Nachts sind alle Laster grau

Von Jens Wagner |
Tausende Lkw transportieren Lebensmittel, teure Technik oder Baumaterial kreuz quer durch Europa. Hin und wieder fällt dann mal "etwas aus dem Lkw", sprich: Zielgerichtet werden komplette Lastwagen gestohlen oder manches mal wird nur die Ladung geklaut, ein anderes Mal nur die kräftige Zugmaschine oder der moderne Sattelaufleger.
Für die Fahrer sind besondere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Diebstahl nichts Ungewöhnliches. Trotzdem ist frühmorgens der Schreck groß, wenn die Ladeluken offen stehen oder der ganze Sattelzug fehlt. Wo die großen Fahrzeuge und ihre wertvolle Ladung bleiben, ist schwer zu ermitteln. Wie gelangen diese Lkw über die Grenzen? Oder wird das Diebesgut gar im Inland verteilt? Was kann gegen den raffinierten Diebstahl unternommen werden?

Der größte Lagerplatz ist die Autobahn. Laut und zügig sind zehntausende Lastkraftwagen auf den europäischen Straßen unterwegs. Ob Sand oder hochwertige Maschinen: täglich werden Megatonnen Güter bewegt. Punktgenau erreichen Zulieferteile die Montagebänder, frische Lebensmittel sind umgehend beim Verbraucher und mit hochwertigen Konsumgütern werden die schier unersättlichen Einkaufzentren beliefert. Der Wert der jeweiligen Ladungen auf den Lastkraftwagen schwankt beträchtlich, erklärt der Chemitzer Spediteur Michael Lohse.

"Na ja, da gibt’s ne Spanne eigentlich von - ich sag mal - Kies, bis hin zu Computern oder gar Zigaretten, eine Riesenspanne, die wenigstens von hundert Euro bis 13 -14 Millionen gehen kann."

Allein bis zu 14 Millionen für das Ladegut. Dazu kommen noch einmal hunderttausende Euro für die teuren Sattelzüge - mit einem Kühl-Auflieger zum Beispiel. Somit kann der Diebstahl von beladenen Lastkraftwagen zu einem lukrativen Geschäft werden. Das musste auch eine Fuhrunternehmerin aus dem Chemnitzer Land erfahren. Ihr sind zwei voll beladene Sattel-Kühl-Auflieger gestohlen worden.

Ina Wilfert: "Wir haben unsere Lkws - wie immer am Wochenende - auf dem Autohof Niederdorf abgestellt. Ja, und als wir sonntags wieder wegfahren wollten, waren unsere beiden Auflieger, weg - voll beladen - gestohlen. Man fühlt sich also nicht mehr sicher. Man denkt, man ist im falschen Film, also man ist völlig ohnmächtig."

"Fette Beute", titelte die "Freie Presse". 25 Tonnen Butter und über 14 Tonen Joghurt waren samt teuren und neuen Sattelaufliegern einfach verschwunden. Noch immer ist die junge Frau aufgewühlt. Sie möchte anonym bleiben, denn als sie beginnt, selbst nach dem möglichen Verbleib ihrer Auflieger zu forschen, wird sie eingeschüchtert und möchte kaum noch darüber reden.

"Und hoffe, dass vor allen Dingen der Gesetzgeber das in den Griff kriegt, diese bandenmäßige Klauerei und dieses Angst-haben-müssen vor diesen Ausländern, dass man hier mal wieder ruhig schlafen kann."

Trotz der vielen Vernehmungen und dem obligatorischen Papierkram reagiert wenigstens die Versicherung unbürokratisch. Auf über zehntausend Euro Schaden bleibt die Unternehmerin allerdings trotzdem sitzen. Dass selbst die Versicherungsunternehmen lieber stillschweigend zahlen, zeigt, dass man sich mit einem "gewissen Schwund" durch Diebstähle abgefunden hat.

"Und nach und nach wird einem das bewusst, was das auch für finanzielle Schläge sind. Es sind ja nun Werte von Hunderttausenden, die da verloren gehen, abhanden kommen."

Die Versicherungsbranche hat sich mit ihren Beiträgen auf die Diebstähle eingestellt. Die Schadens-Fälle sind seit 2001 um 50 Prozent gestiegen und die Schadenssumme hat sich verdoppelt. Das sächsische Landeskriminalamt ermittelte, dass seit 2002 in Sachsen pro Jahr durchschnittlich 165 Lastkraftwagen, Zugmaschinen und Sattelzüge gestohlen wurden. Dazu kommen pro Jahr 75 Diebstähle von kompletten - allein stehenden - Sattelaufliegern oder deren Ladung.
Hier hat sich die Schadenssumme pro Fall sogar vervierfacht. Dieser Zweig der Wirtschaftkriminalität hat ein ungeahntes Tempo vorgelegt, analysiert auch der Chemnitzer Speditionsunternehmer und Präsident des Landesverbandes des sächsischen Verkehrsgewerbes, Michael Lohse:

"Also erstens mal werden solche Fahrzeuge zielgerichtet gestohlen, das heißt, wenn ich einen Kühlsattelauflieger irgendwo ohne Sattelzugmaschine stehen habe und das Kühlaggregat läuft, ist den Dieben eigentlich egal, was drauf ist. Es sind in der Regel immer temperaturgeführte Waren, und da zu 99 Prozent Lebensmittel und die kriegen sie überall los. Oder, was auch vorkommt, bei Industriegütern - sprich also beim herkömmlichen Sattel - es eigentlich schon beim Beladen in bestimmten Kreisen bekannt ist, was sie auf dem Fahrzeug haben. Die mafiosen Verbindungen sind - leider - europaweit schon sehr, sehr gewachsen."

Da die Ladungen und Fahrzeuge mittlerweile so zielgerichtet gestohlen werden, und da die kriminelle Energie so drastisch zugenommen hat, sprechen viele Betroffene vom mafiösen Filz und haben Angst, ständig unter Beobachtung der Täter zu sein, meint nicht nur die geschädigte Unternehmerin.

"Und dass das sicherlich ein Bandenwesen ist, das es professionell betreibt, ist uns, denk ich, allen klar geworden. Denn das macht kein einzelner. Er hat weder das Know-how, noch ein Vertrieb für die Waren, noch eine Verwendung für die Lkws. Wir können nur hoffen, dass sich eventuell die Politik da bissel verstärkt einsetzt, dass jemand mal echtes Interesse hat, das auch aufzuklären. Aber wer weiß, wer die Hintermänner sind. Jemand hat sicherlich großes Interesse daran, dass weiter so passiert, was jetzt passiert."

Während die Aufklärungsquote bei den Lkw-Fahrzeugen cirka 25 Prozent beträgt, wurden 2005 in Sachsen nur 5,5 Prozent der Sattelauflieger-Diebstähle erfolgreich ermittelt. Betroffene Speditionen habenden Eindruck, als würde die Polizei zu wenig ermitteln und die Behörden schauen den dreisten Lkw-Diebstählen tatenlos zu. Warum aber die Ermittlungen so verdeckt laufen müssen, so schwierig und langwierig sind, erklärt der Pressesprecher der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien, Uwe Horbaschk so:

"Ja, dass zwischen Tatzeit und Anzeigezeit oftmals ein sehr langer Zeitraum war, wir haben so gut wie gar keine Spuren mehr feststellen können. Es kam hinzu, dass es sich um Dienstellen übergreifende Taten gehandelt hat. Also wir waren hier in der Oberlausitz nicht als Einzigste betroffen, sondern die Täter haben bundesweit agiert. Das hat die Sache nicht leichter gemacht. Letztendlich auch das sicherlich organisierte und logistisch perfekte Vorgehen der Täter haben natürlich der Polizei kein einfaches Ermitteln abverlangt."

Immer wieder werden allerdings einige Sattel-Auflieger von den Fahrern auch so abgestellt, dass sie sich relativ leicht und unauffällig abtransportieren lassen. Eine wenige Euro kostende Sicherung könnte den Diebstahl deutlich erschweren. Michael Lohse:

"Für Sattelauflieger gibt’s den so genannten Königszapfenschutz. Das ist einfach eine Art Schloss, das drumgelegt wird, dass der Sattelauflieger nicht aufgesattelt werden kann."

Denn es muss beim Diebstahl recht zügig gehen, ergänzt Hauptkommissar Horbaschk:

"Die Täter haben sich vorbereitet. Sie bringen entsprechende Zugmaschinen mit und sind dann in der Lage, in kurzer Zeit dort den Sattel anzuhängen. Die Fahrzeuge waren immer an Orten abgestellt, die den Tätern günstige Gelegenheiten geboten haben."

Fahrer widersprechen in diesem Punkt heftig. Es fehlt in Deutschland an geeigneten Park- und Rastplätzen. Da sind andere Länder viel weiter. Michael Lohse:

"Das geht sicherlich, dass man die als bewacht ausstattet, was schon im tschechischen Nachbarland üblich ist."

... und in Italien, beispielsweise. Nicht selten suchen die Fahrer in Deutschland länger als eine Stunde nach einem korrekten Standplatz. Viel zu selten können die vorbeladenen Auflieger in einem umzäunten oder gar in einem bewachten Gelände abgestellt werden. Aber selbst aus gut gesicherten Objekten sind schon komplette Lastzüge über Nacht verschwunden.

Wenn es dunkel wird - in den Wohnungen die Lichter angehen - kommt auch der Feierabend für die Fahrer. Die gesetzliche Lenkzeit ist erreicht, tausende Fernfahrer steuern die äußerst raren Parkplätze an den Autobahnen an.

Fahrer: "Also 20 ... 21 Uhr ist Feierabend, da kriegen se kaum noch nen Platz. Wenn se keine Zeit mer ham zum fahren, ist es ein ganz schönes Problem, müssen se weiterfahren, immer suchen, suchen."

Ist ein solch begehrter Standplatz gefunden, rangieren die Fahrer den langen Lastzug perfekt in die Lücke. Dann wird noch mit zu Hause telefoniert, ein kleines Abendbrot zubereitet und dann geht es ab in die Koje im Führerhaus. Manche gönnen sich den Luxus einer Dusche in der Raststätte. Vorbei sind die Zeiten, als die Kapitäne der Landstraßen noch in kleinen Pensionen übernachten konnten. Dafür reicht das Geld schon lange nicht mehr.

Außerdem wollen die Fahrer ihren Wagen und die Ladung unter Kontrolle behalten. Und trotzdem kann es passieren, dass am nächsten Morgen den Schreck groß ist: Der Sattelauflieger ist aufgebrochen und leer geräumt. Der Fahrer ruft die Polizei. Was da passiert ist, schildert der Fuhrunternehmer Lohse:

"Sie müssen sich vorstellen, wenn sich der Fahrer im Fahrerhaus aufhält - ob Sommer oder Winter - entweder hat der die Seitenscheibe einen Spalt offen oder im Sommer hat er meistens die Dachluke offen und da wird einfach Lachgas oder ein anders Betäubungsmittel reingesprüht und damit ist der Fahrer ruhig gestellt und dann kann das Fahrzeug ausgeraubt werden oder weggefahren werden. Ohne, dass es der Fahrer merkt."

Dieses Szenario macht vielen Fahrern Angst. Im September 2006 reist aus Polen kommend ein schwer verletzter, deutscher Fahrer am Grenzübergang Ludwigsdorf ein. Dem Bundesgrenzschutz erstattet er Anzeige und die zuständige Polizeidirektion nimmt die Ermittlungen auf. Kriminal-Hauptkommissar Uwe Horbaschk erinnert sich:

"An diesem 2. September 2006 ist in Zerbst - das liegt in Sachsen-Anhalt - ein Sattelauflieger entwendet worden. Der geschädigte Spediteur hatte sein Fahrzeug dann - was mit GPS ausgerüstet war - orten können, er hat kurz darauf einen Angestellten nach Polen geschickt, um das Fahrzeug zurückzuholen. Es gab dort in Polen einen Zwischenfall. Bei diesem Zwischenfall ist der rückholende Kraftfahrer an der Gesundheit geschädigt worden. Kurz darauf hat er am Grenzübergang - hier an der A 4 - in Ludwigsdorf bei der Bundespolizei Anzeige erstattet."

Fahrzeugsicherungen, GPS, elektronische Ladungssicherungen - all das ist ziemlich nutzlos, wenn mit solcher Brutalität vorgegangen wird. Die auf dem kleinen Dienstweg geschaffene, grenzübergreifende, Zusammenarbeit hat da mehr gebracht, als große und komplizierte Vereinbarungen auf höchster Ebene. Intelligent bewachte Trucker-Standplätze wären ein kleiner Anfang, damit eventuelle Diebstähle schneller erkannt werden. Denn wenn an einem Sonnabend irgendwo ein Sattelauflieger gestohlen wird und am Montag der Fahrer kommt, ist das Diebesgut schon lange im Ausland, gibt Michael Lohse zu bedenken.

"Wenn das zeitnah festgestellt wird, dann ist noch ne Möglichkeit, das vielleicht festzustellen, wo der Anhänger oder wo der Sattelauflieger eventuell ist. Aber wenn das eben 12, 14 oder 24 Stunden gar später festgestellt wird, ist der ja schon weit weg. Bei 10 Stunden Fahrzeit hat der ungefähr 600 ... 700 Kilometer zurückgelegt."

Dass das Übel aber noch viel tieferschichtiger ist, erzählt Michael Lohse, der nicht glauben wollte, wer alles weiß, was seine Sattelzüge im Moment geladen haben und woher die Daten stammen könnten.

"Ich kann Ihnen ein Beispiel aus der eigenen Praxis sagen. Es ist ein Fahrer von mir mal in Bozen an die Tankstelle gefahren. Und da in Bozen ja noch gut deutsch gesprochen wird, hat der Tankwart ihn gefragt, wie weit er noch mit den Fernsehern will. Da fragen Sie sich auch, woher der Tankwart weiß, was auf dem Auto geladen ist."

Bundesautobahn vier Dresden-Görlitz. Bei Wind und Wetter kontrollieren die Beamten der Autobahnpolizei Bautzen und das Bundesamt für Gütertransport die gestoppten Lastkraftwagen. Stichproben. Diese Überprüfungen dienen vor allem der Lenkzeit, der Fahrzeugsicherheit und der Transportsicherung. Natürlich sollen auch gestohlene Fahrzeuge oder entwendete Ladungen ermittelt werden. Doch eine Entdeckung von Diebesgut ist für Mario Kuhmann, von der Autobahn-Polizei Bautzen, kaum möglich.

"Das, was jetzt an Dokumenten vorgelegt wird, nimmt man erst einmal in Augenschein. Und wenn augenscheinlich alles passt - Fahrgestellnummer, die eingetragenen Daten, Achsenanzahl, was eingetragen ist, Kennzeichen sollt man vergleichen - dann kann man noch zusätzlich bei einer Zugmaschine die Motornummer überprüfen. Und wenn das dahingehend erst einmal so weit okay ist, hat man selten weitere Anhaltspunkte, um zu überprüfen, ob dort noch weitere Sachen feststellbar sind. Zumal auch die Fälschung von Dokumenten eine höhere Qualität zurzeit ereicht hat."

Die Begleit-Papiere sind perfekt, die Fahrzeugdaten und die Fahrgestellnummern stimmen. Es bleibt keine Zeit für tiefgründige Analysen. Nur laborähnliche Untersuchungen könnten jetzt mögliche Unstimmigkeiten verraten. Also: Danke und gute Fahrt!

"Sie können heutzutage mit den jetzt modernsten Mitteln eine Kopie einer Zulassung von der Echtheit überhaupt nicht unterscheiden im Moment. Dazu brauchen sie mit Sicherheit einen Sachverständigen oder ein Labor."

... bestätigt Michael Lohse. Somit ist die Forderung nach immer mehr Lkw-Kontrollen - im Inland und an den Grenzen - nicht durchführbar und der Erfolg eher gering. Gestohlene, neue Fahrzeuge werden umgearbeitet, wie das vor Jahren mit Reisebussen geschehen ist: die anderen Farben, ein bekanntes Logo und eine neue Fahrgestellnummer sind den hervorragend gefälschten Papieren angepasst. Auch Blanko-Zulassungen sind im Umlauf, meist sogar noch mit echten Stempeln versehen, weiß Michael Lohse.

"Oder die machen andere Kennzeichen dran, für die sie Papiere haben, die halbwegs auf dieses Fahrzeug zugeschnitten sind, wenn nicht - wie es schon vorgekommen ist - das sogar fahrzeugeigene Daten waren - fragen Sie mich bitte nicht, wie die zu diesen Daten kommen - aber das gibt es - und damit haben sie eigentlich auch schon, wenn Sie die Fahrzeugpapiere kontrollieren, teilweise gar keine Chance, das festzustellen, dass das ein gestohlenes Fahrzeug ist. Entweder der Sattelauflieger ist mittlerweile so entstellt, dass ihn gar keiner mehr erkennt, oder er existiert schon gar nicht mehr, weil es besser war, das alles zu vernichten, weil die Ware, die drauf war, schon so viel Geld gebracht hat."

Der Täterkreis ist unglaublich groß und sehr vielschichtig, weil sich diese Banden aus vielen Bereichen zusammensetzten. Die mafiöse Struktur verfügt über Zugang zu Papieren und Formularen, weiß, welche Ladung wohin unterwegs ist und kennt die aktuellen Abstellorte der Fahrzeuge. Außerdem muss immer der schnelle Vertrieb der gestohlenen Ware - egal ob es sich um Butter oder Camcorder handelt - organisiert werden. Auch wenn es erste Ermittlungserfolge gibt, werden noch sehr langwierige und komplizierte Untersuchungen anstehen. Und es ist erstaunlich, wo die kriminellen Strukturen mittlerweile schon beginnen. Speditionsunternehmer Michael Lohse erinnert sich dran, wie er ein fabrikneues Fahrzeug direkt vom Hersteller abgeholt hat.

"Mir ist es persönlich bei der Auslieferung eines hochwertigen Fahrzeuges auch schon passiert, dass mir der Auslieferer mitgeteilt hat, dass er mir nicht garantieren kann, dass für das Fahrzeug nicht schon ein dritter Schlüssel und ein zweiter Kraftfahrzeugbrief existiert. So dass man also davon ausgehen muss, dass die Informanten schon an den Quellen sitzen."