den Sektgarten verlassen. "Alle vier gehen? Ja. Hattet Ihr eine Karte? Okay, ihr zwei, und das waren hier drei, eins, zwei, drei."
"Es widerspricht total dem, wie wir eigentlich einen Club oder auch einen Ort wie diesen denken. Also Club ist für uns normalerweise ein Ort, wo man hingehen kann, wo man anonym sein kann, wo man sich auch ausleben kann, wo man nicht seine Daten erst mal an der Tür abgeben muss. Aber ja, im Moment gibt es ist einfach leider keine Alternative."
Wirtschaftsfaktor Clubkultur
Der Berliner Senat hat ein eigenes Soforthilfeprogramm für Kultureinrichtungen aufgelegt – ein 30-Millionen-Topf, der möglicherweise noch aufgestockt wird. Rot-Rot-Grün versucht, ein flächendeckendes Clubsterben zu verhindern – für die Stadt sind die etwas 250 Clubs kulturell und wirtschaftlich wichtig.
Sie machen einen Gesamtumsatz von etwa 170 Millionen Euro im Jahr, drei Millionen Touristinnen und Touristen kommen nur deswegen nach Berlin – so eine Studie im Auftrag des Senats. Das ökonomische Plus durch die Clubszene: 1,48 Milliarden Euro jährlich.
Auch der Imagegewinn ist enorm, wie Burkhard Kieker, Chef von "Visit Berlin", der Tourismus-Gesellschaft der Hauptstadt, erklärt: "Es ist Teil des Images von Berlin als unfertiger Stadt, in der noch sehr viel möglich ist und es ist vor allen Dingen Freiheit. Wir haben lange darüber nachgedacht, was macht den Markenkern von Berlin aus. Freiheit. Und da ist das, was in den Clubs passiert, wie da gelebt, getanzt, geliebt wird, ein ganz wesentliches Element von Berlins DNA."
Und genau das ist jetzt durch die Pandemie bedroht. Das "About Blank" kann wenigstens ein paar Stunden am Wochenende öffnen und damit ein bisschen Umsatz machen – die meisten Clubs müssen bis auf weiteres geschlossen bleiben, weil sie keine Außenflächen haben.
Kein Zeitplan für den Tresor
Wer die Tür zum "Kraftwerk" öffnet, dem schlägt feucht-kalte Luft entgegen, es riecht nach Beton und Metall. Das ehemalige Heizkraftwerk in Berlin-Mitte aus den 60er-Jahren ist heute ein Veranstaltungsort. Brutalismus in Beton auf drei Etagen, im Keller der Technoclub "Tresor". Seit drei Monaten ist alles dicht, vierzig Minijobber sind bereits entlassen, was aus den sechzig Festangestellten wird – keiner weiß es.
"Wir haben bis jetzt keine Perspektive, wann es weitergeht, nichts Belastbares, ob es Silvester ist nächstes Jahr, oder vielleicht noch später, Ostern", sagt Dimitri Hegemann, der Gründer des legendären "Tresors".
Wer zu ihm will, muss zuerst durch die gigantische dreistöckige Betonhalle des früheren Heizkraftwerkes, die Freitreppe hoch, dann als nächstes durch die Schaltzentrale – mit dicken Knöpfen und Reglern, original 60er-Jahre.
Dimitri Hegemann – ein älterer Herr mit weißen Haaren, ein Kumpeltyp, der grundsätzlich alle duzt, manche nennen den 65-Jährigen jetzt schon eine Legende – hat mit seinem Techno-Club Berlins Ruf als Partyhauptstadt begründet. Sein Motto "Weiter" ist auf einem Schwarz-Weiß-Foto hinter dem Schreibtisch zu lesen.
"Mein Alltagsgeschäft hat sich völlig verändert, ist weggelaufen, gibt’s nicht mehr, und das ist schon irritierend", sagt Hegemann. "Und seit Anfang März denke ich viel nach, das erste Mal wieder seit vielen Jahren, vielleicht auch mal zu sagen: Hey, das war ein großartiger Rausch, 30 Jahre, ich gehe jetzt neue Wege."
So klingt der positive Dimitri Hegemann, der sich eine zweite Heimat in der Uckermark aufgebaut und theoretisch schon das Rentenalter erreicht hat.
Kollabierende Clubszene
Seine Stimmung kann sich allerdings schlagartig ändern. Nur Minuten später ist ein anderer Hegemann zu hören: Einer, der sich massiv Sorgen macht um die Szene und um die Zukunft seines geliebten Berlins. "Die ganze Branche kollabiert im Grunde. Und Corona hat vor allen Dingen Berlin so hart getroffen, im Bereich der Subkultur, der alternativen Gegenkultur. All diese kleinen Zellen, die sich da entwickelt haben, werden jetzt weggefegt. Das ist hart. Vergleichen wir mal Berlin mit einer Suppe, und diese alternative Kultur ist das Salz, dann ist das Salz in der Suppe nicht mehr da und dann schmeckt die Suppe nicht mehr."
Hegemann rechnet vor: die 25.000 Euro Corona-Soforthilfe, die er erhalten hat, reichten für gerade einmal fünf Wochen. Der Club und der gesamte Gebäudekomplex haben hohe Fixkosten, Eigentümer Vattenfall verzichtet nicht auf die Miete. Am liebsten würde der Clubbetreiber seinen Mietvertrag "zur Moni" – zu Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) – schicken, die ihn dann übernimmt.
Andernfalls drohe nicht nur dem "Tresor" eine Pleite. "Wenn die Räume weg sind, dann sind sie weg und kommen auch nicht zurück", sagt Hegemann eindringlich. "Sie verstehen alle nicht, wenn die Seele Berlins geht, dann will hier auch keiner mehr hinziehen, und das könnte gefährlich sein."