Nachtlose Nacht in Lappland

Musik-Festival am Polarkreis

Die Sängerin Sara-Marielle Gaup.
Die Sängerin Sara-Marielle Gaup. © Deutschlandradio / Philipp Eins
Von Philipp Eins |
Jedes Jahr im August wird die Musik der indigenen Einwohner Skandinaviens mit einem Festival gefeiert: dem Ijahis idja - was so viel bedeutet wie "Nachtlose Nacht". Unser Reporter Philipp Eins war in Lappland und hat eine überraschend vielfältige Musikszene bei den Samen angetroffen.
Rauchiger Blues, satte Bass-Sounds und der traditionelle Joik-Gesang der Samen – mit dieser ungewöhnlichen Mischung überrascht die norwegische Band Arvvas die Besucher des diesjährigen Musikfestivals in der finnischen Ortschaft Inari. Bassist und Sänger Steinar Raknes aus Oslo gilt als einer der talentiertesten Jazzmusiker Norwegens.
Die 32-jährige samische Sängerin Sara Marielle Gaup ist dagegen bislang eher unbekannt. Auf ihrem ersten gemeinsamen Album "Remembrance" verschmelzen die beiden Musiker Tradition und Moderne. Das wichtigste Element: der Joik, ein mit dem Jodler verwandter gutturaler Gesang der Samen.
Sara Marielle Gaup: "Ein Joik ist ein sehr alter Gesangsstil. Es ist unser Weg, Gefühle auszudrücken und unsere Welt zu beschreiben – ganz ohne Worte. Die wichtigsten Joiks sind die über Menschen. Jeder Mensch kann seinen eigenen Joik haben, seine eigene Melodie, die seine Persönlichkeit beschreibt. Der Joik erzählt aber nicht seine Geschichte – er spiegelt die Essenz seines Wesens. Deshalb haben wir Samen wohl das Joiken geschaffen: weil die Sprache manchmal nicht genügt, um Gefühle auszudrücken."

Den Auftakt des Abends machte die Band Arvvas.
Den Auftakt des Abends machte die Band Arvvas. © Deutschlandradio / Philipp Eins
Der Joik wird seit der Christianisierung tabuisiert
Noch bevor sie sprechen konnte, habe sie von ihrem Vater das Joiken gelernt, sagt Sara Marielle Gaup. Nicht nur Menschen, auch Tiere und Landschaften können ihren ganz eigenen Joik haben. Wie die samische Sprache war auch der Joik seit der Christianisierung Lapplands tabuisiert. Bis in die 1980er-Jahre hinein durften Kinder in den Schulen nicht Samisch sprechen, Joiken war in Schulen und Kirchen verboten. Erst mit dem politischen Engagement der bekannten Sängerin Mari Boine aus Lappland gewannen die indigenen Einwohner an Selbstbewusstsein zurück. Noch heute sind viele Musiker politisch geprägt.

Die Sängerin Elle Marja Eira mit Band.
Die Sängerin Elle Marja Eira mit Band. © Deutschlandradio / Philipp Eins
Elle Márjá Eira singt in ihren Songs über die Bedrohung der samischen Lebensweise und Traditionen. Aber auch die weitläufige, von Birken, Fichten und Kiefern bewachsene Waldlandschaft nördlich des Polarkreises spiegelt sich in ihren dunklen Klangwelten wider.
Elle Márjá Eira : "Die Natur übt schon einen großen Einfluss auf unsere Musik aus. Im Sommer ist es 24 Stunden lang hell, im Winter fast immer dunkel – das hinterlässt Spuren. Viele meiner Songs handeln von Rentieren. Wenn man aus der Stadt kommt, hat man jetzt vielleicht sehr romantische Vorstellungen: Ein Nomade, der draußen in der Wildnis mit Rentieren lebt! In Wahrheit ist das aber harte Arbeit, die unsere Lebensgrundlage bildet. Vermutlich kommen daher diese dunklen Sounds in meiner Musik."
Der Festivaldirektor Aslak Palto.
Der Festivaldirektor Aslak Palto.© Deutschlandradio / Philipp Eins
Es gibt 187 verschiedene Wörter für Eis und Schnee
Die Mischung aus archaischer Sami-Musik und treibenden Elektro-Sounds prägt den Stil von Elle Márjá Eira. Vor ihrem Debüt als Musikerin war die 32-Jährige Filmemacherin, Produzentin und Drehbuchautorin. Nun nimmt sie mit ihrer norwegischen Band ihr erstes Album auf. Obwohl sie sich von der Regiearbeit verabschiedet hat, sind ihre Auftritte noch immer bildgewaltig.
Elle Márjá Eira: "Während unserer Shows zeigen wir Filme auf der Bühne. Ich singe in samischer Sprache und möchte meine Texte, aber auch meine Musik visualisieren. Es macht großen Spaß, das Publikum mit auf eine Reise zu nehmen!"
Nur noch rund 20.000 Menschen sprechen Samisch als Muttersprache – eine Sprache, die mit der Landschaft Lapplands und dem Alltag der Samen eng verbunden ist. Allein 520 verschiedene Wörter für Rentiere sind überliefert, 187 verschiedene Wörter für Eis und Schnee. Doch die Sprache und Traditionen der Samen sind vom Aussterben bedroht. Gerade deshalb versuchen Musiker, ihre Kultur in die Moderne zu überführen – um sie am Leben zu erhalten. Aslak Paltto begleitet das Festival Ijahis idja seit mehr als zehn Jahren, inzwischen als Direktor.
Aslak Paltto: "Ich bin Radio-DJ, für mich ist es wichtig, dass sich Musik verändert. Auch in Lappland hören die Jugendlichen vor allem Mainstream. Es reicht uns daher nicht, nur traditionelle Musik oder Weltmusik zu spielen. Wir wollen vielschichtige und manchmal auch experimentelle Musik bei uns auf der Bühne haben."
Die Fusion aus Sami-Musik und Pop passt nicht nur gut zusammen, wie man auf dem Musikfestival im finnischen Inari eindrücklich erfährt. Die Mischung wirkt bei Elle Márjá Eira und der Band Arvvas auch spielerisch und leicht.
Sängerin Sara Marielle Gaup: "Für mich ist es eigentlich recht einfach, beide Stile miteinander zu kombinieren. Ich bin eine traditionelle Sängerin, aber ich bin in modernen Zeiten aufgewachsen. Popmusik hatte auch auf mich einen großen Einfluss. Beide Stile für sich sind mir vertraut – nur die Mischung ist ungewöhnlich!"
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